500 Jahre evangelisches Kirchengesangbuch

Das A-B-C und D der Kirchenmusik

Das evangelische Kirchenlied hat die deutsche Sprache geprägt. Untrennbar davon sind auch die Gesangbücher für den Gottesdienst. Und dieses Jahr steht wieder ein rundes Jubiläum an. Ein Grund näher hinzuschauen.

Autor/in:
Thomas Klatt
Evangelisches Gesangbuch
 / © Jens Schulze (epd)
Evangelisches Gesangbuch / © Jens Schulze ( epd )

Das Evangelische Gesangbuch wird 500 Jahre alt. Und ist alles andere als ein Ladenhüter. Wie eben auch die Kirchenmusik an sich. Die letzte Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung KMU6, die ökumenisch Katholiken wie Evangelische befragte, hat gezeigt, wie wichtig den Menschen die christlichen Töne sind. Über zwei Drittel der Befragten finden das Singen von Kirchenliedern wichtig. Mehr als die Hälfte findet Kirchenmusik inspirierend. Jeder und jede vierte Befragte sagt sogar, Gottes Nähe sei in der Kirchenmusik spürbar.

Aber Kirchenmusik fällt nicht einfach vom Himmel, sondern wird Sonntag für Sonntag sorgfältig vorbereitet. Auch macht das nicht irgendwer. Es bedarf in der Regel einer Ausbildung, bevor sich jemand an die Orgel setzt oder den Posaunenchor leitet. Neben den Gottesdiensten gehören auch Konzerte oder Auftritte im Freien zum Repertoire. Und dann folgt das Ganze auch noch einem eigenen Alphabet: Von A-B-C-bis D.

Kirchenmusik als Passion

Ein Kirchenmusiker beim Gottesdienst / ©  Tim Wegner (epd)
Ein Kirchenmusiker beim Gottesdienst / © Tim Wegner ( epd )

Philipp Domke ist einer von ihnen. Geboren wurde er in der Bach-Stadt Köthen. Aufgewachsen ist er im brandenburgischen Neuruppin, wo schon seine Eltern Kantoren waren. Die Kirchenmusik hat er also schon von Kindesbeinen an miterlebt. Als Erwachsener studierte er jedoch Jazz-Posaune und arbeitete lange als freier Musiker. Oder besser gesagt, hat sich durchgeschlagen.

"Dieses selbständig sein ist nicht für jeden gemacht. Man muss sich gut verkaufen können. Richtig rödeln. Mir hat auch musikalisch etwas die Tiefe gefehlt. Deshalb habe ich mich noch mal besonnen", sagt der 43-jährige Familienvater heute.

Ausbildung zum C-Musiker dauert zwei Jahre

Also hat er noch einmal zwei Jahre drangehängt, um sich als C-Kirchenmusiker ausbilden zu lassen. Nun ist er mit 75 Prozent Beschäftigungsumfang in der evangelischen Kirchengemeinde Falkensee im Land Brandenburg angestellt. Dafür muss er drei Mal im Monat im Gottesdienst Orgel spielen, 90 Minuten Chorprobe leiten und einen Posaunenchor aufbauen. Ab und an spielt er auch bei Beerdigungen.

Das Gehalt sei nicht üppig, aber für ihn in Ordnung, sagt Domke. Endlich gebe es ein festes Gehalt. In der Zeit der Pandemie musste jeder dritte freie Musiker seinen Beruf aufgeben. Ihn habe die Kirchenmusik gerettet, sagt Domke. Und: "In der Kirche hat man ein dankbares Publikum. Die sind froh, dass jemand da ist. Und ich kann meine vierjährige Tochter mitnehmen. Sie kann auf der Orgelbank neben mir sitzen. Oder sie kann zu Dienstbesprechungen dabei sein. Diese Freiheiten schätze ich sehr."

Rund 500 A-Kirchenmusiker bundesweit

Orgel in einer evangelischen Kirche / © Tim Wegner (epd)
Orgel in einer evangelischen Kirche / © Tim Wegner ( epd )

Nach der letzten Zählung von 2022 hat die Evangelische Kirche in Deutschland 535 A- und 1.373 B-Kirchenmusiker-Stellen. Die meisten davon in Vollzeit. Manche arbeiten aber auch auf 50- oder 75-Prozent-Stellen. Hinzu kommen C-Musikerstellen, für die es derzeit aber keine genaue Statistik gibt. Die katholische Kirche in Deutschland weist für 2023 1.357 hauptamtlich angestellte Kirchenmusikerinnen und -musiker aus. Zu 100 Prozent sind demnach 832 angestellt, zu 50 Prozent und mehr sind es 525.

Viele Stellen unbesetzt

Dabei sind etliche Stellen noch unbesetzt, und beide Kirchen suchen begabte Menschen für die kirchenmusikalische Ausbildung. Langfristig werden es bei sinkenden Kirchensteuereinnahmen sicherlich weniger Stellen werden. "Aber es gibt auch oft Gemeinden, die gezielt an der Kirchenmusik zuletzt sparen", heißt es aus dem kirchenmusikalischen Referat der EKBO, also der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Also wird früh, sehr früh für die Kirchenmusik geworben. Sogar schon pränatal.

Übung macht den Meister

Chorprobe / © Iversen (epd)
Chorprobe / © Iversen ( epd )

"Da gibt es zum Beispiel Babypsalmsång aus Dänemark, also Kinderliedersingen. Das ist ein Angebot für Mütter, die schwanger sind, oder auch Großeltern, die neue Enkel haben, die sich treffen und gemeinsam singen. Die Babys müssen noch nicht singen. Oft sind es Leute, die wahnsinnig gerne singen wollen und da kommt jetzt ein Kind oder Enkelkind. Und dann heißt es: Ich würd's so gerne, aber ich kann es nicht richtig", sagt Günter Brick, Studienleiter für die kirchenmusikalische Aus-, Fort- und Weiterbildung in der EKBO und Leiter des C-Seminars an der Universität der Künste UdK in Berlin.

"Wir haben einen kleinen Orgelbausatz, den man sich bei uns ausleihen kann. In zwei Stunden kann man eine Mini-Orgel mit Pfeifenregistern aufbauen und am Ende will mindestens die Hälfte der Klasse Orgel spielen lernen", berichtet Brick weiter.

Mit dem Ergebnis, dass schon Jugendliche mit der D-Ausbildung starten. Dafür benötigen sie keine Aufnahmeprüfung. Allein wichtig ist ein gewisses Talent und Lust an der Musik. In der Regel findet der Orgelunterricht dann beim Kirchenmusiker oder der Kirchenmusikerin in der Nähe statt. Die D-Ausbildung geht über ein Jahr an zehn Samstagen. Dort werden dann erste Grundkenntnisse gelernt, je nach Interessenlage etwa in der Kinderchor- oder Posaunenchorleitung.

"Tatsächlich kann man damit auch ein bisschen Geld verdienen. Als Schüler war das für mich super attraktiv. Ich spiele sonntags Orgel und kriege vielleicht 40 Euro, 50 Euro für einen Gottesdienst", verrät Günter Brick. Manche trauen sich später dann sogar an das schwere Kirchenmusik-Studium auf A- oder B-Niveau an einer Universität. Viele belassen es aber bei einem viersemestrigen C-Studium.

Anspruchsvolle Ausbildung

Die C-Ausbildung an der Berliner UdK kostet etwa nur eine Gasthörer-Gebühr von 150 Euro im Semester. Das sei finanziell wie inhaltlich bewältigbar, auch wenn das Niveau alles andere als flach sei, sagt EKBO-Landeskirchenmusikdirektor Gunter Kennel: "Wir haben schon bei C und D die Fächer Theologische Information, Gottesdienstkunde oder Gesangbuchkunde. Das setzt sich in einer ziemlichen Differenzierung im Hauptfachstudium fort. Bei der Gottesdienstkunde haben Kirchenmusiker durch ihr Studium unter Umständen sogar einen höheren Informationsstand als Vikarinnen und Vikare."

Kirchenmitgliedschaft wird vorausgesetzt

Kirchenfenster in der evangelischen Friedenskirche Offenbach
 / © Tim Wegner (epd)
Kirchenfenster in der evangelischen Friedenskirche Offenbach / © Tim Wegner ( epd )

Einstellungsvoraussetzung ist in beiden Kirchen neben bestandener Prüfung die Mitgliedschaft in der Kirche, wenn man in einer Gemeinde angestellt werden möchte. Denn Kirchenmusik wird als Teil der christlichen Verkündigung verstanden. Die Kirche verlange aber keine Alleskönner. Ob A-B-C-oder D, es werde gemacht, was am besten passt.

"Da haben wir Personen, die sich mit alter Musik sehr gut auskennen und sich dafür an anderen Stellen nicht so spezialisiert haben. Und dann haben wir wieder andere, die im Bereich Popularmusik total fit sind. Das gleiche gilt für die klassische romantische Musik oder Gregorianik. Andere haben einen chorleiterischen Schwerpunkt und werden dann Domkantor", sagt Landeskirchenmusikdirektor Gunter Kennel.

Die Kirchenmusik, so scheint es, ist - noch nicht - von Sparzwängen gebeutelt. Im Gegenteil. Wurde die Stelle des Beauftragten für Popularmusik vor 20 Jahren noch von einem Pfarrer nebenamtlich betreut, sitzt mit Michael Schütz jetzt ein Profi-Kirchenmusiker auf dieser EKBO-Stelle.

Vielfältige Musikstile willkommen

"Alle Kolleginnen und Kollegen versuchen sich auszutoben im Bereich Rock, Pop, Funk, Soul, Klezmer, Samba, Salsa, Jazz usw. Das ist gerade auch das Spannende, neue Musikstile, so genannte weltliche Musik, Rhythmen, Akkordfolgen, formale Strukturen, die dann mit der eigenen Sprache zu verbinden", sagt Schütz, der schon vor Jahren aus Tübingen nach Berlin wechselte.

Liednummern in der Stadtkirche St. Georg in Schmalkalden  / ©  Norbert Neetz (epd)
Liednummern in der Stadtkirche St. Georg in Schmalkalden / © Norbert Neetz ( epd )

Aber sind Kirchenmusiker richtige Musiker? Michael Schütz merkt schon, wie ihn etwa Symphoniker manchmal belächeln. Weniger ob seiner musikalischen Qualitäten, sondern wegen seines christlichen Wertefundaments und seines musikalischen Verkündigungsauftrages. Aber das stecke er weg. Er hat seinen Weg in die Kirchenmusik nie bereut, sagt er.

Denn klar scheint, dass die Kirchenmusik von klassisch bis popular ein wesentlicher Faktor im Gemeindeleben bleiben wird. Viele Menschen gehen schließlich auch in den Gottesdienst, um lieber ein gutes Orgelstück oder einen gelungenen Gospel zu hören als eine schlechte Predigt.

Kirchenmusikalische C-Ausbildung

Auch zu Beginn des kommenden Jahres bietet das Erzbistum Köln wieder einen neuen Kurs zur Erlangung des C-Examens an.

Neben dem vollständigen Ausbildungsgang, der zur Bekleidung einer Kirchenmusikerstelle (Teilzeitbeschäftigung) in allen Bereichen befähigt, besteht auch die Möglichkeit der Teilbereichsqualifikation für Orgel oder Chorleitung.

Symbolbild: Kirchenmusik/Orgel / © Villiers Steyn (shutterstock)
Symbolbild: Kirchenmusik/Orgel / © Villiers Steyn ( shutterstock )
Quelle:
KNA