Adveniat besorgt um Krisensituation in Venezuela

"Schlimmer kann es nicht werden"

In Venuzuela geht im wörtlichen Sinn das Licht aus, da die Regierung als Sparmaßnahme zeitweise den Strom abstellt. Die Proteste mehren sich, wie Adveniat-Länderreferent Rainer Wilhelm berichtet. Jetzt wird auch langsam das Trinkwasser knapp.

Proteste und Plünderungen in Venezuela / © Miguel Gutierrez (dpa)
Proteste und Plünderungen in Venezuela / © Miguel Gutierrez ( dpa )

domradio.de: Nicolas Maduro, der Präsident des sozialistischen Krisenstaates Venezuela, hat Notverordnungen erlassen, nach denen im öffentlichen Dienst unter anderem nur noch an zwei Tagen in der Woche gearbeitet werden soll, um Strom zu sparen. Die Venezolaner sind erzürnt über diese Energiekrise und die von der Regierung verordnete Stromrationierung. Es hat in Venezuela schon Proteste gegeben. Wie haben die ausgesehen?

Rainer Wilhelm (Adveniat-Länderreferent für Venezuela): Die Menschen sind auf die Straße gegangen, es war mal wieder der Strom abgeschaltet, so dass die großen Supermärkte schutzlos waren. Man hat dann einfach die Supermärkte geplündert, ist reingegangen und hat alles ausgeräumt.

domradio.de: Landesweit wird vier Stunden täglich der Strom ausgestellt. Es brodelt und von den Auswirkungen haben wir gerade gehört. Die Venezolanische Bischofskonferenz hat jetzt ein Hirtenwort herausgegeben, das von großer Sorge geprägt ist. Welche Sorgen treiben die Bischöfe denn insbesondere um?

Wilhelm: Sie haben die Sorge, dass sich die Proteste nicht friedlich entwickeln, sondern dass die Menschen auf die Straße gehen, das Heft selber in die Hand nehmen und gewaltsam versuchen, einen Umsturz herbeizuführen.

domradio.de: Das ist ja ansatzweise bereits geschehen. Sind denn im Hirtenwort konkrete Forderungen enthalten?

Wilhelm: Die Forderung liegt hauptsächlich darin, in den Dialog zu treten. Die Bischöfe haben zum einen darauf aufmerksam gemacht, wie die aktuelle Situation aussieht. Es fehlt an allem. Es fehlt an Lebensmitteln, an Gebrauchsgütern des täglichen Lebens, und es fehlt inzwischen sogar Wasser und - wie erwähnt - an Strom. Es herrscht eine absolute Mangelwirtschaft. Die Gesellschaft ist durch hohe Korruption geprägt. Die Bischofskonferenz hat dazu aufgerufen, das Gemeinwohl in den Blick zu nehmen und sich klar zu machen, dass die Menschen für ihr Land arbeiten und die Probleme gemeinsam anpacken. Es gibt auch keine Medikamente mehr. Ich habe es selber gesehen, wie Menschen stundenlang angestanden haben, um etwas Trinkwasser zu bekommen.

Ein weiteres Thema, das die Bischöfe angesprochen haben, ist die hohe Gewaltbereitschaft der Menschen. Im letzten Jahr gab es fast 28.000 Morde in diesem relativ kleinen Land. Das sind 90 Morde pro 100.000 Einwohner. Das ist immens hoch. Sie sprechen in ihrem Hirtenwort genau dieses Problem an. Die Situation hat sich noch verschärft und wird sich weiter verschärfen, wenn der Strom weiter abgeschaltet wird und wenn die Regierung quasi keine Sicherheitskräfte auf die Straße lässt und wenn jeder das eigene Wohl sucht und ums Überleben kämpft.

domradio.de: Es herrscht nun auch noch eine Dürreperiode, die mit dem Klimaphänomen El Nino zu tun hat. Verschärft das die Misere?

Wilhelm: El Nino kommt alle fünf bis sieben Jahre. Das war also vorhersehbar. Man merkt natürlich an diesem Land, wie stark es vom Erdölpreis abhängig ist. Venezuela ist eines der reichsten Länder in Bezug auf das Erdölvorkommen. Man hat es aber einfach versäumt, Investitionen zu tätigen. Dieses Geld, das man durch Erdöl eingenommen hat, ist einfach versackt und in fremde Taschen gewandert - vor allem in die Taschen der Mächtigen, der Militärs und der Regierung. Insofern ist es dort, wo es hätte ankommen sollen, nicht angekommen - nämlich bei den armen Menschen. Und wenn kein Geld da ist, kann man keine notwendigen Investitionen durchführen, keine Instandsetzungen in Angriff nehmen und keine Wartungen betreiben. Das rächt sich jetzt.

domradio.de: Die wütenden Einwohner geben also der Regierung die Schuld. Ist da nicht zu befürchten, dass man die Regierung stürzen möchte?

Wilhelm: Es gibt schon seit geraumer Zeit Anzeichen dafür, dass die Regierung nicht mehr fest im Sattel sitzt. Zwei Drittel der Bevölkerung haben sich bei der letzten Parlamentswahl gegen die Regierung ausgesprochen und der Opposition ihr Votum gegeben, obwohl sie von der Opposition weder die Personen noch das Programm kannten. Die Menschen sind unzufrieden mit der aktuellen Situation, sie haben Hunger, Durst und inzwischen keine Medikamente mehr. Schlimmer kann es eigentlich nicht mehr werden.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Reiner Wilhelm (Adveniat)
Quelle:
DR