Adveniat sieht Demokratie in Lateinamerika in Gefahr

Kirche zwischen den Fronten

Demokratiefeinde von links und rechts gewinnen in Lateinamerika an Macht. Die katholische Kirche gerät als Verteidigerin der Menschenrechte zwischen die Fronten. Das Hilfswerk der deutschen Katholiken versucht zu helfen.

Autor/in:
Alexander Pitz
Die Situation in Lateinamerika ist erschütternd / © Jorge Saenz/AP (dpa)
Die Situation in Lateinamerika ist erschütternd / © Jorge Saenz/AP ( dpa )

Wer in diesen Tagen nach Lateinamerika blickt, gewinnt den Eindruck, die Region sei ein einziger gigantischer Krisenherd: bewaffnete Konflikte und Massenmigration, Hyperinflation und Armut, Umweltzerstörung und Missachtung indigener Völker. Dazu immer wieder Korruptionsskandale und Menschenrechtsverletzungen durch rücksichtlose Regime.

Das Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche Lateinamerikas schlägt nun Alarm. "Die Demokratie ist in fast allen lateinamerikanischen Ländern in Gefahr", sagt Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Der Jesuit weiß, wovon er spricht: Seine Organisation fördert seit Jahrzehnten Hunderte Projekte in den betroffenen Staaten, um den Ärmsten der Armen zu helfen. Doch die Arbeit gestaltet sich zusehends schwieriger. Als Verteidigerin der Menschenrechte gerät die Kirche zunehmend selbst ins Visier skrupelloser Machthaber.

Diktatorische Führung Nicaraguas

Ein extremes Beispiel ist das sandinistisch regierte Nicaragua. Präsident Daniel Ortega gibt sich längst keine Mühe mehr, seinen diktatorischen Charakter zu verbergen. Hunderte Tote, Tausende Verletzte sind die Bilanz der seit Jahren anhaltenden Repression gegen Regierungsgegner. Zehntausende "Nicas" sind ins Ausland geflohen. Vielen Hilfsorganisationen, sogar der Caritas, wurde die rechtliche Grundlage für ihre Aktivitäten entzogen.

Demonstrant mit einem Holzkreuz während eines Protests gegen die Regierung von Präsident Ortega / © Alfredo Zuniga (dpa)
Demonstrant mit einem Holzkreuz während eines Protests gegen die Regierung von Präsident Ortega / © Alfredo Zuniga ( dpa )

Die Kirche zählt zu den wenigen verbliebenen Stimmen, die willkürliche Festnahmen, Folter, außergerichtliche Hinrichtungen öffentlich anprangern. Der Preis des Widerstands ist hoch: Bischof Rolando Alvarez von Matagalpa, prominenter Widersacher Ortegas, wurde im Februar wegen angeblichen Landesverrats zu mehr als 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Vor einigen Tagen folgte ein weiterer schwerer Schlag. "Die Regierung hat die Bankkonten der katholischen Diözesen in Nicaragua gesperrt. Das betrifft natürlich auch unsere Projektarbeit", sagt der Adveniat-Chef. Man müsse andere Wege finden, um die Finanzierung der Projektpartner aufrechtzuerhalten.

Hungersnot in Kuba

Nicht minder problematisch ist die Lage im kommunistischen Kuba. "Das Land ist in einer ganz, ganz schwierigen Situation. Die Menschen hungern", berichtet Maier, der dort kürzlich zu Besuch war. So müssten Einheimische mehr als die Hälfte ihres durchschnittlichen Monatslohns aufwenden, um 30 Eier zu kaufen. Zwar gebe es staatlich organisierte Lebensmittelausgaben, doch die Schlangen davor seien lang: "Es kann sein, dass man stundenlang für ein Hühnchen ansteht, und wenn man an der Reihe ist, gibt es nichts mehr."

Adveniat versuche zu helfen, allerdings seien die Hürden hoch. "Wir haben in Kuba eine enorme Inflation und unterschiedliche Wechselkurse mit einer riesigen Spanne", erläutert Maier. Es sei eine Herausforderung, das Geld auf effiziente und legale Weise zu den Partnern zu transferieren.

Angriffe auf die demokratische Ordnung in El Salvador

Sorgenvoll blickt der Ordensmann auch auf Angriffe auf die demokratische Ordnung, die aus dem rechten politischen Spektrum Lateinamerikas kommen. In El Salvador, wo er jahrelang Pfarrer einer Landgemeinde war, entwickelt sich Präsident Nayib Bukele vom internationalen Hoffnungsträger zum populistischen Autokraten. Nicht nur sein überhartes Vorgehen gegen die Mara-Jugendbanden hat Kritik hervorgerufen.

Nayib Bukele (M., l), Präsident von El Salvador, winkt Anhängern zu / © Prensa Presidencia (dpa)
Nayib Bukele (M., l), Präsident von El Salvador, winkt Anhängern zu / © Prensa Presidencia ( dpa )

"Bukele ist auf dem Weg, eine Diktatur zu errichten", ist Maier überzeugt. "Einen guten Diktator gibt es aber nicht." Ohne Zweifel habe sich die Sicherheitslage in El Salvador gebessert, aber das rechtfertige keine Aushöhlung der Demokratie. Faktisch sei die Rechtsstaatlichkeit bereits ausgehebelt. Derzeit laufe alles auf eine Wiederwahl Bukeles hinaus, was in der Verfassung gar nicht vorgesehen sei.

Friedensprozess in Kolumbien

In Kolumbien versucht Adveniat derweil, den schleppenden Friedensprozess zwischen Regierung und Guerilla konstruktiv zu begleiten. Die Kirche spielt bei den wechselvollen Verhandlungen eine wichtige Rolle. Leidtragender des jahrzehntelangen Konflikts zwischenStaat, linken Guerillagruppen und rechten Paramilitärs ist – wie so oft – die Zivilbevölkerung. "Es wurde in den Jahren des Bürgerkriegsvon allen Seiten auf sie eingedroschen. Das muss endlich ein Ende haben", fordert Maier. Erschwert wird die Lage durch Millionenvenezolanische Flüchtlinge. Sie suchen wegen der Versorgungskrise in ihrer sozialistischen Heimat eine bessere Zukunft im benachbarten Kolumbien.

Missbrauchsskandal in bolivianischen Jesuitenorden

Und es gibt noch eine weitere akute Krise, die den deutschen Geistlichen beschäftigt. In Bolivien hat ein Missbrauchskandal in den Reihen des Jesuitenordens für große Erschütterung gesorgt. Einflussreiche politische Stimmen nehmen dies zum Anlass, das gesamte Staat-Kirche-Verhältnis infrage zu stellen. Maier, der selbst dem Orden angehört, vertritt die Position einer absoluten Null-Toleranz gegenüber Verbrechen des sexuellen Missbrauchs. Die Regeln seien klar: "Wenn uns Vorwürfe bekannt werden, die Partner betreffen, werden die entsprechenden Projekte gesperrt, bis die Fälle aufgeklärt sind." Werde etwas entdeckt, habe das Konsequenzen. "Ein Hilfswerk lebt von Vertrauen", betont der Pater. Ohne dies sei die Arbeit von Adveniat nicht möglich.

Adveniat

Adveniat ist das Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche Lateinamerikas. Der Name leitet sich ab von der lateinischen Vaterunser-Bitte "Adveniat regnum tuum" ("Dein Reich komme"). 

Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. (Adveniat)
Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. / ( Adveniat )
Quelle:
KNA