DOMRADIO.DE: Am Dienstag hat Innenminister Seehofer seinen sogenannten Masterplan Migration vorgelegt. Können Sie dem auch etwas Positives abgewinnen?
Hans Maier (Langjähriger ZdK-Präsident und ehemaliger CSU-Kultusminister): Ja, vor allem den ersten Teil finde ich gut! Der ist ja nun auch nicht von Seehofer inspiriert, sondern von Entwicklungsminister Gerd Müller. Den rechne ich zu den Vernünftigen und in die Zukunft blickenden Personen in der CSU.
DOMRADIO.DE: Die heutige CSU rückt nicht nur nach Meinung vieler Kommentatoren nach rechts. Ist der Partei die christliche Wertorientierung abhanden gekommen?
Maier: Ja, leider. Zunächst einmal in der Sprache. Wenn man heute Menschen aus bedrohten Ländern sieht, die zum Teil ihre Angehörigen verloren haben, die wirklich schlimm dran sind – und wenn man dann von Asyltourismus spricht, wirkt das wie eine zynische Verhöhnung. Also, die Sprache ist der CSU abhanden gekommen und dann auch die spezifische Begrifflichkeit.
Die CSU ist eine christlich-soziale Union. Das Christliche war nach dem Krieg doch die große neue Orientierung gegenüber dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat. Und "sozial" bedeutete, das man nicht die reine Marktwirtschaft, sondern eben die geordnete, die soziale Marktwirtschaft, bevorzugte. Und "Union" bedeutete die Verbindung von Protestanten und Katholiken in einer politischen Partei nach 400 Jahren des gegenseitigen Kampfes zum Unheil der deutschen politischen Kultur. Also diese Orientierungen vermisse ich, die müssten eigentlich allen CSU- und CDU-Politikern ständig im Gedächtnis sein, wenn sie politische Stellungnahmen abgeben.
DOMRADIO.DE: Woher kommt diese Entwicklung, ist es die Angst vor den Landtagswahlen in Bayern?
Maier: Natürlich. Vor den Landtagswahlen schließt sich ja alles zusammen, da darf es keine Flügelkämpfe geben. Und leider sind immer die in der Mitte stehenden, die Liberalkonservativen, diejenigen, die sich am diszipliniertesten verhalten, während die anderen nun ungehemmt zum Teil die Sprache der AfD kopieren.
DOMRADIO.DE: Die CSU fürchtet ja tatsächlich nichts mehr als ein Erstarken der AfD, gerade jetzt im Vorfeld der Landtagswahlen. Haben Sie kein Verständnis dafür, dass man da offenbar versucht, der AfD auf diese Weise das Wasser abzugraben?
Maier: Ja, aber man gräbt einer radikalen Partei das Wasser nicht ab, indem man ihre Sprache übernimmt und sie nachahmt. Die CSU hätte noch genug moralische Autorität in Bayern, um deutlich zu sagen: "AfD, die wählt man nicht. Das ist nicht anständig." Stattdessen hat sie versucht, der AfD verschiedene Begriffe abzunehmen. Und manchmal wird sogar die Angst vor Flüchtlingen, die Angst vor Überfremdung, übersteigert, die ja bei den Populisten immer eine große Rolle spielt.
DOMRADIO.DE: Sie haben die aktuellen Verhältnisse mit denen in der Weimarer Republik verglichen. Ist das nicht ein ziemlich düsteres Szenario?
Maier: Ja, das ist ganz schlimm. Wir erleben ja seit Jahrzehnten eine Auflösung der Volksparteien. Man müsste die Volksparteien – wenn man könnte – unter Artenschutz stellen. Denn ohne die Union und ohne die SPD ist ja die deutsche Nachkriegsgeschichte nicht denkbar.
DOMRADIO.DE: Ist die CSU heute noch ihre Partei? Würden Sie heute noch eintreten?
Maier: Ja, das würde ich schon. Es sind unzählige vernünftige Leute in der Partei. Ich habe ja hauptsächlich mit den Hinterbänklern zusammengearbeitet in den 16 Jahren meiner Amtszeit. Und ich kann nur sagen, es gibt keine Partei, die so im Volk verwurzelt ist, wie die CSU. Sogar mehr noch als die CDU, die ich ja nun aus meiner badischen Zeit auch gut kenne. Und ich hoffe, dass die Vernünftigen wieder erstarken und dass sie sich äußern und dass nicht nur Extremisten die Sprache und die Politik der CSU künftig beherrschen.
Ich habe mich mit Franz-Josef Strauß oft auseinandergesetzt, aber er war ein überzeugter Europäer. Ich habe einige große Reden von ihm gehört, vor allem in Ottobeuren. Das würde heute kein einziger der führenden CSU-Leute noch einmal so machen. Die sind inzwischen sehr viel kleiner und sehr viel provinzieller geworden. Insofern gefährdet die CSU auch ihren Anspruch als bundespolitische Kraft.
Das Interview führte Hilde Regeniter.