Agentur zur Massenumfrage bei kirchlichen Mitarbeitern

"Gemeinden sollen sich einmischen"

Wie geht es den Kirchenmitarbeitern? Diese Frage haben mehr als 25.000 Christen in Deutschland beantwortet. Über die Ergebnisse hat domradio.de mit Martin Sterr, dem Geschäftsführer der Agentur gesprochen, die die Untersuchung durchgeführt hat.

Wie zufrieden sind Gemeindemitglieder? / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Wie zufrieden sind Gemeindemitglieder? / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

domradio.de: Sie haben Gemeindemitglieder und Kirchenmitarbeiter aus 426 katholischen und evangelischen Gemeinden befragt, wie zufrieden sie mit ihrem Job sind. Inwiefern spielte das Thema Arbeitsüberlastung eine Rolle?

Martin Sterr (Geschäftsführer der Agentur des Rauhen Hauses, Hamburg): Natürlich ist die Arbeitsüberlastung ein Thema, das hören wir hier immer wieder. Fast jeder Zweite beschwert sich über Überlastungen und personelle Überdehnung. Viele betonen, dass sie nicht Pfarrer oder Pfarrerin geworden sind, um Verwaltungs- oder Organisationstätigkeiten zu machen.

domradio.de: Nach außen drängt sich das Bild auf, dass in den Gottesdiensten nur noch Senioren sitzen und höchstens zu Weihnachten auch mal Jüngere kommen. Stimmt das?

Sterr: Ja, Überalterung und Nachwuchsmangel sind laut unserer Umfrage tatsächlich die dringendsten Probleme. Im Prinzip haben 80 Prozent angegeben, dass die Volkskirche ein Auslaufmodell ist. Aber der Umkehrschluss ist jetzt nicht, dass wir uns dann nur noch denjenigen zuwenden sollen, die da sind und zu uns kommen. Es besteht vielmehr weiterhin der Anspruch, dass man an alle ein Angebot richtet.

domradio.de: Wie möchte man denn zum Beispiel auf jüngere Menschen zugehen?

Sterr: Den Stein der Weisen haben wir natürlich nicht. Jede Kirchengemeinde hat eine andere Idee, wie eine Lösung aussehen kann. Wir konnten zudem Nord-Süd-Unterschiede feststellen. Im Grunde geht es aber für alle darum, dass neue Ansätze bei den Gottesdiensten und bei den Handreichungen gefunden werden. Man braucht neue spirituelle Zugänge. Denn gerade diese beiden Punkte - Gemeinschaft und Spiritualität - sind als unglaublich wichtig bewertet worden. Mehr als 60 Prozent haben gesagt: "Wir brauchen eine neue aufsuchende Gemeindearbeit und auch neue Mobilitätsangebote." Vielleicht muss die Kirche auch bei Festen präsent sein und da hin und wieder über ihren Schatten springen.

domradio.de: Stichwort "Kirche als Eventmanager"?

Sterr: Da gehen die Meinungen auseinander: Manche sagen: "Man darf nicht alles machen, aber es muss doch mal möglich sein, anstatt in der dunklen Kirche in einem privaten Garten eine Taufe abzuhalten." Das muss aber jede Kirche selber entscheiden.

domradio.de: Was halten die Angestellten denn von den Reformvorschlägen, die sozusagen "von oben" kommen?

Sterr: Jeder Zweite empfindet die als unnütz und als Arbeitsbelastung. Im Einzelfall ist natürlich zu prüfen, was "unnütz" ist und was "Arbeitsbelastung" verstärkt. Viele Dinge können nur von den höheren Ebenen angestoßen und durchgeführt werden. Dagegen beschweren sich nicht wenige Kirchgemeinden, dass sie in der Basis zu viele Probleme hätten, um auch noch Reformprojekte zu begleiten.

domradio.de: Wo haben sich die Befragten denn zufrieden gezeigt?

Sterr: Die Studie hat gezeigt, wie viel Aufbruchsstimmung besteht und welche positiven Herausforderungen vorhanden sind; zum Beispiel was die Flüchtlinge angeht. Ich war ganz überrascht, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Befragten die Flüchtlingsarbeit als Problem ansieht. Ganz im Gegenteil empfinden viele das Thema als Chance und als Herausforderung und übrigens auch als das, was Glaube letzten Endes ausmacht: Man muss Menschen helfen, die in Not sind und mit ihnen arbeiten. Denn das ist es, was Glaube und Kirche leisten sollen.

domradio.de: Insgesamt zeichnet die Studie also nicht ein düsteres Bild, was die Zukunft unserer Kirche angeht?

Sterr: Als düster kann man das Ergebnis nicht bezeichnen. Was rauskam ist, dass wir Probleme haben, die können wir auch beschreiben und die lassen sich nicht wegdiskutieren. Aber es gibt auch Chancen. Eine Chance ist etwa, dass Kirche noch eine gesellschaftliche Relevanz hat. Es gibt ja immer mal wieder den Vorwurf, die Kirche solle sich aus politischen und gesellschaftlichen Fragen heraushalten und sich stattdessen um die Mühseligen und Beladenen kümmern. Das bestätigt die Studie aber gar nicht. Sondern Kirchen, Kirchengemeinden sollen sich einmischen, sollen auch Stellung beziehen, sollen Gesicht zeigen, wenn sie es wollen. Das gilt dann nicht nur für den Pastor oder die Pastorin, sondern für die ganze Kirchgemeinde.  

Das Interview führte Uta Vorbrodt. 


Quelle:
DR