Alten- und Familienhilfe Bensberg feiert Erfolgsgeschichte

Eine Win-win-Situation für beide Seiten

Sie sind da für die vielen Gefälligkeiten, die das Leben von Menschen, die auf andere angewiesen sind, im Alltag leichter machen und Senioren sogar oft das Heim ersparen: Nachbarn, die offiziell und doch ehrenamtlich einspringen.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Die Alten- und Familienhilfe Bensberg steht seit 40 Jahren für schnelle und unbürokratische Hilfen im Alltag / © Tom Weber (privat)
Die Alten- und Familienhilfe Bensberg steht seit 40 Jahren für schnelle und unbürokratische Hilfen im Alltag / © Tom Weber ( privat )

Als Blessing O. nach drei Wochen aus dem Krankenhaus entlassen wird, hat die 30-jährige Flüchtlingsmutter aus Nigeria noch keine Kraft, ihre drei kleinen Kindern selbst zu versorgen, geschweige denn, sie in den Kindergarten oder die Schule zu bringen. 

Immer wieder muss sie große Pausen einplanen und sich zuhause hinlegen. Die Nachwirkungen ihrer schweren Krebs-OP spürt sie jeden Tag, nur allmählich kommt sie wieder auf die Beine. Ohne Hilfe – ihr Lebensgefährte wird nach wochenlangem Sonderurlaub wieder im Betrieb gebraucht – kann sie ihren Alltag nicht mehr bewältigen. Da ist das Angebot der Alten- und Familienhilfe Bensberg e. V. (AFH), vorübergehend die Fahrdienste der Kinder zu Kita und Schule unentgeltlich zu übernehmen, ein wahrer Segen für die junge Frau. Aufmerksam geworden auf ihre Not war während des Klinikaufenthalts eine Bettnachbarin, die nach ihrer Entlassung umgehend den Kontakt zu der Bensberger Initiative hergestellt hatte.

 

Auch Maria P., 87 Jahre alt und seit vielen Jahren verwitwet, wüsste nicht, was sie ohne Christa Büchel, ihre Helferin machen würde, die die fast vollständig blinde alten Dame regelmäßig besucht, um nach dem Rechten zu sehen, kleine Einkäufe zu erledigen, sie zum Arzt zu begleiten oder ihr manchmal auch nur ein wenig Gesellschaft zu leisten. Denn wenn man nicht mehr fernsehen oder eine Zeitung lesen kann, können die Tage unerträglich lang werden. Eigentlich müsste die betagte Seniorin in ein Altenheim umziehen, aber noch kann sich Maria P. zu diesem Schritt nicht entschließen. In den eigenen vier Wänden wohnen bleiben zu können, wo sie jede Nische kennt, jeden Schritt bemessen kann, ist ihr größter Wunsch. "Hier habe ich alles, was ich brauche", erklärt sie mit fester Stimme. "Außerdem gibt es ja noch meine Kinder und Enkelkinder. Immer kommt jemand vorbei." Nur am Vormittag könne sich natürlich niemand kümmern. "Da ist jeder bei der Arbeit oder in der Schule."

Zuständig für Besorgungen und Gespräche

Maria P. ist dankbar für die Abwechslung eines Besuchs. Sobald sie hört, dass die Tür geht und sie jetzt für anderthalb oder zwei Stunden eine Gesprächspartnerin hat, blüht sie sichtlich auf. Denn zu erzählen hat die quirlige Frau immer genug und Wünsche für Besorgungen, die erledigt werden müssten, auch, so dass die zwei Frauen die kurzweilig miteinander verbrachte Zeit, die Büchel als Dienst am Nächsten versteht, sehr genießen. Am Ende ist es eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Madelaine Schmidt und Diane Schmidbauer bei der ehrenamtlichen Arbeit im Büro der AFH / © Beatrice Tomasetti (DR)
Madelaine Schmidt und Diane Schmidbauer bei der ehrenamtlichen Arbeit im Büro der AFH / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Christa Büchel arbeitet seit 20 Jahren ehrenamtlich für die Alten- und Familienhilfe, eine als Nachbarschaftshilfe gegründete Hilfseinrichtung in Bensberg, die stundenweise Ehrenamtskräfte schnell und unbürokratisch an kranke, alte, behinderte und oft einsame Menschen für die Unterstützung im Haushalt oder auch bei der Gartenarbeit vermittelt. Bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2012 hat sie als Diätassistentin und Ernährungsberaterin, zuletzt in einer psychosomatischen Klinik gearbeitet, aber zuvor viele Jahre auch in einem Altenheim. Von daher weiß sie, welchen alltäglichen Unterstützungsbedarf alte Menschen haben, wenn sie nicht mehr mobil sind und ihre Selbständigkeit längst eingebüßt haben. Die 72-Jährige steht aus Überzeugung hinter diesem Prinzip der unkomplizierten Hilfe, profitiert – wie sie erklärt – aber auch selbst davon. "Mir imponiert die Grundidee, die dahinter steckt. Wo gibt es sonst so etwas schon! Und ich selbst ziehe aus meinem Engagement die Bestätigung, für andere noch etwas wert zu sein."

Christa Büchel

"Ich bin gerne mit Menschen zusammen, die etwas zu erzählen haben, und neugierig auf ihre Lebensgeschichte. Da schaue ich dann auch nicht auf die Uhr."

Büchel hat auch schon für die Kinder einer Schwangeren, die viel liegen musste, gekocht oder deren Hausaufgabenbetreuung übernommen. Doch besonders am Herzen liege ihr, sagt die Seniorin, für ältere Menschen etwas tun zu können. Dabei habe sie immer auch das Vorbild ihrer Mutter als "Grüne Dame" vor Augen hat. "Ehrenamt wurde bei uns zu Hause stets hochgeschätzt. Das kenne ich nicht anders. Außerdem bin ich gerne mit Menschen zusammen, die etwas zu erzählen haben, und neugierig auf ihre Lebensgeschichte. Da schaue ich dann auch nicht auf die Uhr." 

Ihr sei wichtig, das Alter wertzuschätzen, gerade wenn jemand gebrechlich werde oder sich bei einer beginnenden Demenz wesentliche Teile der eigenen Biografie allmählich auflösten, was immer schmerzlich mitzuerleben sei. Doch selbst dann blieben immer noch genügend Anknüpfungspunkte für ein Gespräch, zum Beispiel alte Fotoalben, in denen man gemeinsam blättern könnte, Spaziergänge, einfache Gedächtnisspiele oder Gespräche über das, was im Leben des anderen über Jahrzehnte einmal eine wesentliche Bedeutung hatte wie zum Beispiel der Garten oder ein besonderes Hobby. "Meist wird ja gerade eine solche Erinnerung nicht verschüttet."

Für die Betreuung von Demenzerkrankten qualifiziert

Büchel gehört bei der Alten- und Familienhilfe zu den Ersten, die eine Qualifikation zur Betreuung von Demenzerkrankten absolviert hat. Denn hier ist der Bedarf – seit Gründung des Vereins vor 40 Jahren mit heute insgesamt 120 Helferinnen und Helfern – zusehends größer geworden. Und darauf mit einer Expertise reagieren zu können, ist dem neunköpfigen Vorstandsteam wichtig. "Das muss man sich ja auch zutrauen, mit einem dementiell Erkrankten angemessen umgehen zu können", erklärt Maria Klein, ebenfalls als Alltagsbetreuerin nach Paragraf 87 eigens dafür ausgebildet. Auch sie hat einige Jahre vor ihrer Tätigkeit für die AFH in einem Seniorenheim gearbeitet und kennt alle Phasen von Demenz. 

Margret Blazek ist als Vorstandsmitglied seit der ersten Stunde mit dabei / © Beatrice Tomasetti (DR)
Margret Blazek ist als Vorstandsmitglied seit der ersten Stunde mit dabei / © Beatrice Tomasetti ( DR )

"Man sollte in einfachen Sätzen sprechen, viel Empathie mitbringen und sich in der Kommunikation sehr vorsichtig herantasten, sonst lehnen Menschen mit einer Demenzerkrankung Hilfen oft brüsk ab mit der Begründung ‚Ich will hier keinen fremden Menschen’." Förderlich dagegen sei, behutsam auf deren Wünsche einzugehen und nicht zu widersprechen, eher zu bestätigen. Auch Singen könne ein sogenannter "Türöffner" sein, zumal zwar das Kurzzeitgedächtnis kaum noch funktioniere, aber sie oft noch zu altbekannten Melodien Zugang hätten. "Man muss sich schließlich klar machen, dass solche Menschen in ständiger Angst leben und je nach Stadium auch ein großes Schamgefühl haben, inzwischen vieles zu vergessen", so die 74-Jährige, die eigentlich gelernte Betriebswirtin ist. Klein spricht nicht nur für sich, als sie betont, dass alle ihre Kolleginnen und Kollegen mit Herzblut bei ihren Einsätzen dabei seien. "Wir tun eben gerne etwas Gutes, das macht die Erfolgsgeschichte der AFH aus."

Margret Blazek

"Im Schnitt erreichen uns fünf Anfragen pro Tag, bei denen vor allem Kinder zur eigenen Entlastung eine vorübergehende Hilfe für ihre alten Eltern brauchen oder auch nur die Unterstützung bei einem punktuellen Ereignis wie bei der Begleitung zum Arzt."

"Sich mit einer Demenz zu outen ist immer noch ein Tabu", weiß auch Margret Blazek als Vorstandsmitglied aus ihrer jahrzehntelangen Arbeit bei der AFH. Obwohl sie klar stellt, dass es seitens des Vereins nur Unterstützung für die Betreuung von mit leichter Demenz Erkrankten geben könne und auch grundsätzlich die Helferinnen keine professionelle Pflege kompensieren könnten, gibt es hier einen wachsenden Bedarf. "Im Schnitt erreichen uns fünf Anfragen pro Tag, bei denen vor allem Kinder zur eigenen Entlastung eine vorübergehende Hilfe für ihre alten Eltern brauchen oder auch nur die Unterstützung bei einem punktuellen Ereignis wie bei der Begleitung zum Arzt."

Dann schauen die Damen im Büro in ihrem Karteikasten – da stehen die gelben Karten für die Helfer und die blauen für die zu Betreuenden – wer spontan verfügbar ist und wer zu wem passen könnte. "Denn natürlich muss die Chemie stimmen", argumentiert Blazek, die mit dem Vorstand gerade an einer Digitalisierung und damit an einer Professionalisierung des Systems arbeitet.

Hinter Verein steckt die Grundidee einer Nachbarschaftshilfe

Die pensionierte Oberstudienrätin hat 39 Jahre an einem Gymnasium unterrichtet, 1983 aber dieses Projekt in Trägerschaft der örtlichen katholischen und evangelischen Kirchengemeinden sowie des Roten Kreuzes mit aus der Taufe gehoben und zeitweilig auch den Vorsitz übernommen. "Mir hat die Grundidee dieser Nachbarschaftshilfe von Anbeginn gefallen", unterstreicht die heute 75-Jährige, "weil ich oft erlebt habe, dass alte Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen und ich als berufstätige Mutter von zwei Kindern damals selbst auch keine Kapazitäten hatte, mich zu kümmern." 

Die Chemie zwischen Helferin und Betreuungsperson muss stimmen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Chemie zwischen Helferin und Betreuungsperson muss stimmen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Sie freut sich, dass dieses Modell, das von Mitgliedsbeiträgen und durch Spenden finanziert wird, selbst nach vier Jahrzehnten noch trägt und – auch angesichts der demografischen Entwicklung – aktueller denn je ist, so dass immer wieder Nachwuchskräfte, die für ihren Einsatz eine begrenzte Aufwandsentschädigung bekommen, gesucht werden. Die pensionierte Lehrerin betont: "In einer Zeit, in der die familiäre Gemeinschaft auseinander bricht, die Nachbarn unbekannt bleiben und Menschen mehr und mehr der Vereinsamung und Isolierung ausgeliefert sind, müssen wir uns verstärkt darauf besinnen, dass wir alle in einem Boot sitzen und aufeinander angewiesen sind."

Ökumenische Alten- und Familienhilfe Bensberg e. V.

An diesem Sonntag wird das 40-jährige Bestehen der ökumenischen Alten- und Familienhilfe Bensberg e. V. um 10 Uhr in der evangelischen Kirche Bensberg mit Pfarrer i. R. Heinz-Peter Janßen, 1984 Gründungsmitglied, und Prädikantin Claudia Heidkamp gefeiert. Im Anschluss sind alle Mitglieder, Freunde und Förderer ins Gemeindezentrum eingeladen. (DR)

Senior mit Rollator / © Kira Hofmann (dpa)
Senior mit Rollator / © Kira Hofmann ( dpa )
Quelle:
DR