"Unser Land ist Frieden" steht auf Arabisch an den Mauern der Rosenkranzschwestern in Gaza-Stadt. Die Sicherheitskamera am Eingangstor zum Gelände hat in den frühen Morgenstunden des 12. Mai minutiös den Krieg aufgezeichnet: Ein Einschlag; die Straße birst. Meterhoch wirbeln Stücke von Asphalt und Sand auf. Es folgt ein Feuerball, dann Finsternis.
Knapp eine Minute braucht es, bis sich der gröbste Staub des israelischen Luftangriffs legt. "Das Haus wackelte wie bei einem Erdbeben", sagt Schwester Nabila Saleh, die Leiterin der Schule, die sich wie der Kindergarten der Schwestern mit auf dem Gelände befindet.
"Immer bereit für den Tod"
Drei Tage fielen die Bomben rund um die Ordensfrauen. Das Ziel: ein Hamasposten hinter dem Konvent. Drei Tage hätten sie im Ordensgewand geschlafen, sagt Schwester Nabila, "immer bereit für den Tod". Auf der Straße vor dem Konvent sind die größten Schäden inzwischen beseitigt.
Christliche Jugendliche haben sich mit dem Waffenstillstand den Schulhof als Spielfläche zurückerobert. An diesem Tag wollen sie mit dem Fahrrad ans Meer, erstmals nach dem Ende der jüngsten Kampfhandlungen zwischen der Hamas und Israel. Der Übermut ist spürbar; freitags sind die Straßen leer. Kamal Anton strahlt.
"Ich habe eine Plastikflasche zwischen den Rahmen und den Hinterreifen geklemmt, damit es klingt wie ein Motorrad", sagt er. Zum Beweis brettert der Zehnjährige mit ohrenbetäubendem Knattern über die Strandpromenade. "Ich hoffe, diese Kriege sind jetzt vorbei", sagt Suhail Abu Daoud.
"Ich will meine Familie nicht verlieren"
Für den 16-Jährigen, der gerade die Schule abgeschlossen hat, war es der vierte Krieg seines Lebens. "Ich will meine Familie nicht verlieren. Ich will einfach nur, dass es uns gut geht!" Familie Abu Daoud hat den Krieg ohne Verletzungen und ohne materielle Schäden überstanden.
Andere Familien hatten weniger Glück. Von rund 400 christlich bewohnten Häusern sind bei den Luftangriffen zwei zerstört und mehr als 50 beschädigt worden, sagt der katholische Pfarrer der 133-Seelen-Gemeinde, Gabriel Romanelli. Mehrere Familien fanden Zuflucht in den Räumen der Pfarrei "Heilige Familie".
Auch sie hat Schaden davongetragen. Weite Teile der für die Notstromversorgung wichtigen Solaranlage wurde durch Schrapnellgeschosse zerstört. "Caritas muss greifbar sein, im Gebet, aber auch in der konkreten Hilfe", betont der argentinische Ordensmann von der Gemeinschaft "Verbo encarnado" (Fleischgewordenes Wort).
Krieg und Krankheit
Persönlich kämpfte er unter dem Bombenhagel noch an einer ganz anderen Front: Romanelli hat Krebs. Seine letzte Chemotherapie fiel in die Zeit der Luftangriffe. "Ein Mitbruder hat mir gesagt: Bist Du Dir dessen bewusst, dass Du in Gaza bist mit all seinen Katastrophen, mit Covid-19, mit dem Krieg. Du bist krank und arbeitest, wie machst Du das? Ich antwortete ihm: Das genau ist die Lebensrealität der Menschen von Gaza - mit Covid-19, mit Krieg und mit diversen Krankheiten."
Das Adrenalin habe ihn in jenen Tagen angetrieben. "Am Tag nach dem Krieg waren wir alle todmüde", erinnert er sich. Dennoch habe er sich gezwungen weiterzumachen. Nicht nur Gruppentreffen und psychologische Hilfe organisierte die Pfarrei, auch das Fronleichnamsfest wurde groß gefeiert.
Feiern? Ja klar
Romanelli: "Man könnte fragen, ob man zehn Tage nach dem Krieg schon wieder feiern kann. Ich sage ja. Das ist es, was es braucht, denn das Trauma zeigt sich nicht am Tag danach." In der Schule der Rosenkranzschwestern prüfen unterdessen Ingenieure, ob die Schäden reparabel sind.
Getroffen hat es vor allem den von der Straße abgewandten Schulflügel. Sind die Fundamente zu stark beschädigt, müssen Teile des Gebäudes abgerissen werden. Dann, sagt Schwester Nabila, werden die Kosten in den siebenstelligen Bereich steigen.
1.150 Jungen und Mädchen, davon 75 Christen, besuchen die Schule, die zu den besten Gazas gehört. Die Schulleiterin hofft auf eine Reparatur vor Beginn des nächsten Schuljahrs im August. Schon früher jedoch soll auch hier ein psychologisches Projekt gestartet werden, für die Schwestern ebenso wie für Lehrer und Schüler.
Die Verletzungen der Seele, sagt Pater Romanelli, sind die schlimmsten. Und sie sind unsichtbar.