domradio.de: Im Laufe des Syrienkrieges hatte man zwischendurch den Eindruck, das Regime von Machthaber Baschar al-Assad ist kurz vor dem Zusammenbruch. Warum kann es immer noch so massiv gegen die Opposition vorgehen?
Rene Wildangel (Syrien-Experte von Amnesty International in Deutschland): Naja, es ist eben bis heute so, dass die Assad-Regierung große Teile des Landes kontrolliert. Und in diesem Bericht haben wir uns in erster Line Gefängnisse angeschaut. Und zwar Gefängnisse die vom syrischen Geheimdienst und vom syrischen Militär betrieben werden. Und da steht insbesondere ein Gefängnis im Blickpunkt: das ist das Militärgefängnis Saidnaya. Das ist ein besonders brutales Gefängnis, in dem viele politische Oppositionelle landen. Es befindet sich 30 Kilometer nördlich von Damaskus. Das ist natürlich ein Gebiet, das von der syrischen Regierung in voller Kontrolle ist. Deswegen gibt es auch keine Zugriffs-Möglichkeiten der internationalen Gemeinschaft.
domradio.de: Was wissen Sie über die dortigen Haftbedingungen?
Wildangel: Die syrische Regierung gibt keinerlei Informationen nach außen. Eigentlich sollten Menschen, die in ein Gefängnis kommen, ein rechtstaatliches Verfahren bekommen und vor ein Gericht gestellt werden. Aber das ist hier nicht der Fall. Es werden die meisten politischen Oppositionellen von Militär-Tribunalen abgeurteilt und verschwinden dann in Gefängnissen. Normal gibt es keine Informationen darüber. Amnesty hat 65 Menschen ausfindig gemacht, die diese Tortur durchgemacht haben. Sie haben von ihren Leiden berichtet. Über diese Interviews ist ein Bild entstanden, wie katastrophal die Zustände in den Gefängnissen tatsächlich sind.
domradio.de: Gibt es Möglichkeiten für die Opposition sich gegen die Willkürlichen Verhaftungen zu wehren und ihnen zu entgehen?
Wildangel: Hauptsächlich geht es hier um Menschen, die zum Beispiel seit 2011 auf Demonstrationen gegangen sind und dann verhaftet wurden. Also das sind in erster Linie Zivilisten, politische Oppositionelle, aber auch viele Journalisten, viele Ärzte und humanitäre Helfer. Die haben keine Möglichkeit sich gegen diese massive Staatsmacht zu wehren. Deswegen haben wir diesen Bericht auch veröffentlicht: Weil wir der Meinung sind, dass sich an den Zuständen nur dann etwas ändern kann, wenn die internationale Gemeinschaft handelt. Sie hat sich zu dem handeln eigentlich längst bekannt. Es gibt eine UN-Resolution, in der steht drin, dass diese Folter absolut unzulässig ist und beendet werden muss. Aber bisher ist nichts passiert. wir sind der Meinung, bei kommenden Friedensgesprächen muss dieses Thema "politische Gefangene, Folter" auf die Tagesordnung.
domradio.de: Diese systematischen Übergriffe auf die Opposition sollten, so fordert Amnesty, als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden, und somit sollte man dann auch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen - wie kann das gelingen?
Wildangel: Genau, Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist ja erst mal ein Völkerrechtstatbestand, genau wie auch ein Kriegsverbrechen. Da in den Gefängnissen systematisch und breitflächig gefoltert wird und willkürliche Oppositionelle verhaftet werden, sind wir der Meinung, dass es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Seit Beginn der Krise sind wir der Meinung, dass der internationale Strafgerichtshof eine Rolle spielen sollte. Wir prangern die Straflosigkeit der Regierung an. Das trifft auf das Assad-Regime zu, aber auch auf oppositionelle Gruppen, die Menschenrechtsverletzungen begehen und alle, die konkret foltern .Juristische Möglichkeiten gibt es bereits, sie zur Rechenschaft zu ziehen, was fehlt ist bislang nur der politische Wille.
domradio.de: Weiter fordert Ihre Organisation die Bundesregierung auf, das Thema Menschenrechte besonders in Gesprächen mit Russland und den USA anzusprechen. Alle gewaltlosen politischen Gefangenen müssten sofort freigelassen werden - wie realistisch ist eine solche Forderung angesichts der Gemengelage in Syrien im Moment?
Wildangel: Die Bundesregierung ist Teilnehmer der Unterstützungsgruppe für Syrien, die sich alle paar Monate trifft um über Lösungen zu verhandeln. Da haben wir bisher leider wenige Lösungsansätze gesehen. Und wir sind der Meinung, wenn das Thema prioritär behandelt würde, dass man dann auch Fortschritte erzielen könnte. Die Bundesregierung hat ja auch gute Beziehungen mit Russland und bei diesem Thema könnte sich etwas mit politischem Druck bewegen. Wir müssen damit rechnen, dass dieser Konflikt noch andauert, aber das ist kein Argument dafür, sich nicht für diese Menschen, die dort schlecht behandelt werden, einzusetzen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.