Bemühungen in Schulen und Gedenkstätten, gerade Jüngeren einen kritischen und verantwortungsvollen Umgang mit nationalsozialistischen Verbrechen zu vermitteln, würden durch Aiwangers Verhalten torpediert, sagte Klein den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Freitag). Mit seiner Reaktion auf das antisemitische Flugblatt habe der Chef der Freien Wähler "der Erinnerungskultur in Deutschland geschadet".
Augenscheinlich gehe es Aiwanger "hauptsächlich um die Abwehr des Vorwurfs, als Schüler Judenhass verbreitet zu haben", sagte Klein. Seine Entschuldigung bei den Opfern des NS-Regimes sei "erst nach Tagen auf massiven Druck von außen" erfolgt. Es falle auch auf, dass Aiwanger die Opfer der Schoah und ihre Nachkommen nicht ausdrücklich erwähnt habe.
Kein verantwortungsbewusster Umgang
"Ein verantwortungsbewusster Umgang mit dem Erbe des schlimmsten jemals von Deutschen begangenen Verbrechens wäre die proaktive und vollumfängliche Aufklärung der eigenen Rolle bei der Erstellung und Verteilung dieses judenfeindlichen Pamphlets", sagte Klein. "Das bisherige Vorgehen des Ministers, sich als Opfer einer gegen ihn gerichteten Kampagne zu stilisieren und sich möglichst spät, möglichst wenig und möglichst empathielos zu äußern, dient als schlechtes Vorbild der Politik für junge Menschen in Deutschland."
Aiwanger steht seit einer Recherche der "Süddeutschen Zeitung" in der Kritik. Demnach steht er im Verdacht, während seiner Schulzeit ein antisemitisches Flugblatt verfasst zu haben. Aiwanger bestritt, Autor des Textes zu sein, der damals in seiner Schultasche gefunden wurde. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe meldete sich sein Bruder Helmut Aiwanger zu Wort und erklärte, er habe das Flugblatt verfasst.
Bei einer Pressekonferenz am Donnerstag erklärte Aiwanger, er "bereue zutiefst", wenn er durch sein Verhalten Gefühle verletzt habe. "Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten an der wertvollen Erinnerungsarbeit", sagte er. Zugleich wies er weitere gegen ihn erhobene Vorwürfe, wie das Zeigen des Hitlergrußes zurück.
"Von langer Hand geplant"
In einem am Donnerstagabend von der "Welt" veröffentlichten Interview, erneuerte der bayerische Vize-Ministerpräsident dann allerdings den Vorwurf einer gegen ihn gerichteten Kampagne. Er sei überzeugt davon, dass die "Süddeutsche Zeitung", "womöglich mit Hilfe anderer Kreise, von langer Hand geplant hatte, mich massiv zu beschädigen und politisch zu vernichten", sagte Aiwanger. In seinen Augen werde die Schoah "zu parteipolitischen Zwecken missbraucht".
Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Niedersachsen, Gerhard Wegner, forderte Aiwanger zum Rücktritt auf. "Anstatt sich hinzustellen und sich in angemessener und wirklich glaubwürdiger Weise für diese unsägliche und auch eklige Schrift zu entschuldigen, wird verschleiert, wie es dazu gekommen ist. Das finde ich absolut unbefriedigend", sagte der Theologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). Seit Bekanntwerden der Vorwürfe gibt es bundesweit Kritik an Aiwanger. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatten Aufklärung und Konsequenzen gefordert.