DOMRADIO.DE: Eine Gemeindereferentin des Erzbistums Köln wird eine Segnungsfeier für sich liebende Paare gestalten, in der höchstwahrscheinlich auch gleichgeschlechtliche Paare durch hauptamtliche Seelsorgerinnen und Seelsorger gesegnet werden. Muss sie jetzt ähnlich wie Pfarrer Ullmann mit einer Maßregelung rechnen?
Prof. Dr. Bernhard Anuth (Abteilung für Kirchenrecht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen): Theoretisch kann der Erzbischof sie dafür – vergleichbar dem Pfarrer Ullmann – tatsächlich arbeitsrechtlich belangen, mit einer Abmahnung zum Beispiel, wenn sie dort im dienstlichen Zusammenhang als Gemeindereferentin auftritt.
Dann ist nicht entscheidend, dass das Ganze nicht in der katholischen Kirche stattfindet, sondern ihre Rolle wird dann den Unterschied machen. Wie wahrscheinlich es ist, dass der Erzbischof arbeitsrechtliche Maßnahmen ergreift, das lässt sich allerdings schwer prognostizieren.
DOMRADIO.DE: ... weil wahrscheinlich der öffentliche Druck auch in den Medien besonders hoch ist, nehme ich an.
Anuth: Da spielen auch politische Abwägungen eine Rolle.
DOMRADIO.DE: Was würde denn dem Erzbistum Köln aus Rom drohen, wenn es gar keine Konsequenzen gäbe?
Anuth: Auch das ist schwer zu prognostizieren. Der Pfarrer Ullmann ist offensichtlich aus dem Kontext der Gemeinde heraus in Rom angezeigt und daraufhin der Erzbischof von Köln aufgefordert worden ihn zu maßregeln.
Für die Römische Kurie macht es erfahrungsgemäß einen Unterschied, ob ein Priester solche Handlungen vollzieht oder hier eine Laienseelsorgerin. Es ist nicht sicher, dass eine erneute Denunziation in Rom wieder zwingend zu einer solchen Aufforderung an den Erzbischof führt. Aber das bleibt im Ergebnis abzuwarten.
DOMRADIO.DE: Der emeritierte Bonner Kirchenrechtler Norbert Lüdecke hat vor einiger Zeit zu bedenken gegeben, dass eine solche Segnung aufgrund des bestehenden Verbots lediglich eine "Als ob"-Handlung sei und bestenfalls als Akt der Solidarität gelten könne. Der Moraltheologe Jochen Sautermeister hingegen verweist auf die Gewissensfreiheit und betont, dass Segnen kein moralisches Instrument sei. Wer hat denn jetzt an dieser Stelle recht?
Anuth: Ich glaube, beide Kollegen meinen Unterschiedliches, wenn sie von Segen sprechen. Der Bonner Kollege Norbert Lüdecke hat für seine Äußerung einen regelrechten Shitstorm in Social Media geerntet, dessen Tenor so ungefähr war: Segnen darf jeder Mensch und insofern kann das Kirchenrecht das auch niemandem verbieten. Diese Kritik halte ich in der Sache für nicht gerechtfertigt.
Denn wenn es um Sakramentalien geht, also um amtliche liturgische Handlungen, durch die im Namen der Kirche und auf Fürsprache und Fürbitte der Kirche hin Gottes Segen für jemanden oder etwas erbeten wird, dann ist das im amtlichen Sinn Liturgie. Sakramentalien kann nur die oberste kirchliche Autorität einführen, ändern oder abschaffen.
Da, wo es um einen Segen der Kirche geht, also auf Fürsprache der Kirche und mit dem Anspruch, dass sie hier vermittelnd zwischen Gott und die Menschen tritt, da ist der Segen ein anderer als der private, individuelle Segen.
Wenn der Vater, die Mutter, das Kind auf dem Schulweg segnet oder auch eine Gemeindereferentin oder ein Priester als Person jemandem oder einem Paar Segen zuspricht, dann heißt das beides zwar "Segen”, meint aber nach Lehre und Recht der Kirche etwas Unterschiedliches.
Dieses amtliche Handeln im Namen der Kirche ist nicht in die freie Gewissensentscheidung von Seelsorgenden gestellt, sondern unterliegt den kirchlichen Regeln und den kirchlichen liturgischen Büchern.
DOMRADIO.DE: Es ist also völlig irrelevant, ob es ein Priester ist, eine Gemeindereferentin, ob es ein hauptamtlicher oder ein ehrenamtlicher Mitarbeiter ist. Das Wesentliche ist der offizielle öffentliche Gottesdienst, in dem es getan wird?
Anuth: Man kann in einem öffentlichen Gottesdienst persönlich segnen. Wenn die Gemeindereferentin bei dieser liturgischen Feier in der evangelischen Kirche jetzt Paaren ihren Segen zuspricht, eine Beziehung segnet, dann tut sie das als Person, als Individuum, als gläubige Christin, aber sie tut es nicht im Namen der Kirche.
Das kann sie nämlich nach Lehre und Recht der katholischen Kirche gar nicht, weil es dafür kein amtlich gebilligtes liturgisches Buch, kein Formular, gibt und weil Laien ohnehin nur solche Sakramentalien spenden können, für die das im liturgischen Recht ausdrücklich vorgesehen ist.
Also schon die Tatsache, dass hier eine Gemeindereferentin segnet, lässt vermuten, dass es sich der einer solchen Segnung nicht um ein Sakramentale handelt. Dieser Unterschied ist in der Diskussion um die beiden Äußerungen der Kollegen Lüdecke und Sautermeister nach meiner Wahrnehmung ziemlich untergegangen.
DOMRADIO.DE: Auch wenn äußerlich alles nach einer offiziellen Handlung der Kirche aussieht, ist diese Segnung nicht das, als was sie wahrgenommen wird?
Anuth: Genau so. Die Glaubenskongregation hat in einer Antwort auf einen vorgelegten Zweifel aufgrund entsprechender Initiativen erst vor kurzem erklärt, dass die Kirche keine Vollmacht habe, homosexuelle Paarbeziehungen zu segnen. Daraus ergibt sich, dass auch keine Teilkirche ein solches Formular einfach schaffen kann. Sie müsste es in Rom vorlegen.
Wenn es heißt, der Synodale Weg habe – so ist es medial oft berichtet worden – schon Segnungen homosexueller Paare eingeführt, dann ist das ein Missverständnis des Beschlusses der Synodalversammlung. Diese hat sich lediglich gewünscht, dass solche Segnungen eingeführt würden. Das aber geht nach amtlicher Lehre und geltendem Recht nur über Rom.
Die Bischöfe müssten ein solches Formular in Rom beim zuständigen Dikasterium oder direkt beim Papst zur Approbation vorlegen. Wenn diese gewährt wird, kann es solche liturgischen Feiern als öffentliche Liturgie der Kirche, als Sakramentale, geben. Alles andere ist bis dahin nur ein individuelles Handeln, ein persönlicher Segen, auch wenn dabei der falsche Eindruck entsteht oder erweckt wird, hier werde im Namen der Kirche gehandelt.
DOMRADIO.DE: Jetzt hat der Antwerpener Bischof Johan Bonny erzählt, dass solche Segnungsfeiern in Belgien möglich sind, auch mit dem Wissen Roms. Was haben denn jetzt die belgischen Bischöfe anders gemacht als die deutschen Bischöfe beziehungsweise der Synodale Weg, der sich ja aus Rom ein Verbot einkassiert hat?
Anuth: Ich habe diese Wortmeldung von Bischof Bonny beim Synodalen Weg mit großem Interesse tatsächlich live gehört und daraufhin recherchiert, was denn die flämischen Bischöfe da beschlossen haben. Der Text steht im Internet und es handelt sich dabei um eine Anregung zur Gestaltung von Seelsorge an und mit Menschen in Paarbeziehungen, die die katholische Kirche amtlich nicht anerkennt.
Es ist eben kein amtlicher Segen, der dort vorgesehen ist, sondern es geht um ein gemeinsames Beten um Segen. Das ist zulässig, das ist mit dem Katechismus vereinbar und insofern auch widerspruchsfrei zu Lehre und Recht der Kirche möglich: Gemeinsam mit Menschen zu beten, die in einer – so sagt die Kirche ja – irregulären Lebenssituation sind, ist jedem Seelsorger unbenommen.
Insofern ist dieses Papier der flämischen Bischöfe vermutlich auch aus päpstlicher Sicht unproblematisch, denn Bischof Bonny hat ja gesagt, er habe dem Papst zweimal davon erzählt. Es geht schließlich nicht um einen neuen liturgischen Ritus der Kirche, der hier eingeführt worden wäre.
DOMRADIO.DE: Mit dem neuen Präfekten Víctor Manuel Fernández scheint im Dikasterium für die Glaubenslehre bald ein neuer Wind zu wehen. Denn dieser hat in einem Interview gesagt, dass er sich eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare grundsätzlich vorstellen könne, sofern deutlich unterschieden würde, dass es sich hier nicht um eine Eheschließung handelt. Kann man den Schalter eines Verbots so einfach umlegen, dass dann solche Segnungsfeiern wie die in Wülfrath künftig ohne Probleme möglich sein werden oder was muss dafür in Rom geschehen?
Anuth: Es müsste sich die kirchliche Lehre ändern. Alle meine bisherigen Auskünfte habe ich Ihnen ja auf der Grundlage der geltenden Lehre und des darauf basierenden Kirchenrechts gegeben. Wenn sich die Lehre ändert, ist das Recht leicht anzupassen.
Das Kirchenrecht wird deshalb nach meinem Dafürhalten häufig zu Unrecht zum Buhmann gemacht. Das dem Segnungsverbot zugrunde liegende Problem ist schließlich die kirchliche Sexualmoral, die geschlechtliche Akte nur in der heteronormativ bestimmten Ehe, also zwischen Mann und Frau, die miteinander verheiratet sind, für sittlich legitim erklärt.
Alles außerhalb der Ehe – Sexualität mit sich allein und mit anderen Menschen, mit denen man nicht verheiratet ist, egal welches Geschlecht sie haben – gilt der Kirche immer als schwere Sünde. Damit gibt es in der amtlich geltenden Sexualmoral keinen Spielraum für eine positive Würdigung gelebter Homosexualität.
Moraltheologen machen durchaus plausible und mir theologisch sympathische Vorschläge zu einer Neugestaltung und Neufassung der kirchlichen Sexualmoral – auch dazu hat sich der Kollege Sautermeister ja schon verschiedentlich geäußert.
Wenn die Kirche anerkennen könnte, dass auch nicht heterosexuelle Liebe geschlechtlichen Ausdruck finden darf, dann fiele das inhaltliche Problem bzw. die inhaltliche Grundlage des Segnungsverbots weg, denn die besteht ja gerade darin, dass die Kirche sagt: Wir können diese Beziehung nicht segnen, weil sie einen Zustand dauerhafter schwere Sünde impliziert.
Den einzelnen, auch homosexuellen Menschen, kann schon heute jeder Seelsorger auch amtlich segnen. Aber eine Beziehung, in der Sex stattfindet, der laut Katechismus sittlich immer in sich schlecht und deshalb in keinem Fall zu billigen ist, von der sagt die Kirche: Das können wir nicht segnen.
DOMRADIO.DE: Solange sich die kirchliche Lehre in dieser Frage nicht ändert, könnte man aber auch einfach die Härte der Sanktionen abmildern oder ganz darauf verzichten, wie es ja einige deutsche Bischöfe bereits angekündigt haben.
Anuth: Das ist meine Wahrnehmung für die Mehrzahl der deutschen Bistümer nach dem Beschluss des Synodalen Weges, dass das wohl die Linie sein wird, die viele Diözesanbischöfe zu gehen versuchen. Und wenn dann die Gläubigen damit zufrieden sind, wird das vermutlich auch funktionieren.
Ich plädiere nur für Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit den Betroffenen gegenüber: Ich finde, man sollte ihnen klar sagen, ob eine liturgische Handlung den Segen der Institution Kirche impliziert oder ob es sich "nur” um den Segen einzelner Seelsorgender handelt. Der kann den Paaren ja trotzdem guttun und sie können ihn als Zuspruch, als Gutheißung empfinden, sollten aber ehrlicherweise wissen, dass dann ein solcher Segen nicht im Namen der Kirche geschieht.
Wenn sie trotzdem damit zufrieden sind, soll mir das persönlich gerne recht sein. Ich kann mir für mich allerdings nicht vorstellen, dass mir dies genügte – wenn ich denn betroffen wäre – , solange im Katechismus weiterhin steht, dass Homosexualität in sich ungeordnet und alle homosexuellen Handlungen ausnahmslos immer in sich schlecht sind. Wenn aber jemand mit dieser Lehre leben kann und sich trotzdem segnen lassen möchte, dann respektiere ich das.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.