Dass Gottesdienste von Freikirchen immer wieder zu Superspreader-Ereignissen in der Corona-Krise werden, hängt nach Ansicht des evangelischen Theologen Martin Fritz auch mit der gefühlsbetonten Frömmigkeit der Gläubigen zusammen. "Das Gemeindeleben hat einen ganz anderen Stellenwert, es ist Mittelpunkt des sozialen Lebens", sagte der Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der "Süddeutschen Zeitung" (Donnerstag).
In pfingstlich geprägten Gemeinden falle auch der Verzicht auf das Singen besonders schwer. "Der Lobpreisgesang hat dort eine ganz elementare Bedeutung für die gefühlsbetonte Frömmigkeit."
Fritz: Höhere soziale Verbindlichkeit
Fritz verwies zugleich darauf, dass in Freikirchen generell eine höhere soziale Verbindlichkeit herrsche. Die Quote der Gottesdienstteilnehmer liege zum Teil bei über 70 Prozent; dazu kämen häufig nur relativ kleine Räume, in denen es schwieriger sei, Abstand zu halten.
Der Weltanschauungsexperte nannte auch tiefergreifende religiöse Einstellungen, die die Verbreitung des Virus begünstigen könnten: In einem Teil der Freikirchen gebe es die Tendenz zu einer dualistischen Weltsicht: Der säkularen Welt werde nur wenig Vertrauen entgegengebracht. "Daraus kann schon eine gewisse Anfälligkeit für Verschwörungsmythen erwachsen."
"Warum sollte ich dann noch besonders aufpassen?"
Gerade in charismatisch-pfingstlich geprägten Gemeinden werde zudem eine Frömmigkeit gepflegt, nach der allein Gott darüber bestimme, ob jemand krank wird. Das führe dann zu einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber Vorsichtsmaßnahmen. Auch gebe es apokalyptische Tendenzen, nach denen Corona als Zeichen der angebrochenen Endzeit gedeutet werde. "Und wenn ich das Gefühl habe, das Ende ist nahe, warum sollte ich dann noch besonders aufpassen?"
Der Theologe sprach sich dafür aus, stetig dafür werben, dass "auch Anhänger von Freikirchen in dieser Krisenzeit coronakonforme Wege finden, ihren Glauben zu leben. Wir werden diese Zeit schon überstehen".