Armut in Venezuela wird immer gravierender

Lebensmittel nur auf dem Schwarzmarkt

In Venezuela kommt es immer mehr zu Überfällen und Plünderungen, denn Hunger und Armut haben eine unfassbare Gewalt entfesselt. Selbst die SOS-Kinderdörfer müssen auf dem Schwarzmarkt einkaufen, berichtet deren Pressesprecher.

Venezuelas Präsident Maduro (l) bei einer Militärparade / © Fernando Llano (dpa)
Venezuelas Präsident Maduro (l) bei einer Militärparade / © Fernando Llano ( dpa )

domradio.de: Nachrichten aus Venezuela sind zurzeit selten gut. Aber im Moment ist es richtig dramatisch, warum?

Louay Yassin (Sprecher der SOS-Kinderdörfer): Die Lage aktuell ist so dramatisch, dass es wirklich nichts mehr für die Armen zu essen gibt. Und es gibt auch keinerlei Medizin, die sich die Armen leisten könnten. Und man muss ja dazu sagen: Arm sind dort sehr, sehr viele Menschen. In den letzten Jahren sind unglaublich viele Menschen verarmt. Und die stehen jetzt entweder vor den Läden oder in den Krankenhäusern mehrere Tage Schlange und bekommen nichts für ihr bisschen Geld. Weder Essen noch Behandlung.

domradio.de: Das führt vermutlich auch zu diesem traurigen Rekord, den Venezuela gerade aufstellt, es zählt zu den gefährlichsten Ländern der Welt …

Yassin: Genau das ist das Problem. Die Menschen haben nichts mehr zu essen, es gibt nichts, was sie sich kaufen könnten von dem Bisschen, was sie überhaupt haben. Das heißt, es steigen wirklich viele der Armen um und nehmen sich das, was sie brauchen, mit Gewalt. Die Diebstähle sind explosionsartig gestiegen, aber auch Entführungen und Morde. Und es steigt in dem Land überall die Lynchjustiz, das heißt überall werden kleine Diebe brutal verprügelt, natürlich, weil es da um das Existenzielle geht, manchmal werden sie auch ermordet.

domradio.de: Wie erleben denn Ihre Mitarbeiter die Situation vor Ort? Gibt es für die überhaupt noch Spielraum zum Agieren?

Yassin: Gott ja, das ist nicht ganz einfach, wir handeln natürlich. Wir helfen den Menschen, wo es nur geht. Wir geben Essen aus, wenn wir denn überhaupt daran kommen. Das ist ein Problem, denn man bekommt eigentlich nur noch sinnvoll etwas auf dem Schwarzmarkt. Und da ist es natürlich unglaublich teuer. Das ist die Schwierigkeit, in der wir stecken: Man muss eigentlich möglichst viele Menschen unterstützen, hat aber nicht entsprechend finanzielle Möglichkeiten, um auf dem Schwarzmarkt kaufen zu können. Auch für uns gibt es in den Läden ganz schwierig etwas zu bekommen.

domradio.de: Was muss da passieren, um aus dieser verfahrenen Situation herauszukommen?

Yassin: Eigentlich müsste die Regierung bzw. das Parlament endlich etwas tun. Da sitzen sich politisch zwei Lager gegenüber, das Regierungslager von Maduro und eben die Opposition, die sich massiv bekämpfen. Aber man hat den Eindruck, letztendlich geht es beiden Seiten hier nur um Macht oder Machterhalt. Aber es geht nicht darum, die Misere des Landes zu verändern. Hier muss aber grundsätzlich angesetzt werden, denn alle Hilfsorganisationen können nicht gegen eine Situation im Land arbeiten, die nur darauf ausgelegt ist, dass ein paar Wenige Macht und Geld haben und ihnen die große Mehrheit egal ist.

domradio.de: Von wo könnte denn da Druck kommen?

Yassin: Das kann nur über politischen Druck laufen. Wir in Europa haben die Möglichkeit, dass wir über Spanien agieren. Das ist sicherlich sehr erfolgversprechend. Denn Spanien engagiert sich in ganz Lateinamerika sehr stark. Die hatten auch eine Befriedungsinitiative für Venezuela vorgesehen, die zieht sich natürlich hin, weil das nicht ganz einfach ist. Aber wenn die europäische Politik ganz klar das Mandat Spanien gibt und sagt "Ihr müsst Euch da einigen" und womöglich auch noch Nordamerika mit ins Boot holt, könnte eventuell etwas erreicht werden.

Das Interview führte Silvia Ochlast.


Quelle:
DR