Seit 100 Jahren beerdigen Kölner ihre Toten auf dem Westfriedhof, wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Eröffnet 1917, mitten im Ersten Weltkrieg, ist er wie alle großen Friedhöfe Kölns eine Art Chronik der Stadtgeschichte. Kölner Honoratioren liegen hier neben Fabrikanten, Angehörige traditionsreicher Handwerkerfamilien neben Bombentoten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die breite Allee vom Toreingang zur Trauerhalle im neoklassizistischen Stil atmet den Stolz der alten Domstadt.
Biegt der Besucher links ab und wandert einige Minuten durch das parkartige Gelände mit seinem alten Baumbestand, stößt er auf Gräber, die eigenartig quer zum rechtwinkligen Wegenetz verlaufen. Die Grabsteine schmücken häufig Halbmond und Stern oder arabische Schriftzeichen. Hier haben auch Muslime ihre letzte Ruhestätte gefunden, die meisten stammen aus der Türkei.
Schräge Ausrichtung muslimischer Gräber
"Nach islamischem Ritus bestatten wir die Toten auf der rechten Seite liegend mit dem Gesicht nach Mekka, also Richtung Südost. Deshalb die 'schräge' Ausrichtung der Gräber. So warten sie auf das Jüngste Gericht", erklärt Abdülkadir Ulusoy. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte ein türkisch-islamischer Bestatter wie er hierzulande kaum seine Familie ernähren können. "Früher ließen sich Türken nach ihrem Tod immer in die Türkei überführen. Inzwischen finden 60 Prozent der Beerdigungen hier statt."
Am Geld liegt es nicht, erzählt Ulusoy. Im Gegenteil, die Grabkosten in Deutschland sind deutlich höher als in der Türkei, wo Gemeinden die Gräber meist gebührenfrei zur Verfügung stellen. Allen Berichten über Integrationsprobleme zum Trotz: Die Kinder und Enkel der einstigen Gastarbeiter, die seit Anfang der 1960er Jahre bei Ford, Bayer oder im Braunkohletagebau westlich der Rheinmetropole anheuerten, empfinden Deutschland immer selbstverständlicher als ihr Zuhause, als Heimaterde auch im Tod. Viele Kommunen und Bundesländer kommen dem entgegen, indem sie den islamfremden Sargzwang abschaffen.
Seit rund zehn Jahren dürfen auch in Köln Muslime gemäß der Tradition in weißen Leinentüchern in die Erde gelegt werden.
"Jungfräuliche Erde"
Inzwischen sind mehr als 2.000 Muslime auf dem Westfriedhof bestattet, die ältesten Gräber stammen aus den 1960er Jahren, rund einhundert kommen jedes Jahr hinzu. Einäscherung verbietet der Islam.
Die muslimischen Grabfelder liegen nicht abgesondert wie der angrenzende jüdische Friedhof, sondern verstreut über das Gelände, umgeben von nichtmuslimischen Abschnitten. "Mutter Natur ist ja Eigentum Gottes", sagt der hinzugekommene Imam Yavuz Nar, der schon viele Glaubensbrüder und -schwestern auf dem letzten Weg begleitet hat. "Wichtig ist nur, dass die Toten in 'jungfräulicher Erde' bestattet werden." Und so beten die Angehörigen an den Gräbern ihrer Angehörigen in Sichtweite christlicher Kreuze und Marienfiguren.
Der Blumenschmuck auf den Gräbern ähnelt ganz den deutschen Sitten. Viele Grabsteine zeigen aber eine orientalische Formensprache, tragen arabeske Muster oder Koranverse. "Ruhuna Fatiha" ist oft zu lesen. "Es bedeutet soviel wie: 'Bete eine Fatiha für meine Seele', die erste Sure des Koran", erklärt Nar. Sie ist eine Art islamisches "Vaterunser" und begleitet den gläubigen Muslim in tausend Lebenslagen: "Bismillahi Rahmani Rahim", beginnt sie - "Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes....Dir dienen wir und Dich bitten wir um Hilfe. Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen Du Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die Deinem Zorn verfallen sind und irregehen."
Tod keine Strafe Gottes
Der Tod ist im Islam kein Ergebnis einer Ursünde, keine Strafe Gottes. Das Lebensende ist etwas ganz Natürliches, das der Schöpfer jedem Menschen vorherbestimmt hat. Der Gläubige geht ein in die Obhut Gottes bis zur Auferstehung beim Jüngsten Gericht. Nach islamischer Überlieferung befragen die Todesengel Munkar und Nakir den Verstorbenen schon im Grab nach seiner Religion. Auf falsche Antworten folgt die Peinigung, später dann das ewige Höllenfeuer.
Manch fortschrittlicher Theologe sieht es gelassener. Auch Gläubige der anderen monotheistischen Religionen können nach einiger Zeit in der Verdammnis ins Paradies gelangen, lautet eine Meinung. "Am Ende weiß Allah es am besten", sagt der Imam.
Einige Dutzend Meter weiter spielen diese Fragen keine Rolle: Auf einem frischen Gräberfeld sind Babys bestattet, die tot geboren wurden oder kurz nach der Geburt starben, Kinder von Muslimen und Nichtmuslimen. Hier liegt Ali neben Gabriel und Johanna neben Fatme.
Kleine weiße Kreuze stehen neben islamischen Holztafeln. Ein Grab haben die Eltern liebevoll mit weißen Kieselsteinen umrandet, auf einem anderen stehen Engelsfiguren. Die Blicke von Abdülkadir Ulusoy und Yavuz Nar schweifen über die Grabhügelchen. Laut einem überlieferten Ausspruch des Propheten Mohammed kommt jeder Mensch als Muslim zur Welt, Christ, Jude oder Hindu wird er erst durch religiöse Erziehung.
Christlich-muslimisches Gemeinschaftsgrab
Dann zupft der Bestatter den Besucher am Ärmel. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch etwas." Der Weg führt zum Gemeinschaftsgrab eines Ehepaares - er Muslim, sie Christin. "Bei der Beerdigung der Frau betete zuerst ein katholischer Priester und dann ein islamischer Hodscha. Da spürte man einen großen Frieden über der Trauergemeinde." Und was sagen die religiösen Vorschriften dazu? Eigentlich sei die Bestattung von Christen und Muslimen in ein und demselben Grab nicht gestattet, sagt der Imam und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen.
"Aber in Deutschland ist vieles anders. Da passt man sich an."