Auf der Suche nach Religion und Gott auf der Frankfurter Buchmesse

Glaubensfragen im Bücherherbst

"Meine liebste Himmelsrichtung ist oben", schreibt Jo Lendle in seinem Roman "Himmelsrichtungen". Nicht nur er blickt in diesem Bücherherbst ganz nach oben. Wir bummeln über die Frankfurter Büchermesse und fragen nach Gott.

Autor/in:
Johannes Schröer
Frankfurter Buchmesse 2024 / © Boris Roessler (dpa)
Frankfurter Buchmesse 2024 / © Boris Roessler ( dpa )

"Literatur macht aufnahmefähig für das Wort Gottes". Franziskus hat das in einem aktuellen Papstbrief über die Bedeutung von Literatur geschrieben. In dem Brief möchte Franziskus uns die Augen für Literatur öffnen, die über die "Oberfläche der Erfahrung hinausgeht", wie der Heilige Vater schreibt. 

Die Frankfurter Buchmesse mit den vielen Neuerscheinungen sind ein guter Anlass, einige aktuelle Romane zur Hand zu nehmen und zu fragen, ob sie einen 'Mehrwert' haben, indem sie, wie der Dichter Jan Wagner schreibt, Probebohrungen in den Himmel vornehmen.

Besitz und Titel verbergen uns

Anders gesagt, machen wir uns auf den Weg ins rätselhafte Leben – zum Beispiel nach Laredo. So heißt der neue Roman von Bestsellerautor Arno Geiger "Reise nach Laredo". Geiger lässt Kaiser Karl V. alle Kronen ablegen. Ohne Namen und Identität sucht Karl betagt und körperlich hinfällig nach Erlösung. Geigers Buch kann man auch als eine moderne "ars moriendi" lesen, als ein Buch über die Kunst zu sterben. Im DOMRADIO.DE-Interview sagt der Autor, "viel vom Tod zu wissen, heißt, viel vom Leben zu wissen." 

Er ist davon überzeugt, dass Besitz und Titel uns verbergen. "Wir können dahinter in Deckung gehen", sagt er. Was also ist der Mensch? Was ist das Lebensglück? Das sind große Fragen, die Geiger aufwirft. "Der Tod könnte schön sein, wenn man gelebt hat. In diesem Konjunktiv steckt ein doppelter Boden, aber auch eine stille Aufforderung", sagt er. Und Gott? Hilft Gott? "Eine letztendliche Antwort dürfen wir nicht erwarten". In seinem Roman schreibt Geiger: "Erst wenn man die Wahrheit schreibt, ist eine Geschichte aus. Also nie".

"Im Kern sind Kunst und Religion doch Geschwister"

Die Suche nach Wahrheit beschäftigt auch Fabian und Martin in dem Roman "Innerstädtischer Tod" von Christoph Peters. Fabian ist Künstler, Martin Priester. "Im Kern sind Kunst und Religion doch Geschwister", lässt der Autor Martin sagen. Fabian lotet mit ihm die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Kunst und Religion aus: "Wir haben beide diese verhärteten Strukturen aus Besitz und Macht, aus bürgerlichen Normen und schönem Schein hinter uns gelassen und uns auf die Suche nach einer Wahrheit gemacht, auch wenn unsere Wege natürlich völlig verschieden sind". Christoph Peters lässt seinen Priester durch Berlin streifen, auch er zweifelt, eckt aber auch mit seinem Glauben an und hat mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. 

Ein Priester in einem aktuellen Roman? Das ist eher selten. Der Himmel ist da schon häufiger ein Sehnsuchtsort, in den Autorinnen und Autoren schauen. Jo Lendle läßt Amelia Earhart in den Himmel fliegen, so hoch wie keine Frau zuvor. Lendle erzählt die Geschichte einer berühmten Pilotin aus den USA, die vor gut hundert Jahren ein Weltstar war. Eine unstillbare Sehnsucht nach Freiheit treibt sie an. Gott findet sie nicht. "Ich habe keinen Glauben daran, dass wir uns wiedersehen", läßt Lendle sie sagen. "Aber ich würde es mir doch wünschen". Ob man von einer Wolke aus den Lieben Gott sieht?, fragt der Autor. Am Ende stürzt Amelia Earhart ab. Lendle läßt sie aber nicht im NICHTS verschwinden. Wie und wo sie überlebt? Nein, wir spoilern nicht, es soll doch spannend bleiben.

Fanatismus, Extremismus und Menschenverachtung

An eine ganz andere Biografie hat sich Nora Bossong gewagt. Johanna Maria Magdalena Goebbels, die Frau des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels hatte tatsächlich diese drei biblischen Vornamen. "Sie war geprägt von einer ganz großen Heilserwartung, einet messianische Erwartung", sagt die Autorin. In ihrem Roman schildert sie, wie sich aus dieser übersteigerten Erwartung Fanatismus, Extremismus und Menschenverachtung entwickeln können. "Wo sind wir anfällig, unsere eigene Selbstsucht so hoch zu stellen, dass wir über Leichen gehen?", fragt Bossong. 

Sie habe viel über Verführbarkeit nachgedacht, sagt sie im DOMRADIO.DE-Interview. "Da hat sich ein Mensch zu Gott aufgeschwungen und genau dann wird es gefährlich". Spannend in ihrem Roman "Reichskanzlerplatz" ist auch, wie die Autorin ihren Romanhelden Hans von einem Priester träumen lässt. "Was machen die Katholiken eigentlich, wenn die Wandlung misslingt", fragt Hans in dem Traum.

Christliches Menschenbild

Kommen wir zurück zu Papst Franziskus. Er will die Menschen vom Rand der Gesellschaft ins Licht zu rücken. Mit diesem Credo steht er gemeinsam mit Martina Hefter auf einer Bühne. Ihr Roman "Hey guten Morgen, wie geht es dir?" hat soeben den deutschen Buchpreis gewonnen. Ein Roman, der genau das tut: Menschen vom Rand der Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken. Es geht um einen Lebenspartner im Rollstuhl, um das Leben mit einem beeinträchtigten Menschen und um Menschen mit anderer Hautfarbe. Ein Buch, das nicht explizit um Gott kreist, aber vom Menschenbild durchaus christlich grundiert ist. 


Bibel ist Gründungstext unserer Kultur

Und ganz am Ende noch einmal der Papst. In diesem Fall der Literaturpapst Denis Scheck. Schreiben sei eine Form des Gebets, zitiert der Literaturkritiker Franz Kafka. Er selbst sei gegenüber den Kirchen und der Religion skeptisch eingestellt, sagt er auf DOMRADIO.DE und doch bekennt er sich dazu, dass er, wenn er eine Synagoge, eine Kirche oder Moschee betritt, einen Gebetssatz murmelt, ein Zitat des Autors Arno Schmidt: "Mögen alle Wesen frei von Schmerzen sein". 

Und dann schwärmt er über Luthers Sprachexplosion in der berühmten Bibelübersetzung als Beginn der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Das Alte Testament nehme er besonders oft zur Hand, schließlich sei die Bibel der Gründungstext unserer Kultur. Vielleicht können wir das mal organisieren: Papst Franziskus trifft den Literaturpapst und beide diskutieren über die Bedeutung von Literatur für Kunst und Religion.

Quelle:
DR