Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki ist nach einer knapp fünfmonatigen Auszeit wieder im Amt. In einer am Aschermittwoch veröffentlichten Erklärung teilte der Erzbischof mit, dass er dem Papst seinen Rücktritt angeboten habe. Franziskus werde darüber "zu gegebener Zeit" entscheiden, hieß es weiter. Er habe indes "angeordnet", dass Woelki seinen Dienst zunächst wieder aufnehme. Die Geschicke von Deutschlands mitgliederstärkster Diözese mit fast 1,9 Millionen Katholikinnen und Katholiken liegen nun also vorerst erneut in Woelkis Händen. Die To-do-Liste des Kardinals in den vergangenen fünf Monaten nicht kürzer geworden - im Gegenteil.
Missbrauch weiter aufarbeiten
Die Aufarbeitung früherer Missbrauchsfälle durch Geistliche gilt als eine - jedoch nicht als die einzige - Ursache für die tiefe Vertrauenskrise, die zuletzt in Woelkis geistliche Auszeit mündete.
Auch nach Ende der unverhofften Amtspause, die zur Befriedung der hitzigen Debatten um den Kardinal hätte beitragen sollen, ist das Thema Missbrauch nicht abgehakt. In zwei prominenten Fällen laufen kirchenrechtliche Verfahren: gegen die Priester U. und D. Der erste wurde vor Kurzem wegen 110-fachen Missbrauchs vom Landgericht Köln zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Dem zweiten werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen.
Beide Fälle könnten für Woelki heikel werden, weil sie ein Schlaglicht auf den immer noch teils mangelhaften Umgang der Kirche mit beschuldigten Geistlichen werfen. Woelki untersagte U. 2019 zwar die Ausübung priesterlicher Dienste, was aber offenbar niemand kontrollierte. Und D. wurde 2017 von Woelki zum stellvertretenden Düsseldorfer Stadtdechanten ernannt, was dem Kardinal nun angekreidet wird. Dabei betont Woelki, dass er von den Vorwürfen gegen D. bei der Beförderung noch nichts wusste. Zuletzt wurde bekannt, dass der Priester Gottesdienste in Wien feierte, was zu kritischen Anfragen an das Erzbistum Köln führte.
Zudem endet im März die Amtszeit des derzeitigen Betroffenenbeirats der Erzdiözese. Neue Mitglieder zu finden, dürfte schwierig werden. Mehrere Engagierte hatten den Beirat verlassen, weil sie mit Woelkis Art, die Aufarbeitung zu managen, nicht einverstanden waren. Sie treten nun eigenständig in der Öffentlichkeit auf - oft als kritische Stimmen.
Austrittswelle beenden
Im vergangenen Jahr verlor das Erzbistum Köln massiv an Mitgliedern. Allein beim Amtsgericht Köln reichten 19.340 Menschen ihren Kirchenaustritt ein. Das waren fast doppelt so viele wie im bisherigen Spitzenjahr 2019. Fairerweise muss dazu gesagt werden, dass das Amtsgericht nicht zwischen evangelischer und katholischer Konfession unterscheidet, und dass es auch in anderen Bistümern in Deutschland gestiegene Austrittszahlen gibt. Die sehr starken Anstiege sind im Erzbistum Köln jedoch besonders auffällig, zum Beispiel auch in Düsseldorf, Bonn und Wuppertal sowie in vielen ländlicheren Gegenden.
Pfarreien neuen Zuschnitt geben
Wie in anderen Diözesen in Deutschland schrumpfen auch im Erzbistum Köln die Zahlen der Katholikinnen und Katholiken sowie der Priester. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, geben viele Bistümer ihren Pfarreien einen neuen Zuschnitt. Im Erzbistum Köln heißt dieser Prozess Pastoraler Zukunftsweg.
Die ersten Pläne stießen auf enormen Widerstand: Demnach sollten bis 2030 die derzeit 180 Seelsorgeeinheiten mit ihren rund 500 Einzelpfarreien in 50 bis 60 Großpfarreien zusammengefasst werden. Das Erzbistum kündigte an, Alternativen zu prüfen. Doch wegen der Querelen um die Missbrauchsaufarbeitung liegt der Umstrukturierungsprozess seit Monaten weitgehend brach.
Zusammenarbeit mit Gremien herstellen
Mehrere wichtige Gremien im Erzbistum Köln haben sich zuletzt skeptisch bis ablehnend über Woelkis Rückkehr geäußert. Darunter sind der Diözesanpastoralrat als zentrales Beratungsgremium des Erzbischofs sowie der Erzbischöfliche Rat, in dem die Führungsspitze der Erzdiözese vertreten ist. Die Vertretung der Laien, der Diözesanrat, hat Woelki bereits vor mehr als einem Jahr die Zusammenarbeit aufgekündigt. In der katholischen Kirche hat ein Erzbischof zwar hohe Entscheidungsgewalt. Dennoch dürfte er ohne den Rückhalt der Gremien viele wichtige Projekte nicht umsetzen können - darunter den Pastoralen Zukunftsweg.
Um die Gunst der Gremien zurückzugewinnen, raten Beobachter dem Kardinal zu einem anderen Führungsstil. Gerade mit dem Thema Kommunikation punktete der Apostolische Administrator Rolf Steinhäuser, der das Erzbistum während Woelkis Auszeit verwaltete. Hier liegt offenbar eine Schwäche des Erzbischofs.
Finanzen für die Zukunft aufstellen
Der Mitgliederrückgang wirkt sich auch auf die Finanzen des Erzbistums Köln aus. Die Verpflichtungen sind in den vergangenen Jahren gewachsen, während die Kirchensteuereinnahmen rückläufig sind. Für den diesjährigen Haushalt rechnet das Erzbistum mit einem Fehlbetrag von rund 27,5 Millionen Euro. Im Vor-Corona-Jahr 2019 erwirtschaftete es noch einen Überschuss von 31,4 Millionen Euro.
Laut Modellrechnungen könnte das Defizit 2025 bereits bei 50 Millionen Euro und 2030 bei 100 Millionen Euro liegen. Finanzdirektor Gordon Sobbeck mahnte dringenden Handlungsbedarf an.
Nach Woelkis Rückkehr sollen zudem alte Auftragsvergaben überprüft werden. Übergangsverwalter Steinhäuser hatte diesen Schritt angestoßen, nachdem Zweifel an der Finanzierung von Anwälten und PR-Beratern rund um die Missbrauchsaufarbeitung aufkamen. Deren Dienste ließen sich Woelki und sein Generalvikar Markus Hofmann insgesamt 2,8 Millionen Euro kosten. Dabei wurden möglicherweise zwei wichtige Gremien des Erzbistums übergangen. Steinhäuser beauftragte zwei Kirchenrechtler mit einer Prüfung und wollte auch weitere Aufträge durchleuchten lassen. Die unveröffentlichten Berichte der beiden Experten liegen im Vatikan. Weitere Schritte legte Rom jedoch auf Eis, bis Woelki seine Amtsgeschäfte wieder aufgenommen hat.
Zudem muss sich der Erzbischof um die weitere Finanzierung der Kölner Hochschule für Theologie (KHKT) kümmern. Noch steht das Versprechen im Raum, dass für dieses Projekt des Kardinals keine Kirchensteuermittel eingesetzt werden. Der bislang angezapfte Sondertopf neigt sich aber mittelfristig dem Ende zu. Ob die Hochschule es schafft, Großsponsoren zu werben, ist indes völlig offen.
Kirchlichen Reformprozess mitgestalten
Während Woelkis Auszeit ist in den Reformprozess der katholischen Kirche in Deutschland - den Synodalen Weg - Bewegung geraten. Anfang Februar machten die Teilnehmenden einer zentralen Versammlung erste Schritte in Richtung Wandel. Gefordert wurde eine Neubewertung von Homosexualität, Weiheämter für Frauen sowie eine Lockerung des Ehelosigkeitsgebots für Priester. Wenige Tage zuvor hatten 125 Kirchenmitarbeitende öffentlich erklärt, einer sexuellen Minderheit anzugehören und Reformen des kirchlichen Arbeitsrechts gefordert. In der katholischen Kirche kann zum Beispiel eine homosexuelle Partnerschaft im Extremfall zur Kündigung führen. Diese Regel soll nun geändert werden.
Woelki steht dem Synodalen Weg sowie einer Öffnung der katholischen Sexualmoral skeptisch gegenüber. Doch als Erzbischof der mitgliederstärksten Diözese kann er sich dem Reformprozess kaum völlig entziehen. Zumindest der Debatte wird er sich in den kommenden Monaten erneut stellen müssen. Nach den monatelangen Querelen um seine Person gilt er im Kreis der deutschen Bischöfe jedoch als fast völlig isoliert.