Jahre lang war es still um das Thema Abtreibung. Doch im Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP vereinbart, eine Kommission einzurichten, die unter anderem Regulierungen für den Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches prüfen soll.
Bislang gibt es die Kommission noch nicht. Doch gerade hat der Deutsche Juristinnenbund ein Positionspapier vorgelegt, das unter anderem eine völlige Freigabe von Abtreibungen bis zur 25. Schwangerschaftswoche fordert. Deutschland könnte also eine neue Debatte über ein Thema bevorstehen, das die Gesellschaft schon mehrfach in harte Konflikte stürzte.
Grund zur Sorge für die katholische Kirche
Für die katholische Kirche ist das ein Grund zur Sorge. Zumal auch sie beim Thema Abtreibung schon mehrfach vor Zerreißproben stand. Wie vor 25 Jahren. Am 11. Januar 1998 forderte Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe ausdrücklich auf, in der kirchlichen Schwangerenkonfliktberatung keine Beratungsscheine mehr auszustellen.
Im Kampf für das ungeborene Leben müsse die Kirche klaren Kurs halten, mahnte er in dem Schreiben, dass am 26. Januar 1998 öffentlich bekannt wurde. Der gesetzlich geforderte Beratungsschein habe eine "Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen". Das Zeugnis der Kirche werde so verdunkelt.
Schon seit der Neuregelung der Abtreibung durch die SPD-FDP-Bundesregierung Mitte der 1970er Jahre arbeiteten katholische Beratungseinrichtungen im Zwiespalt: Würden sie durch die gesetzlich geforderte Ausstellung von Beratungsscheinen mitschuldig an Abtreibungen? Viele Bischöfe, Laien sowie Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) kämpften dafür, dass die rund 270 katholischen Beratungsstellen innerhalb des staatlichen Systems Ansprechpartner für Frauen bleiben konnten. Der Vatikan signalisierte Bedenken - gab aber lange keine konkrete Linie vor.
Schon 1993 allerdings verfügte der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba den Ausstieg seines Bistums. Er und der Kölner Kardinal Joachim Meisner galten fortan zusammen mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, als schärfste Kritiker des Beratungsscheins. Die Situation spitzte sich zu, als der Bundestag wegen der deutschen Einheit 1995 eine Fristenlösung mit Beratungspflicht einführte.
Bischöfe reisen immer wieder in den Vatikan
Immer wieder reisten Bischöfe in den Vatikan: Die Beratung verhindere im Jahr 5.000 bis 6.000 Abtreibungen, argumentierten sie. Denn ohne Aussicht auf einen "Schein" würden viele Frauen kirchliche Beratungsstellen gar nicht mehr aufsuchen.
Vergeblich. Am 23. November 1999 verkündete der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, dass die katholische Beratung auf Anordnung des Papstes neu geordnet werde. Schon Anfang 2000 stellten die ersten Bistümer keine Beratungsscheine mehr aus.
Widerstand leistete lange der Limburger Bischof Franz Kamphaus: "Nach meinen Erfahrungen werden jetzt Lebenschancen für Kinder vergeben." Im März 2002 beendete der Papst den Alleingang des Bischofs, beließ ihn aber im Amt.
Seitdem haben die Bistümer die Arbeit der Beratungsstellen neu geordnet und teilweise sogar ausgeweitet - ohne aber den Beratungsschein auszustellen. 2021 wandten sich 99.669 Ratsuchende an die katholischen Schwangerschaftsberatungsstellen, darunter sehr viele Frauen mit Migrations- oder Fluchterfahrung. Davon befanden sich allerdings nur 531 oder 0,5 Prozent im existenziellen Schwangerschaftskonflikt.
Den Beratungsschein stellt allerdings weiterhin der Verein "Donum Vitae" aus, den prominente Katholiken 1999 gründeten. "Donum Vitae" berät Frauen innerhalb des staatlichen Systems auf der Grundlage des Beratungs- und Hilfeplans, den die Bischöfe 1999 verabschiedet hatten.
Die Entscheidung zum Ausstieg stieß auch bei Politikern auf Kritik, die das Engagement der Kirche unterstützt hatten, darunter Kanzler Helmut Kohl (CDU). Bei der früheren Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) wirkte der Konflikt lange nach: Sie habe damals einen schwer erträglichen Rigorismus erlebt, erinnerte sie sich 2017. "Ich kann doch nicht aussteigen, nur weil es das Risiko gibt, dass sich die Ratsuchenden vielleicht zur Abtreibung entscheiden und nicht so handeln, wie die Kirche es sich wünscht."