KNA: Herr Victor, in Ihrem neuen Buch "Im Namen des Katers" ermittelt Inspektor Dieuswalwe Azemar zum fünften Mal. Was macht seine Figur so interessant?
Gary Victor (Buchautor "Im Namen des Katers"): Erstens, dass er ehrlich ist. Aber auch, dass er sich mit seiner Ehrlichkeit nicht rühmt. Er ist wieder Willen ehrlich.
Und zweitens der Blick, den er auf sein Land wirft, der auch ein wenig mein eigener Blick ist. Der Inspektor ist kein einfacher Beamter, sondern jemand, der zornig ist über die Art, wie sein Land regiert wird, über den Zustand und den Niedergang seines Landes.
Gelegentlich würde er gerne in diesem Chaos versinken und so sein wie alle anderen, aber er bringt diese Art Selbstmord nicht über sich. Er ist Alkoholiker, weil er sein Leiden am Alltag in Haiti ertränken will. Und der Inspektor ist schnell mit dem Finger am Abzug, weil der Abzug der Justiz selbst blockiert ist.
KNA: Welche Zukunft sehen Sie denn dann für den Inspektor?
Victor: Seine Zukunft ist hypothetisch, weil er auf sich selbst gestellt ist in einem Land, in dem die Korruption die Regel ist, in dem Banden und korrupte Politiker herrschen. Er ist praktisch eine Art lebender Toter.
KNA: Sie sagten einmal, dass der politische Niedergang für Inspektor Azemar unerträglich sei. Über Sie selbst wird geschrieben, dass Sie Haiti einen Spiegel vorhalten. Wenn Sie für das Land einen Wunsch frei hätten, welcher wäre das?
Victor: Mein Wunsch wäre, dass das Land anders regiert wird. Dass es so regiert wird, dass dabei das Wohl des haitianischen Volkes berücksichtigt wird. Und dass bei den Haitianern ein Bewusstseinsprozess einsetzt, der eine andere Regierung für Haiti ermöglicht.
KNA: Unterscheidet sich denn die Resonanz Ihrer Bücher beim Publikum in Haiti und in anderen Ländern der Welt?
Victor: Es ist klar, dass haitianische Leser besser als ausländische Leser verstehen, wovon in meinen Büchern die Rede ist und ich drücke natürlich auch ein wenig die Wut und den Überdruss der Menschen aus, die sich selbst nicht ausdrücken können.
KNA: Sie sagten, dass der haitianische Staat seine Aufgaben nicht erfülle, dass die Polizei machtlos und Selbstjustiz an der Tagesordnung sei. Ist das Schreiben ihrer Krimi-Reihe eine Verarbeitung der herrschenden Zustände in Haiti?
Victor: Jedes Schreiben ist eine Therapie. Es gibt Dinge, die man in der Realität nicht tun kann, aber in einem Roman. Wie viele Haitianer würde ich die Banditen und Gangster würde ich gerne loswerden. Ich bin dazu vorläufig nicht im Stande, aber Inspektor Azemar eben schon, auch wenn er sich sagt, dass es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist.
KNA: Haiti erlebt gerade eine Tragödie...
Victor: Das ist richtig. Es sind amerikanische evangelikale Freikirchen, die in Haiti Anhänger gewinnen, ebenso wie in Afrika. Ich bin der Meinung, dass die amerikanischen Freikirchen die haitianische Kultur langfristig zerstören. Denn sie erklären, dass alles, was mit Voodoo zu tun hat, vom Teufel kommt.
Man kann in Haiti Katholik sein oder sonstige religiöse Ansichten haben, aber die Kultur ist vom Voodoo geprägt. Wer diese traditionelle Religion als Teufelszeug darzustellen versucht, der erklärt der haitianischen Kultur den Krieg.
Ich halte das für eine Anmaßung, auch wenn ich weder ein Anhänger des Voodoo noch religiös bin. Ich wünsche mir eine anständige haitianische Regierung, die deutlich macht, dass jeder, der die Kultur unseres Landes zu etwas Teuflischem erklärt, des Landes verwiesen gehört.
Das Interview führte Lisa Konstantinidis.