DOMRADIO.DE: 8.000 Jugendliche haben sich aus Deutschland für den Weltjugendtag in Lissabon angemeldet. 16.000 waren es noch 2016 in Krakau. Das heißt, die Anmeldezahlen sind um die Hälfte zurückgegangen. Wie erklären Sie sich das?
Dr. Stefan Ottersbach (Bundespräses vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend / BDKJ): Ich kann über die Zahlen nur spekulieren. Ein Grund scheint mir sicher der Vertrauensverlust in die katholische Kirche zu sein: Die Kirche als Institution und auch der Papst sind für die Menschen immer weniger relevant, auch für die jungen Menschen. Das macht sich hier meines Erachtens deutlich bemerkbar.
Ein anderer Aspekt ist sicherlich auch die Corona-Pandemie. Wir sind sozusagen noch in der "Post-Corona-Zeit". Ich nehme bei den organisierten jungen Menschen wahr, dass sie jetzt erst einmal ein Bedürfnis haben, sich in ihren Communities, in ihren Gruppen und Gemeinden wieder neu zu finden. Das heißt, es wird auch viel in Sommerferienprogramme, Freizeiten und Maßnahmen vor Ort investiert. Deshalb hat vielleicht so eine Großveranstaltung nicht so den Wert.
Und den letzten Aspekt, den ich sehe, ist ein finanzieller. Viele haben möglicherweise Schwierigkeiten, so eine Reise zu bezahlen. Man muss sich vor Augen führen, dass das ein sehr teures Event ist und dadurch eben auch exklusiv für bestimmte Zielgruppen ist. Da muss man schon fragen, ob die Finanzierung letztlich gerechtfertigt ist, wenn man nur eine sehr spezifische Gruppe von Menschen erreicht.
Interessant finde ich übrigens in diesem Zusammenhang, dass wir bei den deutschen Teilnehmerinnen und Teilnehmern "nur" einen Rückgang um die Hälfte haben. Wenn man die Gesamt-Anmeldezahlen für den Weltjugendtag ansieht, ist es noch krasser: Da sind die Teilnehmerzahlen noch deutlicher zurückgegangen und man müsste mal ganz neu gucken, warum sich eigentlich aus anderen Ländern oder Erdteilen so wenige Leute anmelden.
DOMRADIO.DE: Sie schauen grundsätzlich kritisch auf die Formate des Weltjugendtages. Warum?
Ottersbach: Das hat zum einen mit der Klimakatastrophe zu tun, in der wir uns befinden. Beim BDKJ fragen wir uns, ob man in so einer Situation an so einem Ort eine Großveranstaltung stattfinden lassen kann. Portugal ist in Europa schon jetzt eines der Länder, das von extremen Trocken- und Hitzephasen und Wasserknappheit am meisten durch die Klimakrise betroffen ist. In so einer Situation eine Veranstaltung zu planen, die eine der größten in der Geschichte des Landes sein wird, ist schon mutig, sage ich mal vorsichtig. Da sind wir sehr gespannt drauf, wie das im Hochsommer gehen wird.
Zu anderen ist es auch so, dass die Gesellschaft vor Ort dieses Treffen nicht unbedingt so mitträgt, wie das eigentlich erforderlich wäre. Es gab massive Kritik an der Finanzierung. Da sind die Verantwortlichen auch zurückgerudert und haben das Finanzierungskonzept noch einmal deutlich entschlackt. Es hängt aber auch damit zusammen, wie die Bischöfe von Portugal sich beispielsweise zur Frage der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals positioniert haben.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen die Studie zu sexualisierter Gewalt durch Geistliche und kirchliches Personal an, die gerade erst im März dieses Jahres in Portugal veröffentlicht wurde. Demzufolge wurden seit den 1950er Jahren über 4.800 Kinder und Jugendliche missbraucht. Die Dunkelziffer ist sicher noch deutlich höher. Was kritisieren Sie genau im Umgang der portugiesischen Bischöfe mit dieser Studie?
Ottersbach: Meines Wissens haben die portugiesischen Bischöfe weitgehend abgelehnt, Missbrauchsopfer zu entschädigen. Aber junge Menschen wünschen sich, dass die Kirche für die Fehler, die begangen wurden und die alle nur erschüttern können, einsteht und alles dafür tut, dass Menschen in dem Leid ernst genommen werden, das ihnen zugefügt wurde. Dass Verantwortungsträger in der Kirche das anscheinend nicht verstehen, ist wirklich ein Skandal.
DOMRADIO.DE: Ist Ihnen der Weltjugendtag zu unkritisch?
Ottersbach: Ich finde zum Beispiel das Format der "Tage der Begegnung" vor dem eigentlichen Weltjugendtag wirklich grandios: Dass junge Menschen mit anderen Menschen aus anderen Erdteilen in Kontakt kommen, ist gut. Und ich glaube, dass da eine Menge an Persönlichkeitsbildung passiert.
Wir versuchen als BDKJ unseren Beitrag dazu zu leisten, dass der Weltjugendtag ein Ort der Begegnung sein kann, dass junge Menschen über ihren Tellerrand gucken können, zum Beispiel mit dem Format der "Youth Hearings". Wir versuchen auf Themen wie Klimagerechtigkeit oder Kolonialismus zu schauen und kritische Themen anzusprechen.
Aber es ist auch spannend, inwiefern Papst Franziskus die Gelegenheit nutzen wird, der Jugend der Welt in Lissabon deutlich zu machen, dass er wirklich für eine offene Kirche einsteht, für eine Kirche, die sich verändern wird und dafür einsteht, dass der Skandal des Missbrauchs strukturell überwunden wird.
DOMRADIO.DE: Die "Youth Hearings" hat der BDKJ auch schon bei früheren Weltjugendtagen angeboten. Was ist das?
Ottersbach: Wir versuchen, interessante Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner zu gewinnen, die ihre Perspektive zur Frage der Klimagerechtigkeit einbringen. Und in Portugal besonders mit der Fragestellung: Was hat denn eigentlich Klimagerechtigkeit mit unserer Kolonialgeschichte zu tun? Oder auch mit modernen Formen von Kolonialismus?
Portugal ist ein Land, von dem der europäische Kolonialismus ausgegangen ist. Darüber wollen wir sprechen, beispielsweise mit der Deutschen Botschafterin in Lissabon. Wir hoffen, dass auch Bischof Meier als Vertreter für die Weltkirche dabei sein wird. Wir möchten, dass junge Menschen sowohl aus unserer Region als auch aus dem globalen Süden ins Gespräch kommen und sich dann eine eigene Meinung zu diesen Themen bilden können.
DOMRADIO.DE: Trotz aller Kritik werden auch Sie zum Weltjugendtag reisen, worauf freuen Sie sich?
Ottersbach: Ich freue mich tatsächlich am meisten auf die Begegnungen, weil ich glaube, es ist wichtig, Orte zu haben, wo wir nicht in unserer eigenen Blase bleiben, sondern wo wir Menschen begegnen, die andere Zugänge zu unserer Welt haben, die andere Biografien mitbringen. Und dass wir uns öffnen für die Vielfalt der Welt, in die Gott uns gestellt hat und diese Vielfalt einfach als großes Geschenk und große Bereicherung wahrnehmen.
Das ist schon ein kleines Pfingsten mit den vielen Sprachen, die dann da zu hören sind und das ist schon toll.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.