Beauftragte fordert Nachfolgemodell für Fonds Sexueller Missbrauch

Appell an die Politik

Der Fonds für die Opfer von sexuellem Missbrauch steht vor dem Aus. Die Beauftragte dringt darauf, dass die Betroffenen weiter Hilfe erhalten und appelliert an die Verantwortlichen bei den Koalitionsverhandlungen.

Autor/in:
Birgit Wilke
Geldscheine in der Hand / © Cilinskas (shutterstock)

Die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, hat ein Nachfolgemodell für den Fonds für die Opfer von sexueller Gewalt gefordert. Betroffene von sexualisierter Gewalt müssten weiter Hilfen erhalten, erklärte Claus am Freitag in Berlin.

Ein nachfolgendes Modell müsse nahtlos an den bisherigen Fonds und seine Leistungen anschließen. Es müsse niedrigschwellig und rechtssicher sein. Sie appellierte an Union und SPD, dies entsprechend im Koalitionsvertrag zu vereinbaren.

Kerstin Claus / © Bernd von Jutrczenka (dpa)

Die Bundesregierung hatte den Fonds vor zwölf Jahren eingerichtet. Nach einer seit Jahresbeginn geltenden Richtlinie läuft er 2028 aus.

Anträge, die noch bis Ende August gestellt werden können, können demnach nur noch im laufenden Jahr bewilligt werden. Betroffene können über den Fonds Hilfen beantragen, die über Leistungen der Kranken- oder Pflegekassen oder andere Unterstützungen hinausgehen.

Beantragt werden können Sachleistungen in Höhe von bis zu 10.000 Euro und bei einem Mehrbedarf durch eine Behinderung bis zu 15.000 Euro. Bis Ende 2023 sind demnach rund 164 Millionen Euro ausgezahlt worden.

"Zeit wurde nicht genutzt"

Der Bundesrechnungshof hatte im vergangenen April die Ausgestaltung des Fonds kritisiert und darauf gedrängt, ihn auf bestimmte Vorgaben wie eine zeitliche Befristung der Hilfen anzupassen. Die seit Jahresbeginn geltende neue Richtlinie wurde vor zwei Tagen auf der Seite des Bundesfamilienministeriums veröffentlicht. Zu den Änderungen gehört auch, dass Betroffene bei beantragten Leistungen zunächst Geld vorstrecken müssen. Für dieses Jahr stehen nach Angaben von Claus im Fonds 53 Millionen Euro für Auszahlungen zur Verfügung.

Claus warf der Bundesregierung - vor allem dem Bundesfamilienministerium - vor, nicht rechtzeitig gehandelt zu haben. In Gespräche darüber seien weder sie noch Betroffene einbezogen werden. Auch mit Institutionen wie den Kirchen und dem Deutschen Sportbund, die an dem Fonds beteiligt sind, habe man nicht gesprochen. 

Es sei Aufgabe des Staates, Kinder und Jugendliche zu schützen und Verantwortung zu übernehmen, wenn dieser Schutz in der Vergangenheit nicht ausreichend gewährleistet worden sei. Dass sich der Staat jetzt fast geräuschlos aus der Verantwortung stehle, sei ein desaströses Signal für Betroffene. Unterdessen erklärte ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums, die Ampel-Regierung habe sich nicht auf eine Fortführung des Fonds verständigen können.

Betroffene spricht von Skandal

Tamara Luding vom bei der Beauftragten angesiedelten Betroffenenrat betonte, es sei zuvor nie von der Politik in Frage gestellt worden, wie existenziell wichtig der Fonds für Betroffene sei. Er habe das Leben von rund 33.500 Menschen erleichtert. Sie bezeichnete das drohende Aus des Fonds als Skandal. 

Matthias Katsch / © Julia Steinbrecht (KNA)

Matthias Katsch betonte als Mitglied der unabhängigen Aufarbeitskommission, der Staat müsse das erlittene Unrecht anerkennen. "Das kann man nicht wie eine lästige Pflicht abschütteln", so Katsch. Der Lebensalltag vieler Betroffener sei als Folge des Missbrauchs von physischen und psychischen Belastungen geprägt. Diese Situation mache es ihnen oft unmöglich, komplizierte Antragsverfahren zu durchlaufen. Darum müsse es weiterhin ein niedrigschwelliges Hilfeangebot geben.

"Staat muss Kinder schützen"

Die Opferschutzorganisation Weißer Ring kritisierte zusammen mit weiteren Fachgesellschaften das Auslaufen des Fonds. Solange der Staat es nicht schaffe, Kinder und Jugendliche vor sexualisierter Gewalt zu schützen, müsse er zumindest eine wirksame und funktionierende Unterstützung aufrechterhalten. Die Initiative "gegen Missbrauch" appellierte an die Politik, den Fonds aufrecht zu erhalten und weiter finanziell angemessen auszustatten. 

Die Deutsche Bischofskonferenz betonte, dass die Umstellung des Verfahrens in der Form nicht absehbar gewesen sei. Zugleich verwies sie darauf, dass sie durch ein weiter bestehendes Anerkennungsverfahren Betroffene unterstütze.

Das Amt des Missbrauchsbeauftragten

Das Amt des Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten sowie den Runden Tisch Sexueller Kindesmissbrauch hat die Bundesregierung 2010 eingerichtet. Es war eine Reaktion auf das damals bekannt gewordene Ausmaß des sexuellen Kindesmissbrauchs in Einrichtungen und Institutionen. Das Amt wurde zunächst von der ehemaligen Bundesfamilienministerin Christine Bergmann ausgeübt. Seit Dezember 2011 war Johannes-Wilhelm Rörig Missbrauchsbeauftragter, am 30.03.2022 wurde er von Kerstin Claus abgelöst. (www.bundesregierung.de)

Symbolbild Missbrauch / © somkhana (shutterstock)