Betroffener Norpoth fordert Verjährungsverzicht in Missbrauchsfällen

Verzögerung auf Kosten der Betroffenen?

Ein einheitliches Vorgehen der deutschen Bistümer im Umgang mit verjährten Fällen von Missbrauch in der Kirche sucht man vergeblich. Dies ist dem Betroffenen Johannes Norpoth ein Dorn im Auge. Er möchte da eine Einheitlichkeit sehen.

Autor/in:
Tobias Fricke
Protest gegen kirchlichen Umgang mit Missbrauch (Archivbild) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Protest gegen kirchlichen Umgang mit Missbrauch (Archivbild) / © Julia Steinbrecht ( (Link ist extern)KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind Mitglied im katholischen Laiengremium ZdK und haben dort den Antrag initiiert, dass die Bischöfe auf die Einrede der Verjährung verzichten mögen. Ein Mensch erleidet sexuellen Missbrauch durch einen Priester, wann verjährt so eine Tat vor dem Gesetz?

Johannes Norpoth / © Maximilian von Lachner (SW)

Johannes Norpoth (Missbrauchsbetroffener in der Katholischen Kirche): Die rein juristische Frage ist relativ schwierig zu beantworten. Ich glaube, das ist auch nicht der Kern der Fragestellung. Das wäre dann aufgehoben, wenn alle Verjährungsfristen aufgehoben würden. Der entscheidende Punkt ist, dass die Fälle aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren alle der Verjährung unterliegen. 

Mein eigener Fall liegt über 40 Jahre zurück, ist ebenfalls verjährt. Wenn ich gegen das Bistum klagen würde, würde die Möglichkeit bestehen, dass das Bistum die Einrede der Verjährung zieht, ohne dass es in irgendeiner Art und Weise zu einer substanziierten Verhandlung oder Darlegung des Vorgangs und meiner Ansprüche kommen würde.

DOMRADIO.DE: Wie handhabt das Bistum Essen solche Fälle von Verjährung?

Norpoth: Wir haben in Essen einen Fall anhängig, der im Wege der Zivilklage Schadensersatz, also Schmerzensgeldforderung gestellt hat. Hier hat das Bistum Essen auf die Einrede der Verjährung verzichtet.

DOMRADIO.DE: Wie handhaben die anderen Bistümer das?

Norpoth: Das ist sehr unterschiedlich. Wir haben Bistümer, da wird deutlich und relativ zügig mit der Einrede der Verjährung geantwortet, wie beispielsweise das Bistum Aachen. Hier hat der Beauftragte der Deutschen Beschlusskonferenz für das Thema Missbrauch in mindestens zwei Fälle bereits die Einrede der Verjährung gezogen. Die Verfahren gehen jetzt in die nächste Instanz. 

Das bedeutet, dass man erst über die rein juristische Fragestellung der Einrede der Verjährung verhandeln muss. Über den eigenen Missbrauchsvorgang und die daraus resultierenden Schadensersatzforderungen wird noch nicht diskutiert, bevor nicht diese Frage geklärt ist.

Johannes Norpoth

"Das heißt, die katholische Kirche hat als Täterorganisation maßgeblich dafür gesorgt und nachhaltig dafür gesorgt, dass Taten eben nicht in die Öffentlichkeit kommen (...)."

DOMRADIO.DE: Warum ist Ihnen diese Einheitlichkeit wichtig?

Norpoth: Es geht darum, dass alle aufeinander aufbauenden oder auch nicht aufeinander aufbauenden parallelen Missbrauchsstudien sagen, dass neben dem eigentlichen Missbrauch ein weiterer Tatbestand besteht, nämlich der der Vertuschung. Das heißt, die katholische Kirche hat als Täterorganisation maßgeblich und nachhaltig dafür gesorgt, dass Taten eben nicht in die Öffentlichkeit kommen, nicht öffentlich verhandelt werden und am Ende auch nicht in die Strafverfolgung gegangen sind. 

Da gibt es mehr als ein Beispiel. Das heißt, es gibt auf der einen Seite eine moralische Verantwortung und auf der anderen Seite hat das auch was mit dem aktuellen Anerkennungssystem zu tun.

DOMRADIO.DE: Jetzt kann man natürlich auch ökonomisch denken und sagen, mehrere hohe Ausgleichszahlungen führen ein kleines Bistum sehr schnell in den Ruin und am Ende hat es überhaupt gar kein Geld mehr. Aber Sie sagen, das ist kein Argument?

Johannes Norpoth

"Das ist eine Angstmacherei innerhalb und außerhalb der Kirche."

Norpoth: Nein, aus drei Gründen. Erstens: Geld ist in der katholischen Kirche in Deutschland keine Frage.

Punkt zwei: Bischöfe behaupten meistens was anderes, noch intensiver die Generalvikare, aber das stimmt so nicht, wenn man ins Zahlenwerk guckt. Es ist am Ende egal, wenn ich die Frage der Haftung diskutiere und über die reden wir hier. Wenn ich als Unternehmen oder als Organisation etwas verschuldet habe, dann kann das Opfer an dieser Stelle nicht Verantwortung dafür tragen, ob der vorhandene Cashflow für den Schadensausgleich ausreicht oder nicht. Also, insofern ist diese Frage auf der betroffenen Seite überhaupt kein Diskussionsgegenstand. 

Drittens: Ich bezweifle, dass es irgendein Bistum geben wird, das wegen Zahlungen an Missbrauchsopfern in die Insolvenz gehen würde. Das ist eine Angstmacherei innerhalb und außerhalb der Kirche. Das wird aber in dieser Form sicher so nicht passieren. Ein bisschen kenne ich die Finanzlage. Insofern darf ich das an dieser Stelle nicht nur behaupten, sondern einfach auch sagen.

DOMRADIO.DE: Viele Fälle liegen weit in der Vergangenheit. Betroffene von Missbrauch aus den 60er-, 70er-Jahren werden immer älter, werden auch irgendwann dann sterben. Sitzen die katholischen Bischöfe das Thema Verjährung aus? Ist es das, was Sie kritisieren und bemängeln?

Ein Kind schützt sich mit ausgestreckter Hand.   / © MaLija (shutterstock)

Norpoth: Auch das ist ein Teil einer Verzögerungsstrategie, die kaum nachzuvollziehen ist. Je älter die Opfer werden, desto schwieriger wird es für sie, ihr Recht einzuklagen. Jeder Betroffene hat eben nicht nur immateriellen Schaden in Form von Schmerz, sondern auch massive materielle Schäden. Auch ich habe das. Insofern ist jede Form, jede Maßnahme, jede Aktion vonseiten der Bischöfe, die Phase nach hinten heraus zu zögern, eine Verzögerungsstrategie und am Ende auch eine Strategie, um Geld zu sparen und das auf Kosten der Betroffenen.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA)

Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen, kurz UKA, hat die Aufgabe, darüber zu entscheiden, wie viel Geld Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche in Anerkennung des ihnen zugefügten Leids erhalten. Dazu nimmt sie Anträge der Betroffenen über die jeweiligen Ansprechpersonen der Bistümer oder Ordensgemeinschaften entgegen, legt eine Leistungshöhe fest und weist die Auszahlung an Betroffene an.

Symbolbild Geld und Kirche / © Grzegorz Zdziarski (shutterstock)
Quelle:
DR

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