Begleiter von Mutter Teresa erinnert sich

"Schau, die hat eine enge Beziehung zum Himmel"

"Mit den Füßen am Boden und dem Herzen im Himmel", so beschreibt Pater Leo Maasburg Mutter Teresa. Lange war er Begleiter der berühmten Ordensfrau. Hier erinnert er sich und lobt den neuen Kinofilm über die Missionarin.

Mutter Teresa hält einen Jungen im Arm / © FUNDACIÓN INFINITO
Mutter Teresa hält einen Jungen im Arm / © FUNDACIÓN INFINITO

DOMRADIO.DE: Sie haben Mutter Teresa von Kalkutta immer wieder auf Ihren Reisen begleitet und ihr als Priester und geistlicher Begleiter sehr nahegestanden. Wie kam es denn dazu, dass Sie ihr geistlicher Begleiter wurden? 

Pater Leo Maasburg / © Tobias Fricke (DR)
Pater Leo Maasburg / © Tobias Fricke ( DR )

Pater Leo Maasburg: Das ist eine längere Geschichte. Aber in Kurzform: Mein Bischof hatte das Charisma, nicht Englisch zu sprechen. Die beiden konnten miteinander radebrechen, denn er war slawischen Ursprungs, und sie konnte ja auch kroatisch. Aber wenn sie über ernstere Dinge reden wollten, brauchten sie einen Übersetzer. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, dadurch sind sie in diese Rolle hineingekommen und würden wahrscheinlich aus heutiger Sicht sagen: Was für ein Glück. 

Maasburg: Das war ein Lebensglück, ein ganz ungewöhnliches. Aber sie war auch sehr konkret. Denn schon nach der ersten Übersetzung hat sie mich gefragt, ob ich ein Auto habe. Und als ich mit "Ja" antwortete, hatte ich schon meinen ersten "Job". Ich sollte am selben Nachmittag drei Schwestern in Rom zum Flughafen bringen. Ich habe natürlich gerne zugesagt, immer in der Hoffnung, dass sie dabei ist. Man hat ja da sehr unlautere Motive. Die Schwestern hatten alle drei nur eine Box mit einem Sari dabei, obwohl es für sie nach Argentinien ging. Und sie hatten auch erst am Vormittag von ihrer Reise erfahren. Das waren Zeiten! Die Schwestern hatten ihre Gelübde abgelegt und wurden dann von Mutter Teresa etwa nach Argentinien oder Brasilien geschickt. Und sie sind gefahren. 

Pater Leo Maasburg

"Ihre Frömmigkeit war sehr beeindruckend, weil sie so normal war."

DOMRADIO.DE: Welche Eigenschaften von Mutter Teresa haben Sie besonders beeindruckt und warum? 

Maasburg: Ihre Frömmigkeit war sehr beeindruckend, weil sie so normal war. Sie war ganz mit den Füßen am Boden und mit dem Herzen im Himmel. Das hat man beim Beten eigentlich am meisten gemerkt. Ich war ja sehr skeptisch am Anfang und habe sie sehr genau beobachtet.

Sondervorstellung des Films "Sonnenaufgang über Kalkutta" von José María Zavala

Der Kölner Filmpalast/Cineplex, Hohenzollernring 2, zeigt am 30. August 2023 um 19:00 Uhr eine Sondervorstellung des Films über Mutter Teresa.

Pater Leo Maasburg (Wien) und Weihbischof Dr. Dominikus Schwaderlapp (Köln) werden in einem Filmgespräch nach der Vorführung über Mutter Teresa sprechen. Die Moderation übernimmt Dr. Claudia Kaminsky (K-TV).

Sonnenaufgang über Kalkutta zeigt Lebenszeugnisse von Menschen, die von Mutter Teresa inspiriert wurden / © FUNDACIÓN INFINITO
Sonnenaufgang über Kalkutta zeigt Lebenszeugnisse von Menschen, die von Mutter Teresa inspiriert wurden / © FUNDACIÓN INFINITO

Einmal kniete sie am Boden in der indischen Gebetshaltung – die, wie sie später gestanden hat, ihr immer schwer gefallen ist als Europäerin – und war vollkommen in sich gekehrt mit geschlossenen Augen. Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass vor der Kapelle ein Journalist auf- und abgeht und sie sichtlich sprechen will. Dann sehe ich – in meiner Andacht natürlich sehr abgelenkt – eine Schwester, die mit dem Journalisten spricht und die auf Mutter Teresa hindeutet. Daraufhin kommt der Journalist herein und will mit Mutter Teresa sprechen. Ich denke mir: Jetzt bin ich gespannt, wie sie reagiert. Kaum merkt sie, dass jemand neben ihr ist, schaut sie auf mit einem Lächeln, als wäre das jetzt die schönste Ablenkung, die sie haben könnte. Sie redet mit ihm, eine Minute vielleicht, aber sie bleibt knien. Er geht dann fröhlich hinaus und sie sinkt wieder in sich hinein. Das war so natürlich und so normal, da dachte ich mir: Schau, die hat eine enge Beziehung zum Himmel. 

DOMRADIO.DE: Welche Eigenschaften Sie besonders beeindruckt haben, ist das eine. Aber was war das Besondere auch für die Menschen um sie herum? 

Maasburg: Auch wieder ihre Frömmigkeit. Sie hat einmal gesagt: "Wenn wir nicht beten, dann haben wir nichts zu geben." Und genau deswegen ist ihre Frömmigkeit so wichtig. Sie hat viele Stunden am Tag und ununterbrochen gebetet. Sie sagte: "Wenn wir uns nur selber geben, haben wir nicht genug zu geben. Und nach ein, zwei Jahren haben wir ein Burnout." Deswegen hat sie auch ganz strikt von den Schwestern verlangt, dass sie täglich eine Stunde Anbetung halten. In dieser Anbetung werden die Schwestern erfüllt von dem, was sie dann geben. Das merkt man eigentlich erst, wenn man sie näher kennenlernt – entweder, weil man bedürftig ist oder weil man irgendetwas mit ihnen zu tun hat: Es geht von diesen Schwestern eine Ausstrahlung aus, die übernatürlich ist. Natürlich ist sie nicht übernatürlich. Aber diese Natur, die sie im Gebet empfangen, strahlt in unsere Natur hinein. Und das war die Kraftquelle von Mutter Teresa. 

DOMRADIO.DE: Was würden Sie sagen, verdanken Sie Mutter Teresa persönlich? 

Mutter Teresa 1972 in Indien / © Hans Knapp (KNA)
Mutter Teresa 1972 in Indien / © Hans Knapp ( KNA )

Maasburg: Vielleicht hat sie mich gerettet. Vielleicht hat sie mich von einem Lebensweg abgebracht, der gar nicht so gut gewesen wäre. Vielleicht hat sie mich inspiriert. Wir werden sehen. Sie hat mir auf jeden Fall ganz außergewöhnliche Erfahrungsjahre geschenkt, in der Zeit, in der ich mit ihr reisen durfte. Das waren Jahre, die ich jetzt rückblickend eigentlich erst in ihrer Besonderheit sehe. Das war mir damals gar nicht so bewusst. Aber von der Universität weg zu fahren, schnell auf den Flughafen, weil es schnell nach Indien gehen musste, um dort in der Mission ein paar Dinge zu tun und dann nach drei Wochen wieder zurückzukommen und weiter zu studieren – das war einfach ein ziemlich ungewöhnliches Leben.

DOMRADIO.DE: Der neue Film "Sonnenaufgang über Kalkutta" von Regisseur José María Zavala zeigt Lebenszeugnisse von sechs Personen, die nach dem Vorbild von Mutter Teresa leben. Was sind das für Menschen? 

Pater Leo Maasburg

"Sie hat die Fähigkeit gehabt, uns alle dafür zu gewinnen, dass der Herr nicht abstrakt ist, sondern dass er ganz konkret in den Armen vorhanden ist."

Maasburg: Ganz normale Menschen aus unterschiedlichsten Walks of Life. Das erste Zeugnis ist ein Priester, ein anderer ein Pilot. Sehr faszinierend ist die Tatsache, dass die Menschen teilweise Mutter Teresa gar nicht selbst gekannt haben, sondern sie nur aus den weitergegebenen Bildern kannten. Dann ist sie ihnen zum Teil erschienen, in ihr Leben eingetreten und hat alle möglichen Dinge bewirkt. 

DOMRADIO.DE: Wie setzt der Film diese Lebenszeugnisse der Personen denn in Szene? Es werden ja Menschen gezeigt, die über ihre Inspirationen durch Mutter Teresa berichten. 

Mutter Teresa widmete ihr Leben den Ärmsten der Armen / © FUNDACIÓN INFINITO
Mutter Teresa widmete ihr Leben den Ärmsten der Armen / © FUNDACIÓN INFINITO

Maasburg: Ich glaube, das Schönste an dem Film ist die Kameraführung. Sie führt einen persönlich ein in das Leben dieser Menschen. Man sieht die Menschen, man erkennt sie und man erkennt, wie sie in ihrem Leben das Problem gelebt haben, die Heilung erfahren haben oder die erfüllte Bitte. Es ist eine Offenbarung. Das ist die große Qualität dieses Films. 

DOMRADIO.DE: Das Leben von Mutter Teresa erinnert uns auch heute daran, dass Kalkutta überall ist, dass es in jeder Stadt Menschen gibt, denen es schlecht geht. Das ist auch in Köln so, in Wien ... Ist der Film "Sonnenaufgang über Kalkutta" auch ein Appell, der unsere Bequemlichkeit erschüttern soll, dass wir auch bei armen Menschen eher hin- als wegschauen sollen?

Maasburg: Dieser Film hat etwas, das mich sehr an Mutter Teresa selbst erinnert hat. Sie hat nie direkt an jemanden appelliert, etwas zu tun. Sie hat Leuten einen Job gegeben, wenn sie dazu die Autorität hatte. Aber in Wirklichkeit hat sie den Menschen etwas geoffenbart. Sie hat ihnen einen Blick gegeben auf die Liebe des Herzens Jesu. Sie hat die Fähigkeit gehabt, uns alle dafür zu gewinnen, dass der Herr nicht abstrakt ist, sondern dass er ganz konkret in den Armen vorhanden ist.

Pater Leo Maasburg

Sie möchte uns zeigen, dass es etwa viel Reicheres, etwas viel Schöneres gibt, etwas, das uns letztlich viel mehr befriedigt und unser Leben erfüllt, nämlich Jesus Christus selbst in den Menschen zu sehen."

Wenn sie sagt "Kalkutta ist überall" meint sie, Christus ist überall in den Menschen, denen wir begegnen. Und die Armen sehen manchmal gar nicht so aus. Mutter Teresa hat das englische Wort "Poverty of Muchness" kreiert, die "Armut des Viel-Habens". Darin erfasst sie etwas, was uns vielleicht gar nicht so bewusst ist: Diese Übersättigung, die in Wirklichkeit eine Armut ist. Es ist sehr schwer, die Menschen aus dieser Übersättigung herauszuführen. Das können wir menschlich gar nicht. Im Gegenteil. Übersättigung ist ja ein Ziel. Aber sie möchte uns zeigen, dass es etwa viel Reicheres, etwas viel Schöneres gibt, etwas, das uns letztlich viel mehr befriedigt und unser Leben erfüllt, nämlich Jesus Christus selbst in den Menschen zu sehen. 

Papst Franziskus segnet ein Bild der verstorbenen Mutter Teresa in Tejgaon bei Dhaka / © Handout/L'osservatore Romano (dpa)
Papst Franziskus segnet ein Bild der verstorbenen Mutter Teresa in Tejgaon bei Dhaka / © Handout/L'osservatore Romano ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie kennen Mutter Teresa noch. Sie haben ein Bild von ihr. Sie sehen jetzt, wie andere Menschen auf sie reagieren in diesem Film. Wie schätzen Sie den Film ein? 

Maasburg: Ich glaube, es ist ein ausgesprochen guter spiritueller Filme. Er ist kein Dokumentarfilm, das darf man sich nicht erwarten. Sondern es ist ein Film, der mich einführt in das Geheimnis des geistigen Lebens von Mutter Teresa. Und zwar nicht damals, sondern heute. Deswegen gefällt er mir wirklich sehr gut. Gerade ist in den USA auch ein Dokumentarfilm über Mutter Teresa erschienen. Der ist sehr schön und sehr gut, aber bei weitem nicht so spirituell wie dieser. 

Das Interview führte Dagmar Peters

Quelle:
DR