DOMRADIO.DE: Sie haben Mutter Teresa einige Jahre auf ihren Reisen in der ganzen Welt begleitet, als Ihr Ratgeber, Seelsorger, aber auch als Übersetzer. Wie haben Sie Mutter Teresa erlebt?
Msgr. Leo Maasburg (Ehemaliger Direktor von Missio Austria und Begleiter von Mutter Teresa): Ganz normal und ganz übernatürlich. Wir haben immer diese Spannung gespürt. Sie war eine Frau, die sich der ganz einfachen Probleme des Lebens angenommen hat, sie sehr genau beobachtet hat.
Gleichzeitig hat man gemerkt, dass sie mit dem Herz woanders ist. Dass sie mit dem Herz eine Verbindung zu Christus hat, die unbeschreiblich dicht war.
DOMRADIO.DE: Ihr Buch, das Sie über Mutter Teresa geschrieben haben, trägt den Untertitel "Die wunderbaren Geschichten". Was macht die Geschichten mit ihr denn so wunderbar?
Maasburg: Dass ich beobachtet habe, dass in ihrer Umgebung Dinge immer zufällig geschehen sind - eine dichte Ansammlung von Zufälligkeiten. Das hat sie wunderbar gemacht, weil ich auch herzerfreuliche Geschichten erlebt habe.
Ich glaube, sie hat das in einem kurzen Wort ausgedrückt, was sie von uns erwartet hat: "A heart to love and hands to help - Ein Herz, das liebt und Hände, die helfen". Das war genau sie. Wo immer sie helfen konnte, hat sie sofort geholfen. Und das mit Intelligenz und sehr viel Energie.
DOMRADIO.DE: Aber es gibt auch eine andere Seite der Medaille. Das Hospiz, das sie in Kalkutta gegründet hat, stand oft in der Kritik. Die Finanzierung war nicht so transparent, die Hygiene-Verhältnisse schwierig. Auf moderne Medizin wurde bewusst verzichtet. Wie blicken Sie darauf? Wird Ihr Bild in der Öffentlichkeit beschönigt?
Maasburg: Das Bild, dass es in Kalkutta gegeben hat, war nicht schön. Kalkutta war gar nicht schön. Kalkutta ist heute noch eine sehr schöne Stadt. Aber es ist nicht schön in seiner Armut und mit Millionen von Menschen, die in Slums oder auf der Straße leben. Mutter Teresa hat gesagt: Ich sehe, wo die Not ist, und ich helfe, so viel ich kann. Ich glaube, dem ist sie immer treu geblieben. Ob sie da auch Fehler gemacht hat, ist eine andere Frage. Aber sie hat geholfen, wo sie konnte, eben mit einem Herz, das geliebt hat und Händen, die geholfen haben.
DOMRADIO.DE: Vor kurzem hat die indische Regierung ihrer Hilfsorganisation "Missionaries of Charity" verboten, Spenden aus dem Ausland zu bekommen. 600 Millionen Euro könnten da in Zukunft fehlen pro Jahr. Macht das etwas mit Ihnen, wenn Sie solche Nachrichten lesen?
Maasburg: Das sind eher politische Fragen und Mutter Teresa hat sich selber immer aus der Politik herausgehalten. Deswegen hat mich auch diese Nachricht nicht sehr beeindruckt. Die Schwestern haben mit der Gelassenheit darauf reagiert, die ihnen eigen ist. Ein paar Wochen später war auch das ganze Problem wieder beseitigt. Wenn man Gutes tun will, hat man immer Schwierigkeiten zu überwinden.
DOMRADIO.DE: Sie beschäftigen sich auch heute noch intensiv mit der Spiritualität der Heiligen Mutter Teresa, halten Vorträge darüber. Was macht das Geheimnis dieser Spiritualität für Sie aus? Wie hat sie vielleicht auch ihren eigenen Glauben geprägt?
Maasburg: Sie hat hoffentlich meinen Glauben geprägt. "Total surrender and loving trust" waren die Stichworte. Vollkommene Hingabe und ein liebevolles Vertrauen auf Christus - und das durch die Meditation der Gottesmutter. Sie war sehr marianisch, aber sie war vollkommen christologisch. Sie war ganz auf Christus ausgerichtet, weil dieser Satz ihr Leben geprägt hat: "Mich dürstet" - im Johannesevangelium das letzte Wort Jesu am Kreuz.
Mich dürstet nach Liebe und nach Seelen - das hat sie mit der Liebe zu den Armen beantwortet, weil sie dort Christus gefunden hat. Was ihr dem geringsten eurer Brüder getan hat, das hat sie mir getan. Diese Achse von der Sehnsucht Jesu nach Liebe, zu der Liebe, die man den Ärmsten der Armen schenken kann, weil man dort Christus begegnet - das war ihre Spiritualität.
Vielleicht kann ich das durch ein kurzes Beispiel erläutern. Im Jahr 1964 war in Bombay der Eucharistische Weltkongress. Mutter Teresa ist jeden Tag von dem Haus ihrer Schwestern zu Fuß zum Kongress gegangen. Eines Tages geht sie mit den Schwestern, und da liegen ein sterbender Mann und eine sterbende Frau auf der Straße. Sie sagt den Schwestern: Geht weiter zum Kongress. Ich bleibe bei Ihnen, und ich kümmere mich um sie.
Am nächsten Tag haben die Leute im Kongress gefragt: Wo sind sie gestern gewesen? Sie waren nicht da. Und sie sagte: Ihr wisst ja, ihr betet zu Christus in der Eucharistie. Ich habe ihn gestern auf der Straße getroffen, in diesen zwei Ärmsten. Da bin ich den ganzen Tag bei ihm geblieben. Wo immer sie helfen konnte, hat sie sofort geholfen. Und das mit Intelligenz und sehr viel Energie.
Das Interview führte Katharina Geiger.