DOMRADIO.DE: Das belgische Internetportal "kerknet" schreibt, dass es ein Diskussionspapier in der belgischen Bischofskonferenz gibt, in dem über Reformen gesprochen wird. Ist es so, dass Sie mit Ihren bischöflichen Mitbrüdern über weitreichende Änderungen diskutieren?
Bischof Johan Jozef Bonny (Bischof der Diözese Antwerpen): Ja, und das hat mit dem synodalen Prozess von Papst Franziskus, mit der Weltsynode zu tun.
Wir haben uns gefragt, was die belgische Delegation bei der Weltsynode im Oktober zu den Gesprächen beitragen kann. Wir haben uns als Bischöfe angehört, was uns unsere kirchlichen Gremien in Belgien sagen. Und bei einigen Punkten sagen wir, dass wir das als Bischöfe unterstützen und dafür Fürsprecher in Rom sein wollen.
Beim synodalen Prozess geht es ums Zuhören, also auch darum, was den Katholiken in Belgien oder der Gesellschaft in Belgien richtig erscheint.
DOMRADIO.DE: Es sind relativ weitreichende Reformen, über die in Belgien gesprochen wird. Zum Beispiel soll es nicht mehr verboten sein, dass Frauen zu Diakoninnen geweiht werden. Auch der Pflichtzölibat ist in der Diskussion. Warum halten Sie diese Veränderungen für wichtig?
Bonny: Weil diese Punkte immer wieder von den Leuten in ganz Belgien angesprochen werden. Es gibt noch andere Reformwünsche, aber dass wir "viri probati", also bewährte, verheiratete Männer zu Priestern weihen sollten, klingt auch immer und überall an.
Die Debatte gibt es schon mindestens seit 20, 30 Jahren. Ich denke, dass die ganze belgische Kirche dafür offen ist und dass wir diese Priester auch brauchen und dass sie gute Priester wären. Außerdem haben wir schon einige verheiratete Priester. Aber das sind alles orientalisch-katholische Priester, beziehungsweise aus der griechisch-katholischen Kirche oder aus Kirchen im Mittleren Osten. Jeder Bischof in Belgien hat schon drei, vier verheiratete Priester, aber eben ausschließlich orientalisch-katholische Priester.
Es ist schwer zu verstehen, warum jemand, der aus der Ukraine oder aus Rumänien oder aus Syrien stammt und hier bei uns geboren ist und studiert hat, als verheirateter Mann zum Priester geweiht werden kann und ein römisch-katholischer Priester nicht verheiratet sein darf.
Und dann gibt es auch die Frauenfrage. Frauen tragen schon jetzt große Verantwortung in unserer Kirche. Die Frage, ob man Frauen zumindest zu Diakoninnen weihen könnte, wird hier überall gestellt. Darüber denkt das gesamte Volk Gottes in Belgien nach. Das wollen wir als Bischöfe mit den Gläubigen zusammen auch in Rom einbringen.
DOMRADIO.DE: In Deutschland gab es das Reformprojekt "Synodaler Weg". Das hat auch weitreichende Reformen gefordert. Dennoch gab es immer wieder Mahnungen und sogar Briefe aus Rom, auch vom Papst persönlich. Befürchten Sie, dass nun eine ähnliche Reaktion aus dem Vatikan zu Ihnen nach Belgien kommt?
Bonny: Das weiß ich nicht. In diesem Jahr will der Papst ja Belgien besuchen, aber nur für zwei Tage. Da wird er vor allem die Universitäten von Leuven/Louvain besuchen. Das ist sehr wichtig. Er wird auch mit Opfern von sexuellem Missbrauch sprechen. Der Besuch findet nur eine Woche oder zwei Wochen vor Beginn des Oktobers statt, wenn in Rom die Weltsynode zusammenkommt.
Uns geht es jetzt um die wichtige Frage, wie wir unsere Vorschläge in der Synode einbringen. Unsere Debatte ist also die Vorbereitung für den Oktober in Rom. Ob wir über diese Themen beim Papstbesuch hier bei uns im September sprechen, weiß ich nicht. Der Fokus ist dann nicht auf diese ekklesiologischen oder synodalen Fragen gerichtet. Aber bei der Synode wenig später werden diese Punkte dann vorkommen.
DOMRADIO.DE: Sie haben es eben schon angedeutet, auch in Belgien hat die Kirche wie in Deutschland durch ihr Verhalten beim sexuellen Missbrauch schwere Schuld auf sich geladen. Der ehemalige Bischof von Brügge etwa soll wegen Missbrauch aus dem Klerikerstand entlassen werden. Für wie drängend halten Sie denn die Veränderungen in der Kirche, gerade mit Blick auf die sexualisierte Gewalt?
DOMRADIO.DE: Die Veränderungen können nicht mehr lange warten. Die Erwartungen sind zu groß und die Notwendigkeit für einen anderen Stil von Kirchenleitung, vom Zusammenwirken mit allen in der Kirche ist sehr groß. Da muss etwas geschehen.
Synodalität ist grundsätzlich eine Gemeinschaftsidee, dass wir also zusammen weitergehen. Da geht es um Einheit in Verschiedenheit, um Kirche als Communio, als Familie, als Volk Gottes, als Einheit in Verschiedenheit. Das wird meiner persönlichen Meinung nach der wichtigste Punkt im Oktober sein. Was bedeutet Einheit in Verschiedenheit für die Kirche? Und niemand, wie ich gelesen habe, auch kein Bischof in Deutschland, absolut niemand, will eine Kirchen-Spaltung.
Wir sind alle große Verteidiger der Einheit der Kirche. Persönlich habe ich elf Jahre in Rom im Einheitssekretariat mit Kardinal Kasper (dem damaligen Präsidenten des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Anm. d. Red.) zusammengearbeitet. Also, die Einheit der Kirche ist sehr wichtig.
Aber was heißt Einheit? Es bedeutet Communio. Und Communio ist Einheit in Verschiedenheit. Darum geht es grundsätzlich. Es wird vielleicht keine neue einheitliche Lösung für diese vielen praktischen pastoralen Fragen geben, denke ich.
Muss man also nicht eine neue Definition von Einheit in Verschiedenheit treffen? Was ist rechte Einheit? Was ist rechte Verschiedenheit und wie kann man die beiden zusammenhalten? Das ist die wichtigste Frage.
DOMRADIO.DE: Das heißt also, es wäre denkbar, dass manche Ortskirchen vorangehen, sodass etwa in Belgien und Deutschland zum Beispiel Frauen zu Diakoninnen geweiht werden und in anderen Regionen der Welt, wo es dieses Verständnis vielleicht nicht gibt, noch nicht?
Bonny: Ja, warum nicht? Wir haben schon seit langem zwei Typen von Priestern, verheiratet und eben nicht-verheiratet. In der katholische Kirchen gibt es auch zwei Codices (Kirchliche Gesetzbücher, Anm. d. Red.); den Codex für die lateinische Kirche und den für die unierten, für die orientalisch-katholischen Kirchen. Einheit in Verschiedenheit ist also möglich. Das Modell Einheit in Verschiedenheit besteht schon. Und eine Neubesinnung über diese Einheit in Verschiedenheit ist meiner Meinung nach ganz elementar und notwendig.
DOMRADIO.DE: Als Bischof sind Sie auch ein Mann der Hoffnung. Wie groß ist denn bei Ihnen die Hoffnung, dass es auf absehbare Zeit auch mit Blick auf die Synode im Herbst doch noch zu vielleicht weitreichenden Reformen in der Kirche kommt?
Bonny: Hoffnung ist nicht nur warten. Hoffnung ist auch, das zu machen, was jetzt notwendig ist. Klar, was kirchlich verboten ist, kann man nicht machen. Das ist klar.
Aber es geht doch um konkrete Veränderungen, die nicht gegen das Kirchenrecht sind und dennoch Erneuerung bringen und neue Perspektiven eröffnen. Hoffnung bedeutet auch, konkrete Schritte vorwärts zu setzen und mutig zu sein.
Die Glaubwürdigkeit der Kirche kann nicht nur von oben, von der Spitze kommen, sie muss von unten aus geschehen. Das ist ein wichtiger Punkt. Wir als Bischöfe in Belgien, in Deutschland, in Frankreich oder in England, sind für die Glaubwürdigkeit der Kirche in unserem Land zuständig. Dafür müssen wir uns einsetzen.
Das Interview führt Mathias Peter.