Benedikt XVI. lehrt etwas zu Zerbrechlichkeit und Schwäche

Fehlbar, verletzlich, menschlich

Mit seinem Rücktritt im Jahr 2013 hat der verstorbene Papst Benedikt XVI. das Papstamt verändert. Dass Ratzinger-Freunde und -Kritiker diesen Schritt unisono würdigen, sagt auch viel über den Umgang mit Schwäche aus.

Autor/in:
Paula Konersmann
Papst Benedikt erklärt seinen Rücktritt / © Osservatore Romano/Romano Siciliani (KNA)
Papst Benedikt erklärt seinen Rücktritt / © Osservatore Romano/Romano Siciliani ( KNA )

Die einen bejubelten eine Entmystifizierung, die anderen fühlten sich vom Traditionsbruch vor den Kopf gestoßen. Einig sind sich fast alle, dass der frühere Papst Benedikt XVI. das Papsttum mit seinem Rücktritt nachhaltig geprägt hat. Wegbegleiter, aber auch viele, die dem Deutschen eher kritisch gegenüberstehen, bekundeten zu Benedikts Tod erneut Respekt für diese Entscheidung.

Es sei "in jedem Fall etwas Besonderes", wenn eine öffentliche Person eine Schwäche eingestehe, sagt der Religionspsychologe Lars Allolio-Näcke. Und: "Dass dieser Rücktritt überhaupt als Schwäche wahrgenommen wurde und wird, hängt allerdings stark mit unserer Leistungsgesellschaft zusammen. Es gilt, dass man funktionieren muss." Dabei sei es aufrichtig von Benedikt XVI. gewesen, einzugestehen, dass er eben nicht mehr funktionieren konnte - und auch hilfreich für Dritte.

Lars Allolio-Näcke, Religionspsychologe

"Manche betrachten sich selbst als Dreh- und Angelpunkt, ohne den nichts läuft"

Diese Ehrlichkeit fällt nach Einschätzung des Experten vielen Menschen schwer, wenn es um - tatsächliche oder vermeintliche - Schwächen geht. "Manche betrachten sich selbst als Dreh- und Angelpunkt, ohne den nichts läuft", sagt Allolio-Näcke. "Andere wollen ihr Team oder ihr Umfeld nicht im Stich lassen, und natürlich gibt es bisweilen auch Druck von außen." Einfach sei es keinesfalls, aus dem Kreislauf von Erwartungen auszusteigen.

Bei einem Papst oder auch bei Politikerinnen und Politikern kommt aus Sicht des Philosophen Holger Zaborowski hinzu, dass sie oft geradezu unbarmherzig beurteilt würden: "Die Medien und die Öffentlichkeit stürzen sich auf Schwächen. Von öffentlichen Personen wird allzu oft etwas Heroisches erwartet, das eigentlich nur überfordern kann."

Schwäche zeigen - Vertrauen gewinnen

Dabei kann es sogar Vorteile haben, Schwächen zuzugeben. "Wenn wir anderen nicht nur unsere Schokoladenseite zeigen, sondern auch zu unseren Schwierigkeiten, Zweifeln und Schwächen stehen, entstehen mehr Nähe, Offenheit und Vertrautheit", sagte die Sozialpsychologin Sabine G. Scholl kürzlich der Zeitschrift "Psychologie Heute.

Studien der Universität Mannheim, an denen Scholl beteiligt war, hätten zudem gezeigt, dass die meisten Menschen die eigene Verletzlichkeit deutlich negativer wahrnähmen als die von anderen.

Als Stärke interpretiert

"Bei anderen sind wir viel eher geneigt zu sagen: 'Das kann doch jedem mal passieren. Davon geht die Welt nicht unter.' Oft sind wir sogar beeindruckt, wenn jemand zu einem Fehler steht, und interpretieren das als Stärke", so die Forscherin.

Sie rät zu einer Haltung gegenüber sich selbst wie gegenüber einem guten Freund: "Je mehr Selbstmitgefühl, desto geringer die Tendenz, über das Zeigen der eigenen Verletzlichkeit hart zu urteilen." So seien ältere Menschen Studien zufolge eher bereit, etwa einen Rollator zu nutzen, wenn sie entsprechende Gebrechen "selbstmitfühlend akzeptieren".

Grenzen anerkennen sei etwas "zutiefst Christliches"

Es seien meist Erfahrungen von Grenzen, die zu einem Rückzug führten, erklärt Zaborowski: Grenzen des Alters, der Gesundheit, der eigenen Fähigkeiten. Diese Grenzen anzuerkennen, sei etwas zutiefst Christliches, so der Wissenschaftler im Hinblick auf den früheren Papst. "Das rechte Maß zu finden und die eigene Endlichkeit anzuerkennen, hat in vielen Kulturen einen hohen Stellenwert - auch wenn unsere heutige Gesellschaft eher verlangt, ständig darüber hinauszugehen."

Auch Allolio-Näcke sieht die Gesellschaft gefragt. Mehr Flexibilität in der Arbeitswelt könne hilfreich sein - und zugleich eine andere Einstellung gegenüber der Arbeit. "Spätestens, wenn die eigene Gesundheit gefährdet ist, gilt es, die Reißleine zu ziehen." Viele Menschen wüssten jedoch gar nicht, dass etwa ein verspannter Nacken auch ein Anzeichen für einen drohenden Burnout sein könne.

Nicht immer sei freilich gleich ein Rücktritt angezeigt, sagt Zaborowski: "Oft geht es nicht um Ganz oder Gar nicht - sondern darum, das Leben so umzugestalten, dass es wieder passt." Wer Überforderung bei sich oder anderen wahrnehme, dem rät der Philosoph zu offenen Gesprächen und dazu, Verständnis aufzubringen. "Wir neigen dazu, Hinfälligkeit, Scheitern oder überhaupt die eigenen Grenzen zu tabuisieren." Dass tatsächlich das Gegenteil sinnvoll sei - "dafür könnte der verstorbenen Papst vielleicht ein Vorbild sein".

Papst unterzeichnete bedingte Rücktrittserklärung

Papst Franziskus hat enthüllt, dass er eine bedingte Rücktrittserklärung für den Fall seiner Amtsunfähigkeit unterschrieben hat. In einem am Sonntagmorgen veröffentlichten Interview mit der spanischen Zeitung ABC berichtete der Papst, er habe ein entsprechendes Dokument unterzeichnet und dem damaligen Kardinalstaatssekretär Tacisio Bertone gegeben. Bertone übte dieses Amt bis zum 15. Oktober 2013 aus.

Papst Franziskus während der Generalaudienz / © Vatican Media (KNA)
Papst Franziskus während der Generalaudienz / © Vatican Media ( KNA )

 

Quelle:
KNA