Man kann sich ein schlimmeres Exil vorstellen als Avignon - und das werden sich auch jene Päpste, Kurialen und Höflinge gesagt haben, die dort im 14. Jahrhundert Hof hielten. Von 1309 bis 1376 war das Städtchen an der Rhone Rom. Denn dorthin hatte es das Papsttum verschlagen: unter dem Druck der französischen Krone - und wegen der politischen Wirren und Adelsfehden in Italien. Rom galt als unregierbar. Dennoch stand das Ziel einer Rückkehr in die Ewige Stadt fast immer im Raum. Unter Urban V., der am 19. Dezember 1370, vor 650 Jahren, starb, hätte es fast geklappt.
Das Symbol des päpstlichen "Exils", der Papstpalast am Rhone-Ufer, zählt als größter gotischer Palast der Welt heute zu Frankreichs Touristenmagneten. Die päpstlichen Schatullen waren völlig leer, als der steinerne Koloss 1356 fertiggestellt war. Alles, was das Finanzgenie Johannes XXII. (1316-1334) etwa durch das Ablasswesen an diesseitigen Gütern angehäuft hatte, hatten seine Nachfolger verbaut oder durch prunkvolle Hofhaltung verjubelt.
Kritik an Papsttum von Avignon
Eine der schärfsten Kritikerinnen des Papsttums von Avignon ist die heilige Birgitta von Schweden (1303-1373). Sie lässt Clemens VI. (1342-1352) die Ohren klingeln mit der Prophezeiung eines Strafgerichts: "... und ich werde dich ausfragen über die Nachlässigkeit und die Unverschämtheit deiner Zeit. (...) Und dein Name, mit dem du dich auf Erden benannt hast, wird in meinen Augen und denen meiner Heiligen in Vergessenheit und Schimpf sein."
Zum "Heiligen Jahr" 1350 siedelt Birgitta selbst ins innerlich wie äußerlich verwahrloste Rom über, wo sie die letzten Jahrzehnte ihres Lebens verbringt: als Mutter der Armen und Prostituierten und als schlechtes Gewissen der Schlechten.
Regent in Mönchskutte
Als der "beste" der Päpste von Avignon gilt der Benediktiner Guillaume de Grimoard, ein Kompromisskandidat und zuvor Abt von Sankt Viktor in Marseille. Sittenstreng, fordernd, fromm und mildtätig, verstärkt Urban V. (1362-1370) die Reformbemühungen seines Vorgängers Innozenz VI. - was selbst den scharfen Papstkritiker Francesco Petrarca jubeln lässt: "O großer Mann, ohnegleichen in unserer Zeit".
Weil er nie Teil der Kurie war, fühlt sich der aus dem abgelegenen Gevaudan in den Cevennen stammende Urban V. fremd im Apparat von Avignon. Er regiert in seiner Mönchskutte, bedürfnislos und unbestechlich, kämpft gegen Ämterkauf und Pfründenhäufung. Zugleich verschlingen seine Förderung der Wissenschaften und neuer Universitäten in Europa sowie seine Bildungsstipendien für Arme namhafte Summen des Kurienbudgets.
Papsttum kehrt nach Rom zurück
1364 erhält dieser so hoffnungsträchtige Papst Besuch von gleich vier hochgestellten Persönlichkeiten - alle mit demselben Ziel: Das Papsttum soll nach Rom zurück! Es erscheinen in Avignon Kaiser Karl IV., der Dichter Giovanni Boccaccio ("Decamerone"), die heilige Birgitta und der Dichterfürst Petrarca. Sie stehen für das Reich, für die Kultur, für die Kirche und Italien. Frankreich und Avignon zerren am Papst ebenso wie Italien und Rom. Und die Provence ist auch kein sicheres Pflaster mehr; mehrfach plündern Söldnerheere die Region.
Im Oktober 1367 ist es soweit: Urban V. zieht an der Seite des Kaisers in Rom ein. Der spanische Kurienkardinal Gil Alvarez de Albornoz hatte über viele Jahre die Verwaltung des zerrütteten Kirchenstaates neu strukturiert und ihm eine neue Gesetzgebung verordnet - und damit überhaupt die Rückkehr des Papstes möglich gemacht.
Urban V. krönt die Ehefrau Karls IV. zur Kaiserin. Doch sich dauerhaft in Rom durchzusetzen, gelingt Urban nicht. Für zusätzlichen Frust sorgt 1369 ein gescheiterter Unionsversuch mit dem vom Islam bedrängten byzantinischen Kaiser Johannes V. Der verspricht in Rom, gegen Militärhilfe die Kirchenspaltung von 1054 aufzuheben und den Papst anzuerkennen - doch er findet bei den eigenen Leuten keinerlei Unterstützung für diese Zusage. Der alte Traum von der Kircheneinheit platzt.
Rückkehr Urbans V. nach Avignon
Nach drei Jahren kehrt Urban V., entnervt und dem Drängen der Franzosen folgend, im September 1370 nach Avignon zurück - wo er binnen dreier Monate stirbt, wie es die heilige Birgitta prophezeit hatte. Genau 500 Jahre später, 1870, spricht ihn Pius IX., der Papst des untergehenden Kirchenstaates, selig. Urbans Grablege in der Abtei Sankt Viktor in Marseille wurde in der Französischen Revolution zerstört.
Urbans Nachfolger Papst Gregor XI. (1370-1378) verlässt auf Betreiben der heiligen Katharina von Siena im September 1376 Avignon für immer und schifft sich gen Rom ein. Das "Babylonische Exil" der Päpste ist beendet - das Problem der beschädigten Autorität des Papsttums allerdings nicht.