KNA: Abt Johannes, die Pandemie, der Ukraine-Krieg, der Klimawandel und immer neue Krisen. Welche von den sieben Posaunen ist bereits am Erklingen?
Abt Johannes Eckert (Benediktinerabt von Sankt Bonifaz in München und Kloster Andechs): Das kann man so nicht sagen, auch wenn die apokalyptischen Reiter in der Tat Kriege, Seuchen und Inflation bringen. Was wir derzeit zu erleben glauben, ist in dem Buch durchaus gegenwärtig. Die Geschichte der Menschheit ist geprägt von Katastrophen.
Eine Zeit lang wiegen sich die Menschen in Sicherheit, dann aber folgen immer wieder Wendepunkte. Die Apokalypse ist ein Weckruf, um sich zu fragen: Was heißt das jetzt für uns? Vom Weltuntergang steht darin nichts.
KNA: Wie bitte? Der Begriff Apokalypse wird doch damit gleichgesetzt.
Eckert: Stimmt. Aber das ist eine Weiterentwicklung des Wortes. Als das Werk gegen Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus entstand, bedeutete Apokalypse Enthüllung oder besser Veröffentlichung. Der Autor Johannes wollte einer Reihe von christlichen Gemeinden in Kleinasien deutlich machen, um was es Jesus von Nazareth ging, dass mit seiner Auferweckung aus dem Tod wir auf eine große Zukunft zugehen.
KNA: Er mutet seinen Lesern Bilder des Schreckens zu. Wie passt das zusammen mit Jesus und seiner Botschaft der Liebe?
Eckert: In den Evangelien findet sich nicht nur der "liebe Jesus"; das machen dessen endzeitliche Reden etwa bei Markus deutlich. Dort erinnert Jesus daran, dass wir alle Verantwortung tragen und uns einmal verantworten müssen. Gerechtigkeit kann es nicht auf Kosten der Opfer geben. Am Ende gibt es ein Gericht und die persönliche Läuterung, um alles zum Guten zu richten.
KNA: Welche Rolle spielt die Freiheit?
Eckert: Gott will keine Marionetten. Der Mensch soll frei sein in seiner Entscheidung. Er kann sich gegen Gott oder für ihn und seine Menschlichkeit entscheiden. Die in der Apokalypse vorkommenden Monster zeigen, wie bestialisch der Mensch sein kann; das sehen wir ja derzeit etwa in der Ukraine.
KNA: Woher bezieht Johannes diese Bilder?
Eckert: Der Autor war vertraut mit dem Alten Testament, wo solche furchterregenden Tiere bei Ezechiel und Daniel vorkommen. In der Apokalypse stehen sie für das menschenverachtende Römische Reich. Schon mein Lateinlehrer hat gesagt: Wenn ihr die großen Bauten der Antike bewundert, denkt daran, dafür mussten viele Sklaven ihr Leben lassen.
Der einzelne Mensch spielte im Römischen Reich keine Rolle. Noch heute gibt es Staaten, wo dies ebenfalls zutrifft.
KNA: Für viele ist die Apokalypse ein "Buch mit sieben Siegeln". Wie haben Sie sich den Text erschlossen?
Eckert: Lange und mühsam – und das über ein Jahr; dazu kamen noch viele Kommentare. Der Seher Johannes hat sich seine Einsichten auch «erlesen». Im Gegensatz zum eher gemäßigten Paulus ist er aber ein Hardliner, der den Gemeindemitgliedern einschärft, ja keine Arrangements mit den Römern und ihrem Kaiserkult einzugehen.
Nicht die Zukunft will er vorhersagen, sondern einen Protest für die Gegenwart liefern. Übrigens werden keine Schlachten, wie viele meinen, geschildert, sondern nur angedeutet. Am Ende steht die große Vision vom neuen Jerusalem mit offenen Türen für alle und damit ein großes Ja zur Kultur des Menschen.
KNA: "Mit Visionen sollte man zum Arzt gehen", meinte Altkanzler Helmut Schmidt. Der Urheber der Apokalypse schreibt seine nieder. Warum haben Sie mit ihm auch Ihre Probleme?
Eckert: Der Autor kennt nur Schwarz-Weiß-Denken. Unser Leben ist aber nicht so. Zweitens besteht die Gefahr, mit diesen Bildern Menschen zu verteufeln. Die Apokalypse ist ein Rundbrief an sieben Gemeinden. Darauf darf es Reaktionen geben, auch wenn das der Seher nicht will.
KNA: Hat er Antwortbriefe bekommen?
Eckert: Durchaus. So ärgert er sich über Isebel. Die Prophetin wollte sich wohl mit den Römern arrangieren. Diese Anbiederei lehnt er ab, spricht von Hurerei. Es hat also Auseinandersetzungen mit den Gemeindemitgliedern gegeben. Wir wissen ja auch nicht, warum Johannes auf der Insel Patmos lebte.
War er verbannt worden, ist er geflohen oder hat er sich wegen innergemeindlicher Konflikte dorthin zurückgezogen? Erinnert sei, in Ausnahmezeiten kommt es gern zu fundamentalistischen Tendenzen. Das Problem der Kirche heute ist nicht der Gegensatz von progressiv oder konservativ; es geht auf beiden Seiten ins Extrem.
KNA: Die Apokalypse wurde von der Kirche auch als Druckmittel eingesetzt. Dieses Buch kann aber Hoffnung machen. Inwiefern?
Eckert: Leider ist das Buch oft missbraucht worden. Luther hat vom Antichristen in Rom gesprochen; Rom vom Antichristen in Wittenberg. Die Botschaft der Apokalypse lautet aber: Haltet durch, gebt nicht auf. Das Bild von der gebärenden Frau will sagen, seid guter Hoffnung, auch wenn alles zusammenbrechen mag.
Das gilt auch heute, wenn wir uns etwa um unsere Demokratien sorgen. Der Autor der Apokalypse ist überzeugt, das römische Weltreich wird untergehen. Denn im Hintergrund führt Gott Regie, und das Gute wird siegen. Der Theologe Karl Barth sagte 1968 vor seinem Tod: "Es wird regiert." Nicht nur in Peking, Moskau und Washington, sondern noch wo anders.
KNA: "Gott hat große Geduld mit uns Menschen und seiner Schöpfung" lautet Ihre Überzeugung. Was heißt das für Kirche und Gläubige?
Eckert: Gott schaut sich alles geduldig an und lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, so ist das Gottesbild der Apokalypse. Auch für uns Christen sollte gelten, sich nicht aus dem Konzept bringen zu lassen und in Treue zu Gott den eigenen Weg zu gehen. Seine Botschaft ist stark, trotz der Kirche mit all ihren Makeln und Fehlern. Ich bleibe, weil ich darauf vertraue, dass er auch bleibt.
Das Interview führte Barbara Just.