DOMRADIO.DE: Bernhard Vogel engagierte sich schon in seiner Jugend für die katholische Kirche. Viele sagen sogar, dass ihm dieses Engagement wichtiger war als die Schule selbst. Kann man das so sagen?

Prof. Dr. Hermann Wentker (Historiker und Leiter der Abteilung Berlin des Instituts für Zeitgeschichte): Er hat sich Zeit seines Lebens für die katholische Kirche engagiert. Das war ihm zweifellos sehr wichtig. Er hat sich selbst in seinen Erinnerungen als schlechten Schüler bezeichnet.
Sein kirchliches Engagement damals im Bund Neudeutschland, so schreibt er, sei erfolgreicher gewesen. Er erzählt letztlich, dass er dazu animiert wurde, eine Gruppe im Rahmen des ND, wie man damals sagte, zu gründen, hat das auch getan und erzählt auch begeistert von den Aktivitäten, die diese Gruppe dann machte.

DOMRADIO.DE: Inwieweit hat die Katholische Soziallehre seine Politik geprägt?
Wentker: Das ist etwas schwieriger zu beantworten. Vielleicht am ehesten als Kultusminister in Rheinland-Pfalz in den Jahren 1967 bis 1976. Ansonsten konnte er seine Politik als Ministerpräsident schlecht nur auf einen Punkt konzentrieren.
Er hatte ja sehr viele Aufgabenfelder und hier entschied er meist pragmatisch. Wobei man natürlich immer sagen muss, dass das christliche Menschenbild in allem, was er tat, für ihn die Grundlage war.
DOMRADIO.DE: Geprägt wurde Vogel sicherlich auch von den katholischen Reformbewegungen nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Wie hat er den Umbruch in der Kirche begleitet? Schließlich hatte er auch die Präsidentschaft des revolutionären Katholikentags in Essen übernommen.
Wentker: Ja, das ist richtig. Hier ist hervorzuheben, dass er versuchte, die unterschiedlichen Gruppierungen, die es damals gab, vor allem die Gruppierungen, die der katholischen Hierarchie kritisch gegenüberstanden und die dann auch auf dem Katholikentag in Essen lautstark hervortraten, zu integrieren und ihnen auch ein gewisses Gehör zu verschaffen.

Zentral war für ihn, dass er die Laien stärker beteiligen wollte und auch das synodale Element in der katholischen Kirche stärken wollte.
DOMRADIO.DE: Als größtes Abenteuer seines Lebens hat Vogel seine Zeit im Osten Deutschlands bezeichnet. Als Wessi war er in Thüringen als Ministerpräsident äußerst beliebt. Wie ist ihm das gelungen, als Westdeutscher so beliebt zu sein?
Wentker: Vogel war schon vor 1990 an der DDR interessiert, aus einem gesamtdeutschen Bewusstsein heraus. Er hat schon vor 1990 elf Reisen in die DDR unternommen und die waren fast immer privater Natur. Er wollte also dorthin, um Land und Leute kennenzulernen. Das war seine entscheidende Antriebskraft.

Und nach 1992 konnte er dann als Ministerpräsident in Thüringen daran anknüpfen. Er startete nicht nur mit Elan in seiner Arbeit, sondern er nutzte auch die Wochenenden für ausgedehnte Wanderungen. Er schreibt in seinen Erinnerungen, dass er Thüringen an zehn Wochenenden erwanderte. Das muss man sich einmal vorstellen.
Das waren jeweils Wanderungen von 50 bis 60 Kilometern. Und auf diese Weise kam er dann auch in Kontakt mit den lokalen Autoritäten, mit Bürgermeistern, aber auch mit den ganz normalen Bürgern und Bürgerinnen.
Außerdem nahm er, wie auch schon in Rheinland Pfalz, sogenannte Kreisbereisungen vor und besuchte in den Jahren 1992 und 1993 alle Kreise und kreisfreien Städte Thüringens.
So verschaffte er sich nicht nur ein Bild von Land und Leuten, sondern so konnte er sich auch mit Thüringen richtig identifizieren. Und vor dem Hintergrund der ganzen Begegnungen nahmen ihm die Menschen das auch ab.

DOMRADIO.DE: Bernhard Vogel war auch lange Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Wie würde er die Reformbemühungen der katholischen Kirche heute sehen? Kann man das sagen?
Wentker: Das ist natürlich sehr schwierig. Aufgrund der Erinnerungen, die ich gelesen habe, lässt sich das leider nicht sicher sagen. Ich vermute, er hätte wie in den 60er und 70er Jahren sich für die Stärkung des synodalen Elements in der Kirche eingesetzt. Und wahrscheinlich wäre er auf der Seite der Reformkräfte gestanden.
Das Interview führte Heike Sicconi.