DOMRADIO.DE: Herr Mayer, die Kirche hat im Moment keinen leichten Stand. Der Entwicklungsprozess #ZusammenFinden, der die Entstehung großer pastoraler Einheiten im Erzbistum Köln vorsieht, bringt weiteren Unmut, vor allem aber viel Diskussionsbedarf mit sich. Wie wirkt sich die momentane Krise auf Ihre Arbeit aus, die junge Menschen doch eigentlich bei der Suche ihrer Berufung innerhalb der Kirche unterstützen und stärken will?
Gerald Mayer (Leiter der Berufungspastoral im Erzbistum Köln): Es gibt verschiedene Möglichkeiten, an eine Krise heranzugehen: Man steigt völlig aus und steckt den Kopf in den Sand. Oder aber man engagiert sich erst recht, kämpft und nutzt die Freiräume, die durch den Veränderungsdruck einer Krise entstehen. So geht es den Menschen, die zu uns kommen. Sie haben grundsätzlich einen positiven Blick auf Kirche, Gemeinde und den Glauben an Gott. Aus diesem Glauben heraus wollen sie gestalten und diesen Glauben stellen sie für sich ins Zentrum. Bei Abiturienten und Studierenden beobachte ich oftmals, dass das, was ein Großteil der Erwachsenen als Krise definiert, für die jüngere Generation gar nicht so ein großer Schock ist. Denn die sind mit dem Wissen um die Missbrauchsverbrechen oder größer werdenden Pastoralen Einheiten aufgewachsen. Deshalb fällt es ihnen oft leichter, sich gerade jetzt zu engagieren. Sie wissen, worauf sie sich im Positiven wie im Negativen einlassen – und tun das dann sehr bewusst.
DOMRADIO.DE: Es lässt sich aber doch nicht leugnen, dass bei vielen Jugendlichen auch in erschreckendem Maße eine Entfremdung von Kirche stattfindet…
Mayer: Ich kann nur über die jungen Menschen sprechen, die zu uns in die Berufungspastoral kommen. Und die sind in der Regel in ihren Gemeinden angebunden und werden über ihr Engagement dort auf uns aufmerksam. Darüber hinaus werden wir regelmäßig von Schulklassen und Firmgruppen angefragt, denen wir weniger über konkrete kirchliche Berufe erzählen, als dass wir das Thema „Berufung“ in den Mittelpunkt stellen: Wie kann ich meine Talente, Fähigkeiten und Charismen für die Gesellschaft einsetzen – und zwar geleitet von Werten, die aus dem Evangelium kommen?
Solche Gespräche stoßen dann immer wieder auf ungeteiltes Interesse und offenbaren, dass die meisten dieses Wertefundament, das Jesus vorgelebt hat – zum Beispiel Nächstenliebe oder gegenseitigen Respekt und Vergebung – teilen. In seinem Leben Macht und Geld zu wollen, muss nicht schlecht sein, wenn der Umgang damit von christlichen Werten geleitet ist. Fragestellungen wie „Was ist mir im Leben wichtig?“, „Wie will ich mein Leben gestalten?“ oder „Wie kann ich meinen Glauben leben?“ haben bei unseren Workshops einen zentralen Stellenwert. Mit diesen Fragen kann sich jeder junge Mensch identifizieren, der nach Orientierung, Halt und Perspektive sucht. Es sind genau diese Themen, die zeigen, wie sich die ehemalige Diözesanstelle „Berufe der Kirche“ mit dem klaren Fokus auf Personalgewinnung zu einer seelsorglichen Stelle für Berufungspastoral entwickelt hat. Wir helfen dabei zu erkennen: Wo liegt meine eigentliche Berufung? Dabei kann am Ende auch herauskommen, dass jemand KFZ-Mechatronikerin werden will oder Einzelhandelskaufmann. Wir freuen uns für und mit jedem, der seinen Platz im Leben findet – unabhängig davon, ob es ein kirchlicher Beruf oder etwas anderes ist.
DOMRADIO.DE: Bei Ihnen schlagen ja eigentlich meist nur Menschen auf – wie Sie sagen – die sich schon eine Weile mit einem kirchlichen Beruf auseinandersetzen und da nicht bei Null anfangen. Wie erleben Sie diese oft ja jungen Leute gerade?
Mayer: Als sehr motiviert und engagiert. Meist bringen sie die Freude an der Arbeit mit Jugendlichen, Senioren, kranken oder behinderten Menschen aus den Gemeinden schon mit, weil sie dort Vorerfahrungen gesammelt haben. Häufig sind sie von speziellen Seelsorgerinnen oder Seelsorgern fasziniert, die sie als sehr authentisch erleben, weil sie Kraft aus ihrem Glauben schöpfen. Und dann haben sie die Sehnsucht, genau diese Freude und Kraft auch selbst zu verkörpern und an andere weiterzugeben. Sie möchten ihren großen Vorbildern nacheifern. Dabei treibt sie eine große Neugier an, was Gott wohl mit ihnen vorhat, wo ihre speziellen Charismen liegen. Sie entscheiden sich dann häufig, ihre Talente nicht nur im kirchlichen Ehrenamt einzubringen, sondern sie auch hauptberuflich leben zu wollen. Bei dieser Entdeckungsreise bieten wir dann unsere Unterstützung an.
DOMRADIO.DE: Aber nicht immer kommt dabei eine Berufung zum Priester, Ordensmann bzw. zur Ordensfrau oder einem Laientheologen heraus…
Mayer: Berufung kann man nicht machen. Man muss sie in sich entdecken und freilegen. Wichtig ist am Ende, dass jemand glücklich mit seiner Entscheidung wird – egal wie sie ausfällt. Es geht darum, dass Menschen – und gar nicht mal nur junge – herausarbeiten, was ihr Lebensauftrag ist. In dem Bewusstsein, dass jede und jeder Einzelne von Gott gerufen ist und seine von Gott gegebenen Talente für seine Mitmenschen und das Gemeinwohl einsetzt. Bei uns melden sich durchaus auch Menschen, die bereits eine Familie haben oder einen ersten Beruf, aber grundsätzlich mehr Sinn für ihr Leben suchen. Sie haben ihn für sich im Evangelium gefunden und wollen diese Erfahrung an andere weitergeben.
Dabei stellen wir eine große Vielfalt fest; aus dem ganzen Bundesgebiet, auch aus anderen Ländern kommen Menschen ganz unterschiedlicher Altersklassen oder Glaubensbiografien. Manche sind von klein an getauft, andere haben diesen Schritt erst gerade gemacht oder sind konvertiert. Manche haben auch eine Familie, die in die Wünsche und Vorstellungen integriert werden will. Dann geht es etwa bei einem angehenden Diakon um die Frage, wie eine zusätzliche Ausbildung in den bisherigen Alltag eines Familienvaters eingebunden werden kann. Da lassen sich eigentlich immer gute Wege finden.
DOMRADIO.DE: Es betrifft ja nicht nur die Diakonen- oder Priesterausbildung – Sie informieren in Ihrer Diözesanstelle im Kurienhaus am Roncalli-Platz über sehr unterschiedliche Berufe in der Kirche, die alle im Moment nicht unbedingt einen Boom erleben. Was genau motiviert Sie an dieser Arbeit?
Mayer: 2022 hatten wir einen der größten Pastoralkurse der letzten Jahre, was ich mir mit der Gestaltungslust erkläre, die die aktuellen Krisen und Herausforderungen in den jungen Menschen getriggert hat. Viele wollen nun erst recht bei Kirche mitmachen. Von einem „Boom“ zu sprechen wäre verfehlt, aber es ist eben nicht so, dass das Interesse an kirchlichen Berufen grundsätzlich massiv nachlässt. Diese doch überraschend vielen begeisterten Menschen, die in der Seelsorge arbeiten wollen, bestärken mich sehr in meiner Arbeit.
Hinzu kommen die eigenen Erfahrungen in und mit Kirche, die ich in meiner Jugend gemacht habe und die mich selbst in den kirchlichen Dienst geführt haben. Ich hatte mit Menschen zu tun, die eine wahnsinnige Kraft und Lebensfreude aus ihrem Glauben bezogen haben. Diese Freude hat von mir Besitz ergriffen und lodert wie ein Feuer in mir. Und dieses Feuer will ich weitergeben, damit auch andere Menschen genauso begeistert über ihren Glauben sprechen können. Zumal ich die Erfahrung mache, dass diese Begeisterung in den aktuellen Strukturdebatten oftmals verschüttet wird. Mit der Kirche wird es nur weitergehen, wenn dieses Brennen für den Glauben und das Evangelium wieder in den Vordergrund rückt.
DOMRADIO.DE: „Priester – ein Weg für mich?“ ist ein seit vielen Jahren bewährtes Format: Bei einem Wochenende im Collegium Albertinum Anfang Februar soll Raum sein für viele Fragen, die sich jemand stellt, der das Weiheamt im Blick hat. Was genau passiert in diesen zwei Tagen in Bonn?
Mayer: Es geht um zweierlei. Zum einen wird über die Priesterausbildung informiert, also darüber, wie das Leben im Seminar aussieht. Dabei lernen die Teilnehmer das Haus und die darin wohnenden Priesteramtskandidaten kennen. Es geht um die priesterliche Lebensweise, die Freuden und Herausforderungen, von denen die Seminaristen, aber auch erfahrene Priester berichten. Wir stellen das gesamte Aufgabenspektrum eines Priesters vor: angefangen bei der Liturgie über die Einzelseelsorge bis hin zu Themen, die eng mit Aspekten des Bereiches Sozialarbeit verknüpft sind. Auch hier erzählen Priester, die schon einen langen Weg hinter sich gebracht und in sehr unterschiedlichen Kontexten gearbeitet haben, von ihren Erfahrungen.
Es soll ein realistischer Blick auf die guten, aber auch auf die herausfordernden Seiten dieses Berufes vermittelt werden, bei denen vor allem auch der Regens und der Subregens Rede und Antwort stehen. Sie geben einen Einblick, wie Gemeindearbeit in fünf bis zehn Jahren funktionieren kann, aber auch welche Möglichkeiten es in der Kategorialseelsorge gibt – also im Krankenhaus, bei der Polizei, bei der Bundeswehr, in der Schule, mit geistig und körperlich beeinträchtigten Menschen oder im Gefängnis.
DOMRADIO.DE: Diese Vielfalt an Wahlmöglichkeiten erhöht zweifelsohne die Attraktivität des Priesteramtes, zumal sich ja nicht jeder als Manager einer Großpfarrei sieht…
Mayer: Die Berufung zum Priester ist in ihren so unterschiedlichen Ausprägungen in der Tat breit gefächert und schon lange kein eindimensionaler Weg mehr. Wie er dann letztlich im Einzelnen gelebt wird, hängt stark von den persönlichen Interessen und individuellen Charismen des Kandidaten ab. Auf diese wird großer Wert gelegt. Ich denke da an ein besonderes musikalisches Talent oder eine Leidenschaft für Sport und Fitness. Solche Neigungen sollten unbedingt in den Priesterberuf mit hineingenommen werden – auch weil sie ein zusätzlicher Türöffner bei der Kontaktaufnahme mit anderen Menschen sein können.
DOMRADIO.DE: Was sind häufig gestellte Fragen, mit denen Sie konfrontiert werden?
Mayer: Wie kann ich meinen Glauben in den Alltag integrieren, wie meine Hoffnung auf die Auferstehung weitergeben? Dabei geht es dann nicht so sehr um die Frage: In welcher Struktur kann ich das machen? Und nicht einmal darum: In welchem Beruf kann ich das machen? Wichtig ist allein: Wie kann ich jetzt in meiner konkreten Lebenssituation Christsein leben und eine Vision, einen Lebensentwurf für mich finden, der fundamental auf Jesus Christus und dem Evangelium aufbaut? Dazu braucht es viel Stille, Beschäftigung mit der Heiligen Schrift, Gebet und – nicht zu unterschätzen – auch Vorbilder.
DOMRADIO.DE: Was, glauben Sie, sind die brennendsten Themen, um die Kirche zukunftsfähig zu machen?
Mayer: Die Rückbesinnung auf den Kern dessen, was Kirche ist und sein will: eine Gemeinschaft von Menschen, die in der Nachfolge Christi steht und sein Wirken in den Vordergrund stellt. Im Blickwinkel der Gottesebenbildlichkeit und der Nächstenliebe steckt darin durchaus Sprengkraft für unser Zusammenleben. Ich denke da an den unbedingten Einsatz für Menschenrechte, für Bedürftige und Notleidende oder für diejenigen, die in Zeiten der Krise nach Hoffnung und Orientierung suchen. Wer seine Berufung gefunden hat, der kann nicht gleichgültig und egoistisch sein. Das ganze Leben in den Dienst an Gott und den Mitmenschen zustellen und daran Freude zu finden – das ist Berufung. Und nur damit hat unsere Kirche eine Zukunft.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.