Bestsellerautorin Nora Bossong bekennt sich zum katholischen Glauben

"Kirche muss sich den Menschen zuwenden"

Über den Brief des Papstes zur Literatur hat sie sich besonders gefreut. Nora Bossong erkennt Gemeinsamkeiten zwischen Literatur und Religion. Die Bestsellerautorin fühlt sich in ihrer katholischen Gemeinde aufgehoben.

Autor/in:
Johannes Schröer
Nora Bossong / © Markus Wissmann (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Papst Franziskus fordert uns alle dazu auf, mehr zu lesen. Der Papst preist den Nutzen der Literatur. Welchen Nutzen hat denn Literatur überhaupt? 

Nora Bossong (Autorin): Literatur hat vielleicht gar keinen Nutzen, sondern sie hat einen Sinnhorizont. Und das finde ich eigentlich auch wichtig zu betonen, weil wir gegenwärtig immer versuchen, Dinge auf ihren Nutzen herunterzubrechen, also sie damit eigentlich zu verzwecken. Aber das Großartige an der Literatur ist ja ihr Sinngehalt und dass sie uns einen Sinnhorizont eröffnet. 

Wir treten in einen Dialog mit den Figuren und mit den Autorinnen und Autoren. Das heißt, das, was der Papst ja auch stark unterstreicht, ist, ein Buch ist nie fertig geschrieben von der Autorin, sondern es ist immer der Leser, die Leserin, die das Bild komplettiert. Anna Karenina sieht bei Ihnen ganz anders aus als bei mir, sieht bei Tolstoi anders aus als beim Erstleser, der diesen Roman gelesen hat. Dieses dialogische Prinzip, das den Leser, die Leserin selbst zum Baumeister ihrer eigenen Geschichte macht, finde ich wunderbar, weil wir damit auch unsere eigene Geschichte erzählen. Wir schöpfen aus den Erfahrungen, die wir gemacht haben und damit setzen wir die Geschichte zusammen.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch gesagt, dass Sie der Brief über die Literatur des Papstes an einen Urtext der Menschenwürde erinnert. 

Bossong: Von dem italienischen Philosophen Pico della Mirandola gibt es ein kleines Traktat über die Würde des Menschen und darin beschreibt er den Menschen als im Prinzip unfertig. Er kann sich zum Höheren hin entwickeln oder strecken, kann aber auch zum Niederen herabfallen. 

In dieser Unfertigkeit des Menschen steckt auch unser Freiheitspotenzial und darin steckt vor allem auch unsere Würde. Mirandola lässt Adam sprechen, der den Gott als Schöpfer preist und sagt, “Herr, was bist du wunderbar, den Menschen zu seinem eigenen Bildhauer gemacht zu haben”. An diesem Bild halte ich mich immer fest und darin ist natürlich die Literatur eine Fertigkeit des Menschen, die genau diese Fähigkeit auch spiegelt. 

DOMRADIO.DE: Was haben denn Religion und Literatur oder Glauben und Dichtung gemeinsam? 

Bossong: Sie haben gemeinsam, dass wir unsere Vorstellungskraft brauchen, um in sie einzusteigen. Sie haben gemeinsam, dass wir mit etwas umgehen, was nicht materiell vor uns liegt. Ich würde aber trotzdem einen Unterschied machen. Anna Karenina können wir wunderbar lesen, ohne anzunehmen, dass es Anna Karenina je gab. 

Gleichzeitig hat sie aber einen Wahrheitsgehalt. Das heißt, diese Figur Anna Karenina erzählt uns viel über Russland in dieser Zeit, über diese Gesellschaft in dieser Zeit, aber auch über das allgemein Menschliche und Zwischenmenschliche. Sie hat es nie gegeben und sie gibt es dennoch immer. 

Bei meinem Glauben an Gott verhält es sich anders. Da kann ich nicht einfach sagen, naja, dass es ihn nicht gibt, ist ja klar, aber trotzdem hat er einen Wahrheitsgehalt. Das heißt, die Ereignishaftigkeit eines in die Geschichte eintretenden Gottes unterscheidet das ganz fundamental natürlich von Anna Karenina. Denn der Glaube ist deutlich mehr. Es ist ja auch ein Beziehungsgefüge zwischen Gott und mir. Anna Karenina hat jetzt keine Beziehung zu mir. 

Nora Bossong

"Wenn ein Mensch in Not gerät, dann muss die Kirche da sein."

DOMRADIO.DE: Sie haben sich ganz bewusst der katholischen Kirche zugewandt. Sie sind in ihrer Berliner Gemeinde als Messdienerin tätig. Sie studieren Theologie. Kürzlich sind die Mitgliederzahlen der beiden christlichen Kirchen veröffentlicht worden. Die Zahlen zeigen, dass immer noch und immer mehr Menschen aus beiden Kirchen austreten. Wie können die Kirchen sich denn für die Zukunft wappnen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken? 

Bossong: Die Kirchen müssen zum einen genau dann für den Menschen da sein, wenn der Mensch sie braucht. Und zwar absolut bedingungslos und vorurteilsfrei. Wenn ein Mensch in Not gerät, dann muss die Kirche da sein. Und dann muss sie auch pastoral da sein. Nicht aufdrängend, sondern einfach da sein.

In meinem Bekanntenkreis höre ich immer wieder, wie sich oft beispielsweise bei Todesfällen die Menschen alleingelassen gefühlt haben. Da wird zuerst geguckt, wie oft waren denn die Leute noch in der Kirche, zahlen sie überhaupt Kirchensteuer, wie fromm waren sie? All solche Überlegungen dürfen keine Rolle spielen. Sie müssen mit offenen Armen da sein. Sie müssen den Menschen ohne Ansehen dessen, was dieser Mensch für die Kirche bislang getan hat, auffangen und ihm wirklich liebend zur Seite stehen. Das, finde ich, ist ganz wichtig.

Der andere Punkt ist nach wie vor eine Ehrlichkeit und eine Aufarbeitung mit dem, was die Kirche in den letzten Jahrzehnten an Missbrauchsverbrechen vertuscht hat und fundamental falsch gemacht hat – das hat eine ungeheure verbrecherische Dimension. Es muss eine Auseinandersetzung mit dem Klerikalismus geben, auch mit dem kanonischen und mit dem Selbstverständnis der Kleriker. Ich glaube, das ist ein bedeutender Schritt, der überhaupt erst wieder Glaubwürdigkeit über den Inner Circle hinaus möglich macht. 

DOMRADIO.DE: Ganz wichtig ist sicher auch ein funktionierendes Gemeindeleben. Sie erleben das in Berlin. Sie haben dort das Glück, eine Gemeinde zu haben, in der sie sich aufgehoben fühlen. 

Bossong: Ganz sicher, das ist wie eine Familie, in der man sich wohlfühlt. Das hängt natürlich immer auch mit dem Glück zusammen, in so einer Gemeindefamilie zu leben. Sicher hat das auch mit den einzelnen Personen zu tun, die daran teilhaben – mit der Frage, wer kommt denn da zusammen? 

Wenn ich in einer Gegend bin, in der kaum noch jemand die Kirche als ein Ort des Austausches und auch des Geborgenseins und des Aufgefangenenseins erlebt, dann werde ich auch keine Gemeinde finden, die wirklich lebt, in der ein lebendiges Zusammenkommen stattfindet. Das heißt, aus meiner Sicht ist der erste Schritt: Dasein für die Menschen und ihnen zeigen, was Kirche sein kann. Und dann kann auch das Gemeindeleben ein lebendiges und ein schönes sein. 

DOMRADIO.DE: Sie sind Autorin, das heißt, Sie sind viel unterwegs, Sie sind bekannt. Werden sie manchmal nicht auch müde, sich zu rechtfertigen, warum sie in der katholischen Kirche bleiben und tätig sind. 

Nora Bossong

"Da sieht man, dass ein Verständnis von Christentum [...] überhaupt nicht mehr da ist."

Bossong: Ja, ich werde vor allem sehr müde, wenn die ewig gleichen spitzfindigen, in Anführungszeichen, spitzfindigen Überlegungen kommen. Also eine Frage, die ich wirklich nicht mehr hören kann, ist, - das kommt dann gerne von Leuten mit kulturwissenschaftlichem oder philosophischem Hintergrund - , die meinen, jetzt hätten sie nun mal den Hebel gefunden, um das gesamte Christentum aus den Angeln zu heben, mindestens den Katholizismus: Ist das Abendmahl nicht Kannibalismus? Und da breche ich immer so innerlich ein bisschen in mir zusammen. 

Ich bin einfach sehr müde, das nochmal zu erklären und ich glaube, da sieht man, dass ein Verständnis von Christentum, auch von den Grundbegriffen des Christentums, von den Grundbegriffen der Liturgie, der Eucharistie, des Personenverständnisses überhaupt nicht mehr da ist. Und auch ein Verständnis dessen, was Transzendenz ist, fehlt uns heute. 

Das heißt, wir denken entweder in einem rein fiktiven oder in einem rein materiellen Weltverständnis. Darüber hinaus zu denken, das ist etwas, was zunehmend verloren geht, Da merke ich dann, wie schwer der Dialog mit Leuten ist, die dem Ganzen sehr fernstehen. 

Das Interview führte Johannes Schröer.

Quelle:
DR

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