DOMRADIO.DE: Sie sind als Betriebsseelsorgerin unter anderem zuständig für den DB Cargo Standort Mainz. Wie intensiv haben Sie mit Bahn-Mitarbeitenden zu tun?
Eva Reuter (Betriebsseelsorgerin für den Bereich Rheinhessen im Bistum Mainz): Das ist situationsabhängig. Die Betriebsseelsorge arbeitet an sich aufsuchend, das heißt, ich nehme Kontakt mit dem Betrieb oder dem Betriebsrat auf und frage, ob meine Unterstützung gebraucht wird.
Bei DB Cargo gab es vor einigen Monaten auch die Sorge, dass Stellen gestrichen werden. Da war ich mit dem Betriebsrat eine Zeit lang in engerem Kontakt. Sofern sich die Situation wieder beruhigt oder meine Unterstützung nicht mehr gebraucht wird, wird der Kontakt dann wieder weniger.
DOMRADIO.DE: Wir lesen in diesen Tagen regelmäßig vom Frust der Bahn-Mitarbeitenden. Sie klagen über zunehmenden Stress und darüber, dass immer weniger funktioniert. Was bekommen Sie davon mit?
Reuter: In vielen Bereichen gibt es Fachkräftemangel. Wenn die Arbeit auf weniger Schultern verteilt wird, ist es logisch, dass Einzelne stärker belastet werden. Das ist in vielen Branchen im Moment Thema. Auf Dauer geht das an die persönliche Substanz und führt unter Umständen zu Konflikten, einfach weil die Arbeitsbelastung so hoch ist.
Oftmals können wir nicht direkt etwas an der Situation ändern, aber Aufgabe der Betriebsseelsorge ist, zu sagen: Wir sind da und wir sehen eure Not. Wir versuchen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten für die Belange der Mitarbeitenden einzusetzen.
DOMRADIO.DE: Haben auch selbst schon einschlägige Erfahrungen auf Reisen mit der Deutschen Bahn gemacht?
Reuter: Ja, natürlich, wer hat das nicht? Als Kundin der Bahn erlebt man so einiges an Situationen. Einmal saß ich zum Beispiel anderthalb Stunden auf dem Bahnhof von Leipzig in einem Zug, weil das Personal, das den Zug übernehmen sollte, seinerseits in einem verspäteten Zug saß. Da frage ich mich dann auch, was für ein Stress haben die jetzt? Die kommen hier an, alle müssen warten und wir kommen am Zielbahnhof zu spät an. Da geht mir schon durch den Kopf, was macht das mit den Menschen?
DOMRADIO.DE: Oftmals entladen sich in solchen Situationen Emotionen ungefiltert. Wie haben Sie die Reisenden erlebt?
Reuter: Das ist sehr unterschiedlich. Manche Reisende sind ungeduldig, sie wirken gestresst, weil sie zu einem Termin müssen oder schon sehr lange unterwegs sind. Da finde ich es immer ganz wichtig, dass man sich kurz bewusst macht: Achtung, da steht ein Mensch vor mir. Ein Mensch, der eine Würde hat, die zu achten ist und der nicht unbedingt etwas dafür kann.
Da würde ich mir wünschen, dass viele Menschen erst noch mal Luft holen und überlegen, was ist jetzt genau das Anliegen? Was kann der Mitarbeiter, der vor mir steht, für mich tun? Und wenn ich dann eine Beschwerde habe, dann kann ich das doch bitte sachlich formulieren und nicht diesem armen Menschen, der selbst im Stress ist, auch noch dumm von der Seite anmachen, um es mal ganz platt zu sagen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet es für betroffene Mitarbeitende, wenn solche Situationen häufiger, fast täglich auftreten? Zum Beispiel für die Zugbegleiterinnen und Zugbegleiter, die Mitarbeitenden im Bahn Bistro, die die Reisenden zusätzlich beruhigen und in Schach halten müssen?
Reuter: Auf Dauer geht es an die Substanz. "Ich schäme mich für die Bahn" - das war jetzt in den Schlagzeilen. Die meisten Mitarbeitenden identifizieren sich ja mit ihrem Unternehmen und wollen, dass es gut läuft. Sie können das aber nur zu einem sehr geringen Teil beeinflussen und sind immer wieder der Prellbock, sie kriegen unangemessene oder übergriffige Reaktionen ab. Das bleibt nicht in den Klamotten hängen.
Im Extremfall hat das auch seelische und körperliche Auswirkungen. Das kann wirklich dramatische Folgen für die Gesundheit haben. Wenn es nun immer weniger Personal geben soll, verschlimmert das die ganze Situation natürlich.
DOMRADIO.DE: Offensichtlich ist geplant, die Zugbegleiterzahl von fünf auf zwei pro Zug herabzusetzen. Das könnte sich tatsächlich noch zuspitzen. Welche Rolle könnte denn die Seelsorge spielen? Hätten Seelsorgerinnen und Seelsorger das Potenzial, zu deeskalieren?
Reuter: Betriebsseelsorge arbeitet immer auf zwei Ebenen. Einmal in der persönlichen Begleitung in Krisensituationen, wenn in Betrieben schwierige Situationen auftreten, aber auch, wenn die betriebliche Situationen auf die persönliche Situation Auswirkungen hat, zum Beispiel auf das Familienleben.
Die andere Arbeitsweise ist politischen Einfluss zu nehmen, soweit wir das können. Da geht es darum, auf Missstände aufmerksam zu machen und immer wieder zu sagen: Arbeitsbedingungen sind Lebensbedingungen und das muss auch eine Unternehmensleitung im Blick haben.
In dem Zusammenhang wäre es bei der Bahn gut, zu überlegen, wo es einen solchen Ort für die Mitarbeitenden geben könnte, wo sie mal ihre Belastungen loswerden können. Seelsorge wäre dafür eine gute Möglichkeit, weil die Gespräche immer vertraulich sind. Das heißt, man kann sich auch mal den ganzen Frust von der Seele reden. Wir könnten mit unseren Kompetenzen dafür sorgen, ein bisschen Druck bei den Mitarbeitenden rauszunehmen und sie im Umgang mit schwierigen Kunden zu stärken. Da wäre schon Potenzial da. Da wären wir auch darauf angewiesen, dass uns die Tür geöffnet wird.
DOMRADIO.DE: An jedem Flughafen gibt es Flughafenseelsorger und -seelsorgerinnen. Von Bahnhofseelsorgern hat man noch nicht gehört.
Reuter: Es gibt verschiedene seelsorgliche Angebote im weiteren Umkreis. Die Bahnhofsmission hat eher das Augenmerk auf Reisende, die Unterstützung brauchen, oder auch auf Menschen, die im Bahnhofsumfeld leben. Und es gibt natürlich auch die Notfallseelsorge und das Notfallmanagement der Bahn, die aktiv werden, wenn ein Unglück passiert. Aber so eine Bahnhofseelsorge analog zur Flughafenseelsorge ist mir auch nicht bekannt.
DOMRADIO.DE: Wie könnte denn ein gutes Modell in Sachen Bahnhofseelsorge aussehen?
Reuter: Es könnte wie die Flughafenseelsorge funktionieren, also dass es eine Anlaufstelle gibt, wo man einfach weiß, die sind da, die kann ich vor Ort oder telefonisch erreichen und ein Gespräch vereinbaren, um zu gucken, was ist gerade dran.
Auch bei der Flughafenseelsorge arbeiten die Mitarbeitenden so, dass es mal akute Anlässe oder Krisen gibt. Aber sie machen auch allgemeine Angebote und haben beispielsweise einen Gebetsraum, wo man zur Ruhe kommen kann.
Es gibt natürlich viele große Bahnhöfe in Deutschland und wir reden noch nicht von den mittleren und kleinen, wo aber ja auch Menschen auf Reisen sind und wo das Personal mal Pause hat. Das wäre eine große Herausforderung. Die Ressourcen der Kirche gehen zurück, es wird weniger Personal in Zukunft geben. Wie und wofür man das Personal einsetzt, wäre dann die Frage.
Das Interview führte Hilde Regeniter.