Betroffene machen der evangelischen Kirche Druck

Missbrauch

Mehr als 2.000 Betroffene und Hunderte Beschuldigte. Die Evangelische Kirche in Deutschland gerät nach der Vorstellung einer Missbrauchsstudie vor zehn Monaten unter Druck. Vielen Betroffenen sind die geplanten Reformen zu zaghaft.

Studie zu Missbrauch in evangelischer Kirche / © Julian Stratenschulte (dpa)
Studie zu Missbrauch in evangelischer Kirche / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Knapp zehn Monate nach Vorstellung einer bundesweiten Missbrauchsstudie werfen Betroffene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mangelnde Konsequenz bei der Aufarbeitung vor. "Es sind nicht wirklich alle Kräfte mobilisiert worden, um entschlossen die Reformvorhaben umzusetzen, die dringend notwendig wären", sagte der Sprecher der Betroffenen im EKD-Beteiligungsforum, Detlev Zander, am Montag vor dem in Würzburg tagenden Kirchenparlament, der Synode.

Zwar gebe es viele Landeskirchen, die ihre Ressourcen aufstockten, so Zander. Auch würden sich viele Menschen - innerhalb und außerhalb der Kirche - der Thematik mit mehr Interesse zuwenden als zuvor. "Doch der große Aufschrei ist ausgeblieben."

2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte

Die Missbrauchsstudie für EKD und Diakonie war Ende Januar von unabhängigen Forschern in Hannover vorgestellt worden. Sie hatte in kirchlichen Akten Hinweise auf 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte seit 1946 ausgemacht. Zudem stellten die Studienautoren Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus. In den vergangenen Monaten hat das EKD-Beteiligungsforum, ein Gremium aus Betroffenen und Kirchenvertretern, versucht Gegenmaßnahmen zu erarbeiten.

Als Beispiel für mangelnde Konsequenz nannte Zander die geplante bundesweite Vereinheitlichung von Anerkennungszahlungen für Betroffene. "Als wir im Frühjahr dachten, wir hätten bereits ein tragfähiges Modell erarbeitet, wurden wir schnell eines Besseren belehrt: Zu progressiv, zu viel Geld für zu wenig Tat - so die Einschätzung aus dem Inneren der Kirche."

Einheitliche Anerkennungszahlungen geplant

Geplant ist Zander zufolge nun ein Kombimodell, das sich aus einer individuellen und einer pauschalen Leistung zusammensetzt. Die pauschale Leistung solle eine Höhe von 15.000 Euro haben und im Fall von strafrechtlich relevanten Taten gezahlt werden. "Die Summe der pauschalen Leistung stellt für uns Betroffene im Beteiligungsforum die absolute Untergrenze dar, um dieser Reform überhaupt zustimmen zu können", so Zander. Die Summe sei ein hart errungener Kompromiss.

Die entsprechende Richtlinie soll frühestens im März vom Rat der EKD in Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus will die Synode schon an diesem Mittwoch weitere Anti-Missbrauch-Maßnahmen auf den Weg bringen. Das Beteiligungsforum habe die 46 Empfehlungen der Studie in 12 Maßnahmen übersetzt, sagte EKD-Ratsmitglied Stefan Werner.

Ombudsstelle und Personalakten-Analyse

Beschließen sollen die Kirchenparlamentarier unter anderem die Schaffung einer zentralen Ombudsstelle für Betroffene, eine Reform der Gewaltschutzrichtlinie der EKD und eine stärkere Berücksichtigung des Missbrauch-Themas in der Theologie. Auch soll das Parlament eine systematische Analyse aller Personalakten nach einheitlichen Kriterien auf den Weg bringen, um mögliche weitere Fälle zu ermitteln. Schon etwas länger in Vorbereitung ist eine Reform des kircheninternen Disziplinarrechts, die ebenfalls von der 128-köpfigen Synode verabschiedet werden soll.

"Dass eine Umsetzung an allen Stücken gelingt, liegt nun nicht an den wenigen Menschen im Beteiligungsforum, sondern an allen, die in Kirche und Diakonie Verantwortung tragen und tätig sind", sagte die pfälzische Kirchenpräsidentin Dorothee Wüst. "Die gut 860-seitige-Studie hat nur dann einen Wert, wenn sie für uns alle einen Wert hat", so die Sprecherin der kirchlichen Beauftragten im Beteiligungsforum.

Protestaktion von Betroffenen

Nicht alle sind mit diesen Maßnahmen einverstanden. Einige Betroffene, die nicht dem Beteiligungsforum angehören, protestierten vor dem Tagungshotel der Synode. Veranstalter war die Initiative "Vertuschung beenden", ein loser Zusammenschluss mehrerer Betroffener. Sie hält es nach eigenem Bekunden für wenig wahrscheinlich, dass die Maßnahmen vor Ort in den Landeskirchen ankommen. Zudem moniert sie, dass die Mitglieder des Beteiligungsforums von der Kirche ausgewählt und nicht demokratisch gewählt seien.

Nancy Janz, ebenfalls Sprecherin der Betroffenen im Beteiligungnsforum, sagte: "Während uns die einen permanent vorwerfen, wir würden zu wenig machen, uns von der Kirche instrumentalisieren lassen oder den Kopf einziehen und höchstens unsere eigenen Interessen vertreten, werfen uns die anderen zunehmend vor, wir wollten die Kirche mit unseren Beschlüssen finanziell aushöhlen und strukturell zerstören." Janz betonte, die Arbeit des Beteiligungsforums sei ein Spagat. "Diesen Spagat machen wir, weil es Lösungen braucht."

MHG-Studie der Bischofskonferenz und ForuM-Studie der EKD

Die vor fünf Jahren veröffentlichte MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und die ForuM-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche lassen sich nur bedingt miteinander vergleichen. Ziel ist es jeweils, Umfang und Strukturen des Missbrauchs in katholischer und evangelischer Kirche zu ermitteln. Die Kirchen sind auch Auftraggeber der Studien.

MHG-Studie / © Harald Oppitz (KNA)
MHG-Studie / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA