Die kräftig pinken Blüten sind ein echter Hingucker: Im Frühling hüllen sie die Äste in eine bauschige rosa Wolke – und doch erinnern sie an einen tragischen Suizid. Judas Ischariot soll sich nach seinem Verrat an Jesus an einem solchen Baum erhängt haben. Daher auch der Name: Judasbaum. Ein Exemplar davon steht im Bibelgarten des westfälischen Dörfchens Lette. Hier wachsen nur Pflanzen, die in der Heiligen Schrift eine Rolle spielen.
Heinz Klösener lockert mit einer Harke die trockene Erde auf und zupft ein paar Unkräuter heraus. Der Rentner kümmert sich ehrenamtlich um den Bibelgarten: "Das ist ein Stückchen Entspannung, dabei kann ich abschalten. Wenn man sieht, wie das wächst, da macht es einem immer wieder Freude Gottes Garten zu pflegen."
Klösener ist eng mit der Gemeinde verbunden, war schon als Kind Messdiener in der St.-Vitus-Kirche, auf deren Vorplatz der Garten steht. Heute ist er Lektor, trägt der Gemeinde also Texte aus der Bibel vor. Während er jätet, fegt und gießt, denkt er viel über die Worte aus der Heiligen Schrift nach. Er deutet auf die Distel, die in einem Beet wächst und zu der es in der Bergpredigt heißt:
"Jeden Baum erkennt man an einen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornbusch erntet man keine Trauben." (Lukas 6, 44)
"Man kann nicht von einem Menschen alles erwarten", findet Heinz Klösener. "Man muss gucken, welche Fähigkeiten jemand hat und welche nicht. Und man kann auch von der Erde nicht alles verlangen - was wir heutzutage aber leider tun. Da müssen wir sicherlich umdenken.“
Vier verschiedene Beete sind im Bibelgarten angelegt; zwei davon mit Erde, zwei mit kleineren Steinen. Letztere sollen die Wüste symbolisieren, durch die das Volk Israel 40 Jahre lang wanderte und in der Jesus 40 Tage fastete.
Zwischen den Steinen wachsen Pflanzen, die in Hitzeperioden mit wenig Wasser auskommen. "Das bedeutet für mich, dass man auch als Mensch eine Zeit lang schwierige Situationen und Stress aushalten muss und kann", sinniert der ehrenamtliche Gärtner, "und dass dann trotzdem noch Leben da ist."
Der Weg, der die vier Beete voneinander trennt, ist kreuzartig angelegt. Am Kopfende steht eine steinerne Madonna auf einem Sockel und blickt in den Garten hinein. Zu ihrer linken ranken sich Weinreben hoch, die in keinem Bibelgarten fehlen dürfen, bemerkt Heinz Klösener. An unzähligen Stellen im Alten und Neuen Testament findet der Wein Erwähnung.
"Noah wurde der erste Ackerbauer und pflanzte einen Weinberg." (1. Buch Mose (Genesis) 9, 20)
Auch Jesus nutzt diese Pflanze in Gleichnissen ("Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben"), um Wunder zu vollbringen (Hochzeit zu Kana) oder um auf seinen eigenen Tod und das ewige Leben zu verweisen (Das letzte Abendmahl).
Auch eine kleine Kloster-Abteilung findet sich im idyllischen Garten. Majoran, Salbei und Wermut verströmen einen würzigen Duft. "Wermutschnaps ist sehr kräftig und bitter, der ist früher für medizinische Zwecke angesetzt worden. Es gibt ja auch das Sprichwort mit dem Wermutstropfen", erklärt der leidenschaftliche Gärtner.
Blauer Lein biegt sich sanft im Sommerwind. Aus dieser Kulturpflanze lässt sich nicht nur Öl gewinnen, sondern auch Fasern. So soll das Grabtuch Jesu daraus gewebt worden sein.
Schönheit und Leid, Krankheit und Heilung, Verrat und Liebe – von all dem erzählt der Letter Bibelgarten. Und er ist damit auch Sinnbild des menschlichen Lebens. Er lädt ein, sich mit der Kulturgeschichte der Pflanzen, mit Gottes Schöpfung und den Geschichten der Bibel "auf natürliche Weise" zu befassen.