Über den ersten Schmetterling im Frühling freuen sich Spaziergänger wie Gartenbesitzer. Auch summende Bienen und schillernde Libellen sind beliebt. "Aber danach hat man wirklich zu kämpfen", sagt der Biologe und Buchautor David Goulson: Vor Spinnen fürchten sich manche, Fliegen nerven, Mücken stechen - und für Wespen gilt all das zugleich. Dabei hätten diese Tiere ein genauso großes Recht, auf der Erde zu sein, wie die Menschen auch, mahnt Goulson.
Wichtig für den biologischen Kreislauf
Hinzu kommt, dass Insekten im biologischen Kreislauf wichtige Aufgaben übernehmen. Prominentestes Beispiel ist die Bestäubung von Pflanzen: "Sich nur auf einen einzigen Bestäuber zu verlassen, etwa die heimische Honigbiene, ist eine kurzsichtige Strategie, weil es für diesen Bestäuber, falls er aus irgendwelchen Gründen ausfällt, keinen Ersatz gibt", schreibt Goulson in seinem kürzlich veröffentlichten Buch "Stumme Erde".
Bienen reichen nicht aus
Schon jetzt reichten Bienen - global betrachtet - als Bestäuber nicht aus, ergänzen Frauke Fischer und Hilke Oberhansberg in "Was hat die Mücke je für uns getan?". Zudem sind Bienen gar nicht geeignet, jede Pflanzenart zu bestäuben. Als Beispiel nennen die Wissenschaftlerinnen die Bartmücke, die als einzige Art in die Blüte der Kakaopflanze hineinkrabbeln kann. "Ohne Mücke also keine Schokolade", schreiben Fischer und Oberhansberg. "Das reicht als Argument, oder?"
Goulson zeigt sich skeptischer. "Niemand wird jemals den Earwig Preservation Trust gründen", sagt er, also die "Stiftung zur Erhaltung des Ohrenkneifers". Es gelte, den Menschen zu erklären, "dass diese Insekten lebenswichtige Dinge tun und dass sie wirklich faszinierend sind".
Wenig Bezug zur Natur
Ein Problem sieht der Biologe darin, dass viele Menschen generell nur noch wenig Bezug zur Natur hätten. "Wenn die Leute ein wenig mehr Zeit auf ihren Händen und Knien verbringen würden, dann würden sie feststellen, dass Insekten gar nicht so eklig sind." In Corona-Zeiten boomen Garten- und Balkonarbeit; zudem nennen Soziologen, Neurowissenschaftler und Lifecoaches die Verbundenheit mit der Natur als eine wichtige Voraussetzung für persönliche Zufriedenheit. Eine Chance für die Insekten?
Über die "Kunst die Natur zu belauschen" hat die Niederländerin Pauline de Bok geschrieben. In ihrem Buch "Das Schweigen der Frösche" kommen neben den titelgebenden Amphibien auch Hirsche, Kraniche und Schwalben vor - und Insekten. Schließlich ist die Natur ein Netzwerk, die Arten existieren nicht unabhängig voneinander. Sterben Insektenarten aus, dann betrifft dies schnell auch Vögel, Frösche oder Igel, die weniger Nahrung finden.
Von Hand bestäuben
In manchen Teilen der Welt fehlen zudem bereits die Insekten für die Bestäubung, etwa im Südwesten Chinas, in Bengalen und in Teilen von Brasilien. Die Landwirte dort müssen ihre Bäume von Hand bestäuben, wie Goulson schildert. Zugleich sind viele Bestäuberinsekten natürliche Feinde von Pflanzenschädlingen - fallen sie weg, entsteht also in gewisser Weise ein doppelter Schaden.
Die meisten Menschen betrachteten den Schutz der Natur durchaus als lohnenswertes Ziel, meinen Fischer und Oberhansberg. Es gebe aber noch immer kaum Bewusstsein dafür, wie unmittelbar "unsere grundlegenden Bedürfnisse und damit unser Wohlergehen von den Leistungen verschiedenster Ökosysteme abhängen". Den Gang in den Supermarkt bringe kaum jemand mit der Zerstörung von Regenwäldern oder Korallenriffs in Verbindung. Die Autorinnen wollen daher aufzeigen, inwieweit das tägliche Leben mit der Biodiversität zusammenhängt.
Erfolgreiche Projekte und Beispiele
Alle Autoren üben indes nicht nur Kritik, sondern nennen vorbildhafte Beispiele oder verweisen auf erfolgreiche Projekte, an denen sich jede und jeder beteiligen kann, etwa die alljährliche Vogelzählung des NABU. Artenschutz sei greifbarer als etwa Klimaschutz, betont Goulson: Wer das Auto stehen lasse, für den werde nicht spürbar, dass sich der Klimawandel verlangsame. "Pflanzt man aber ein paar Blumen in seinem Garten, dann kann man tatsächlich beobachten, dass schon bald Schmetterlinge auftauchen." Der Biologe wirbt dafür, diese kleinen Schritte nicht zu vernachlässigen: "Wenn wir den Planeten retten wollen, sollten wir mit dem beginnen, was direkt vor unserer Nase liegt."