Das sagte der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, am Dienstag bei der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz in Wiesbaden.
Sexueller Missbrauch werde oft von geistlichem Missbrauch angebahnt. Darunter versteht man die Manipulation, Ausnutzung oder Bevormundung von Menschen im Namen Gottes - etwa in der Seelsorge, bei der Beichte oder geistlichen Begleitung.
Bischofskonferenz stellt Arbeitshilfe vor
"Opfer von geistlichem Missbrauch haben es nach wie vor sehr schwer, sich Gehör zu verschaffen", sagte Timmerevers. Um dies zu ändern, stellte die Bischofskonferenz eine neue Arbeitshilfe vor. Das Dokument soll dazu beitragen, die Vorbeugung und Aufarbeitung zu verbessern.
Betroffene sollen sich an unabhängige Beraterinnen und Berater in Anlaufstellen wenden können, um Hilfe zu bekommen. Täter sollen, falls möglich, strafrechtlich oder dienstrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden.
Information der Redaktion: Die Deutsche Bischofskonferenz hat am Dienstag auf ihrer Vollversammlung in Wiesbaden die Arbeitshilfe "Missbrauch geistlicher Autorität - Zum Umgang mit Geistlichem Missbrauch" vorgestellt. Die KNA dokumentiert zentrale Abschnitte daraus:
"Aus Sicht der Betroffenen ist es eine viel zu lange Zeit, in der ihr Leiden nicht ansprechbar und benennbar war, nicht gesehen, nicht anerkannt, ja bagatellisiert wurde. Nicht selten wurde in einer Täter-Opfer-Umkehr den Betroffenen selbst die Verantwortung für den Missbrauch und seine Folgen zugeschoben. (...)
Die psychischen, emotionalen, biographischen und existenziellen Folgen, die bisweilen lebenslang wirkenden Verwundungen solchen Missbrauchs sind denen des sexuellen Missbrauchs vergleichbar. Darum ist es ein erster und wichtiger Schritt, dass die deutschen Bischöfe sich in der Arbeitshilfe "Missbrauch geistlicher Autorität" an einen von Betroffenen selbst geprägten Sprachgebrauch anschließen. (...)
In ihren weiteren Beratungen mit Betroffenen, mit Mitgliedern aus Orden und geistlichen Gemeinschaften, mit Seelsorgerinnen und Seelsorgern haben sich die beiden genannten Kommissionen dafür ausgesprochen, Geistlichen Missbrauch in dieser Arbeitshilfe in dem präzisen Sinn von Missbrauch geistlicher Autorität zu verstehen. Denn ein Missbrauch selbst kann nie geistlicher Art sein. Aber Kleriker wie Laien als Seelsorgerinnen und Seelsorger, geistliche Begleiterinnen und Begleiter, Ordensverantwortliche, Leiterinnen und Leiter von geistlichen Gemeinschaften u. a. können die ihnen eigene oder ihnen zugeschriebene geistliche Autorität missbrauchen. Im Unterschied zum spirituellen Machtmissbrauch durch kirchliche Amtsträger nimmt der Missbrauch geistlicher Autorität auch diejenigen in Blick, die andere geistlich manipulieren, ohne eine institutionelle oder strukturelle Machtfunktion in der Kirche innezuhaben. In einer Vielzahl von Fällen bahnt(e) dieser Missbrauch geistlicher Autorität in der Kirche den sexuellen Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen an.
Dennoch ist die Aufarbeitung Geistlichen Missbrauchs ein eigener, vom sexuellen Missbrauch zu unterscheidender Prozess. Anders als beim sexuellen Missbrauch hat es praktisch nie Eintragungen in die Personalakten möglicher Täter oder Täterinnen gegeben. Beim Geistlichen Missbrauch waren die Betroffenen, die sich melden, in den
- bei Mitgliedern in Orden und geistlichen Gemeinschaften oft jahrelangen! - Zeiträumen des Missbrauchs bereits erwachsen. Anders als beim sexuellen Missbrauch kommt es beim Geistlichen Missbrauch, wenn er nicht in Verbindung mit sexuellem Missbrauch geschah, kaum zu einer Strafverfolgung durch Staatsanwaltschaften. Bisherige Erfahrungen in den Diözesen zeigen: Die Betroffenen möchten in erster Linie, dass ihre Erfahrungen auch als Geistlicher Missbrauch bezeichnet werden und dass das daraus folgende Leid benannt und anerkannt wird. Anders als beim sexuellen Missbrauch stehen wir beim Umgang mit Geistlichem Missbrauch aber erst am Anfang der Aufklärung und Aufarbeitung. (...)
Seelsorge kann manipulativ in die Abhängigkeit von einem Pfarrer oder von anderen Seelsorgerinnen und Seelsorgern führen. Manchmal sind egoistische Bedürfnisse Einzelner der Grund, warum Grenzen verletzt und Menschen missbraucht werden. Oft führen mangelnde Reflexion, Übereifer oder das einseitige Festhalten an Überzeugungen und Praktiken zu übergriffigem Verhalten. (...)
Beim Geistlichen Missbrauch werden christliche Werte, biblische Texte, kirchliche Vorgaben, theologische Aussagen missbräuchlich instrumentalisiert oder grob pervertiert. Frömmigkeitspraktiken oder geistliche Übungen werden unzulässig vereinfacht, indem sie als allein heilbringend dargestellt und zur verpflichtenden Auflage gemacht werden. Manipulation geschieht auch durch Verschweigen, Vorenthalten oder Unterdrücken von Kenntnissen und Informationen, weil die Verantwortlichen z. B. aus Angst oder eigener Unwissenheit keine Infragestellung oder Weiterentwicklung im geistlichen Leben zulassen wollen. Der Missbrauch geistlicher Autorität wird dabei scheinbar legitimiert, indem Menschen sich selbst mit der "Stimme Gottes" identifizieren oder von anderen gleichgesetzt werden. Die negativen psychosozialen und physischen Folgen sind oft gravierend und langfristig. (...)
Von Geistlichem Missbrauch betroffene Personen benötigen Anlaufstellen, damit sie schnell unabhängige Beraterinnen und Berater finden, die zuständig und kompetent sind. Dabei bedeutet unabhängig, dass die jeweilige Beraterin oder der jeweilige Berater in der Anlaufstelle nicht weisungsgebunden gegenüber der Gemeinschaft, dem Orden oder dem kirchlichen Dienstgeber ist, in deren bzw. dessen Weisungsbereich die oder der Betroffene den Geistlichen Missbrauch erfahren hat. (...)
Und schließlich müssen die Anlaufstellen auch mit den finanziellen, personellen und strukturellen Kompetenzen ausgestattet sein, die sie zur Beratung und Begleitung von betroffenen Personen brauchen. Solche Anlaufstellen gibt es bereits an einigen Orten, sowohl diözesan wie überdiözesan. (...)
Die Anlaufstellen sind so einzurichten, dass sich Betroffene vertraulich und für Außenstehende unerkannt an die Stelle wenden können. Es ist eine Infrastruktur zu gewährleisten, die dem besonderen Schutz der Betroffenen dient, z. B. eigene Telefonnummern und E-Mail-Adressen, Zutrittsregelungen etc. (...)
Eine wichtige Aufgabe der Anlaufstelle ist darum die Weitervermittlung an geeignete Fachleute und Dienststellen vor Ort (etwa Vermittlung an geistliche Begleitung, an Beratungsstellen ...) oder an externe Hilfsangebote (Therapie, Fachberatung, Sozial- und Arbeitsamt). Daher ist es grundlegend, dass die Einrichtung gut eingebunden ist in ein Netzwerk von Beratungsstellen und Hilfsangeboten. (...)
Anders als bei sexuellem Missbrauch gibt es bei Geistlichem Missbrauch keine (kirchen)rechtlichen Regelungen, wann, wo und durch wen ein Vorfall angezeigt und rechtlich weiterverfolgt werden muss.
Hier besteht ein dringender kirchlicher Regelungsbedarf. Dies muss bei Bedarf in der Beratung auch transparent gemacht werden. (...)
Die Einleitung eines kirchlichen Verwaltungs- oder Strafverfahrens gegen Personen, denen Geistlicher Missbrauch vorgeworfen wird, setzt jedoch voraus, dass Taten des Geistlichen Missbrauchs genau umschrieben und kirchenrechtlich verfolgt werden können. Das ist aber bislang nur in einzelnen konkreten Tatbeständen und darum sehr begrenzt möglich. Denn Geistlicher Missbrauch als komplexes System wird weder im kirchlichen Strafrecht (reformierte Fassung von 2021) noch im staatlichen Strafgesetzbuch als Straftat qualifiziert. Da Grenzverletzungen und Manipulationen im geistlich-psychischen Bereich oft sehr subtil und lange vor einer möglichen rechtlichen Sanktionierbarkeit einsetzen, sind alle Verantwortlichen aufgerufen, diese wahrzunehmen und sowohl frühzeitig als auch konsequent die verschiedenen Möglichkeiten der Intervention und disziplinarischer Maßnahmen zu nutzen. Lösungsorientierte Gespräche mit allen Beteiligten, eine Schlichtung oder Mediation können - rechtzeitig angewandt - zur Klärung der Situation führen, Einsichten ermöglichen und sensibilisieren. Trotz dieser Möglichkeiten bleibt es aber eine dringende Aufgabe, weitere neue rechtliche Maßnahmen und strukturelle Vorgaben zu erarbeiten. (...)
Zusammenfassend bleibt zu betonen: Wenn nötig und rechtlich möglich, sind strafrechtliche bzw. dienstrechtliche Konsequenzen für die Täterpersonen durchzusetzen (wie Suspendierung vom Dienst, Amtsenthebung, Entziehen von Vollmachten und Beauftragungen, Einleitung von kirchlichen Strafverfahren) und verwaltungsrechtliche Entscheidungen zu treffen. Außerdem ist es dringend erforderlich, dass die vorgebrachten Vorfälle Geistlichen Missbrauchs und ihre rechtliche Aufarbeitung auch wissenschaftlich untersucht und analysiert werden. (...)"