DOMRADIO.DE: Weil Bischof Stephan Ackermann den Namen einer von Missbrauch betroffenen Angestellten des Bistums Trier öffentlich machte, soll die Frau 20.000 Euro Schmerzensgeld bekommen. Das entschied das Arbeitsgericht Trier an diesem Mittwoch. Sie waren heute Morgen im Gericht dabei und kennen auch Karin Weißenfels, deren Pseudonym Ackermann gebrochen hatte. Die Frau möchte anonym bleiben, wissen Sie, wie sie das Urteil bewertet?
Hermann Schell (Vorstandsmitglied der Betroffeneninitiative MissBiT e.V. in Trier): Laut Aussage ihrer Anwälte war Frau Weißenfels erleichtert. Vor allem darüber, dass es letztendlich kein Vergleich war, sondern dass ein Urteil gefallen ist und damit nun zweifelsohne feststeht, dass der Bischof einen schweren Fehler begangen hat.
DOMRADIO.DE: Es hatte zunächst geheißen, Ackermann müsse auf Anordnung des Gerichtes persönlich vor Gericht erscheinen – am Ende schickte er einen bevollmächtigten Juristen als Vertretung. Wie wirkte das auf Sie?
Schell: Herr Ackermann hat an dieser Stelle gekniffen. Und das ist ein Verhalten, das wir seit Jahren beobachten: Alle unsere Versuche als Betroffeneninitiative, mit ihm Kontakt aufzunehmen, waren äußerst schwierig. In seiner gesamten Amtszeit haben wir ihn nur zwei Mal getroffen.
Heute Morgen hat er nicht zu seiner Verantwortung gestanden und sich lieber vertreten lassen. Und im Übrigen waren die Anwälte von Herrn Ackermann oder die Bevollmächtigten von Herrn Ackermann sehr kleinlaut im Vergleich zum ersten Termin.
DOMRADIO.DE: Sie meinen den Termin im Frühjahr, wo es den Versuch einer Einigung gegeben hatte, den aber die Anwälte des Bischofs abgelehnt hatten. Später soll einer von ihnen gesagt haben, Ackermann habe durch die Aussagen der Klägerin "selbst ein Trauma" erlitten. Davon hat sich der Bischof später distanziert – und wollte auch den Vergleich akzeptieren. Da wollte Karin Weißenfels nicht mehr. Wie finden Sie, ist das Ganze abgelaufen?
Schell: Also entweder ist Herr Ackermann schlecht beraten oder es ist Taktik. Falls die Strategie gewesen sein sollte, auszutesten, wie weit man bei Betroffenen gehen kann, die gegen den Bischof oder das Bistum klagen, dann ist das nicht aufgegangen.
Darum ist das auch ein Erfolg für andere Betroffene. Eigentlich müsste man sie jetzt alle dazu aufrufen: Habt den Mut! Klagt auch! Tretet für Eure Rechte ein! Weil es ist nicht unmöglich ist, gegen diesen Machtraum Kirche zu gewinnen.
DOMRADIO.DE: Es ging um eine Schmerzensgeldzahlung für Karin Weißenfels, die in den 1980er Jahren von einem Priester missbraucht worden war und diese Geschichte öffentlich gemacht hat. Um nicht erkannt zu werden, hat sie ein Pseudonym verwendet. Ausgerechnet Bischof Ackermann hatte ihren Klarnamen in einer Konferenz ausgesprochen. Können Sie uns erklären, was das aus der Sicht von Betroffenen bedeutet?
Schell: Das Verhalten von Herrn Ackermann hat jede Linie überschritten. Wenn sich jemand, der von Missbrauch betroffen ist, auf den Weg macht, darüber zu sprechen und sei es im ersten Schritt auch nur unter einem Pseudonym, weil es sonst vielleicht zu viele negative Reaktionen, zum Beispiel aus der Gemeinde, gibt, dann muss das gewahrt werden. Und wenn es dann gebrochen wird, in dem Fall durch Herrn Ackermann, dann ist das eine Retraumatisierung und eigentlich unverzeihbar.
DOMRADIO.DE: Sie stehen mit Frau Weißenfels in Kontakt, die nach wie vor Angestellte des Bistums ist. Hat das Folgen für sie gehabt, dass plötzlich jeder ihre Geschichte kannte?
Schell: Das ist das Problem: Sie ist einerseits Betroffene und andererseits noch Mitarbeiterin des Bistums. Das heißt, sie ist mit dieser Klarnamennennung ihren Kollegen und Kolleginnen ausgesetzt. Ich kann selbst ich nicht sagen, was das bei Betroffenen auslöst. Es ist ja nicht vorbei: Auch dieser Prozess heute war nicht einfach für sie. Aber sie ist erschienen, im Gegensatz zu Bischof Ackermann.
DOMRADIO.DE: Frau Weißenfels ist also heute Morgen zu dem Gerichtstermin erschienen, aber sie blieb unerkannt?
Schell: Ja, genau. Das hat aus meiner Sicht das Gericht sehr gut gemacht: Damit sie nicht erkennbar wird, hat man den Teil der Verhandlung, wo es um die Identifizierung der Klägerin ging, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehalten. Also hier hat das Gericht wesentlich sensibler und vorsichtiger reagiert, als Bischof Ackermann.
DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, dass sich Bischof Ackermann zwei Mal mit Ihrer Betroffeneninitiative getroffen hat. Wie sind diese Treffen abgelaufen?
Schell: Er spricht immer davon, dass die Betroffenenperspektive eingenommen werden müsse. Aber ich glaube, Herr Ackermann versteht das Grundthema nicht. Es geht um sexuellen Missbrauch durch Angehörige der Kirche. Das ist schwer nachzuvollziehen. Aber man kann es nur nachvollziehen, wenn man in den Dialog mit Betroffenen geht.
Er hat sich zwei Mal mit uns getroffen und es standen weitere Treffen in Aussicht, aber dieses Versprechen hat er nicht eingelöst. Und man musste ihn immer sehr dazu bewegen oder dafür gewinnen, er macht das nicht gerne. Er trifft sich lieber alleine mit einzelnen Betroffenen, weil er da – das muss ich so sagen - die Oberhand hat.
DOMRADIO.DE: In Bistum Trier gibt es – im Unterschied zu anderen Diözesen - noch keine umfängliche Studie zu Missbrauchstaten, die in der Vergangenheit durch kirchliche Bedienstete begangen wurden. Ausgerechnet im Bistum von Bischof Ackermann, der jahrelang Missbrauchsbeauftragter für die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) war. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Schell: Ja. Dafür muss man ein bisschen in die Historie gehen: In der MHG-Studie (Anm. der Redaktion: eine 2018 veröffentlichte Studie zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland) war das Bistum Trier weit vorne, was Betroffenen- und Täterzahlen angeht.
Außerdem haben wir die Konstellation, dass einige Bischöfe, die heute in Verantwortung stehen, auch hier in Trier waren: Der heutige Erzbischof von München und Freising Reinhard Kardinal Marx war hier Bischof. Der DBK-Vorsitzende Bischof Georg Bätzing war Generalvikar und der Aachener Bischof Helmut Dieser Weihbischof in Trier.
Unsere Vermutung ist, dass durch einen frühzeitigen oder umfänglichen Bericht hier im Bistum Trier noch viele andere Dinge ans Licht kommen würden. Jetzt wählt man die Salamitaktik durch die Aufarbeitungskommission, die nach und nach die Amtszeiten beleuchtet. Aber wir sind uns sehr sicher: Wenn es an die Amtszeiten von Marx, Bätzing und Ackermann geht, dann kommt da noch einiges ans Licht.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.