DOMRADIO.DE: An diesem Montag jährt sich der der Angriff Russlands auf die Ukraine zum dritten Mal: Ihre Stadt Odessa ist immer wieder Ziel russischer Luftschläge: Wir hören von Drohnenangriffen, Stromausfällen und davon, dass Teile des zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörenden historischen Stadtzentrums beschädigt wurden. Wie ergeht es Ihnen und den Menschen?

Bischof Stanislaw Schyrokoradjuk (römisch-katholischer Bischof von Odessa-Simferopol): Wie allen Menschen in der Ukraine: Krieg ist Krieg und man ist nirgends wirklich sicher. Odessa war immer schon besonders interessant für Russland, weil wir die wichtigste Hafenstadt der Ukraine sind. Täglich kommen hier Schiffe mit wichtigen Gütern wie Getreide Eisen und Stahl an. Früher war Odessa eine "prorussische Stadt", das ist jetzt vollkommen anders.
Bei uns ist die Situation zum Glück nicht so schlimm wie in Cherson, das auch zu unserem Bistum gehört: Die ganze Stadt liegt in Ruinen. Das ist furchtbar. Wir werden auch bombardiert, die Industriezentren und die Infrastruktur. Trotzdem geht das Leben bei uns weiter: Wasser, Strom und öffentlicher Transport funktionieren meistens, nur unser Flughafen ist geschlossen. Aber die Menschen gehen in die Einkaufszentren, in die Tourismuszentren, sie gehen aus und besuchen Restaurants.
DOMRADIO.DE: Es gibt also offensichtlich so etwas wie Alltag in Odessa. Wie sind die Menschen durch den Krieg psychisch belastet?
Schyrokoradjuk: Zu Beginn des Krieges war das sehr schlimm: Es gab Angst und Panik. Viele Menschen sind geflohen. Aber mittlerweile haben die Menschen genug vom Krieg und wünschen sich auch in dieser Zeit ein Stück Normalität für ihr Leben. Bei Luftalarm gibt es Menschen, die gehen in den Schutzraum, andere schon nicht mehr. Der Krieg ist Teil unseres Alltags geworden.
DOMRADIO.DE: Inwiefern kann Kirche den Menschen in dieser Situation helfen?
Schyrokoradjuk: Die Kirche spielt hier eine große Rolle. Wir müssen unsere wichtigste Aufgabe erfüllen, nämlich die Verkündung des Evangeliums. Wir haben keine zwei Evangelien: eins für Kriegs- und eins für Friedenszeiten. Wir wollen immer wieder daran erinnern, dass wir alle Menschen sind, wir dürfen die Würde, das Heil und die Seele der Menschen nicht vergessen. Heute ist ein Gebetstag in der Ukraine, an dem wir für die Gebete für uns danken und weiter um Frieden bitten.
Und hinzukommen kommen natürlich die caritativen Aktionen: Wir verteilen das, was mit Hilfstransportern zu uns geschickt wird. An unserer Kathedrale verteilen wir regelmäßig Lebensmittelpakete für die Armen. Und wir bieten viele Heilige Messen an, mittlerweile sind es drei an jeden Tag und sonntags sogar sechs. Das ist viel mehr als vor dem Krieg, weil die Menschen zu uns kommen, weil sie das Gebet brauchen. Und ich bin regelmäßig in allen Gemeinden der Diözese unterwegs, um bei den Menschen zu sein.

DOMRADIO.DE: US-Präsident Trump hat Gespräch mit Russlands Präsident Putin aufgenommen, weil er einen "Deal" will. Es heißt, die USA würden Russland umfassende Zugeständnisse für einen Friedensvertrag machen, dass zum Beispiel die Ukraine auf einen NATO-Beitritt verzichtet. Es ist auch die Rede von Verzicht auf Rohstoffe und einige Landesteile der Ukraine. Wie blicken Sie auf diese Entwicklungen?
Schyrokoradjuk: Das überrascht mich nicht, denn wir sollten nicht allzu große Hoffnung auf Menschen setzen, wir müssen auf Gott vertrauen. Wenn wir auf politische Führer setzen, kann das zu Enttäuschungen führen. Dennoch verlieren wir die Hoffnung nicht, weil wir wissen: Im Gegensatz zu Russland gibt es in den USA nicht nur einen Präsidenten, sondern ein großes kluges Volk. Darauf setzen wir und hoffen, dass wir eine Lösung finden werden. Wir beten dafür, dass der Krieg endlich zu Ende geht, aber das Ende und der Friede müssen gerecht sein. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden.
DOMRADIO.DE: Was wäre denn aus Ihrer Sicht ein gerechter Friede?
Schyrokoradjuk: Wir wollen die Freiheit. Der Krieg wurde begonnen, weil Putin uns diese Freiheit nicht zugestehen wollte. Er wollte, dass wir weiterhin in der kommunistischen Einflusszone bleiben. Soll die Ukraine auf Teile des Landes verzichten? Viele sehen das mittlerweile realistisch, aber die Freiheit ist unverhandelbar. Wir brauchen Unabhängigkeit und Sicherheit und die müssen von Europa und die USA abgesichert werden. Wir wollen selbst entscheiden, ob wir Beitrittsverhandlungen mit der EU oder Nato aufnehmen. Wenn Russland uns das diktiert, ist das kein Frieden.
DOMRADIO.DE: An diesem Sonntag wurde hier in Deutschland eine neue Bundesregierung gewählt, unser neuer Bundeskanzler wird vermutlich Friedrich Merz von der CDU. Wie die Koalition aussieht, wissen wir noch nicht. Wie auch immer die neue Regierung aussehen wird: Was ist Ihr Appell an sie?
Schyrokoradjuk: Wir haben an diesem Sonntag in unserer Heiligen Messe für eine gesegnete Bundestagswahl in Deutschland gebetet. Ich möchte mich bei den Deutschen bedanken: Kaum ein Land hat uns so sehr geholfen, auch die vielen Kirchengemeinden. Wir hoffen jetzt auf eine kluge und weise deutsche Politik. Deutschland hat immer eine vernünftige Politik gemacht. Und ich bitte darum, dass die Deutschen unser leidendes Volk nicht vergessen, das Mitgefühl und die Menschlichkeit nicht vergessen. Wir sind die Opfer dieses Krieges und wir hoffen auf die Solidarität von Deutschland!
Das Interview führte Ina Rottscheidt.