Bischof Bätzing würdigt römische Erklärung Dignitas infinita

"Konsequenter Argumentationsstrang"

Das Glaubensdikasterium des Vatikans hat an diesem Montag die Erklärung "Dignitas infinita über die menschliche Würde" veröffentlicht. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, lobt das Dokument.

Bischof Georg Bätzing / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Georg Bätzing / © Harald Oppitz ( KNA )

In einer Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz heißt es: Nach eingehenden Vorarbeiten hat das Dikasterium für die Glaubenslehre mit Datum vom 2. April 2024 die von Papst Franziskus approbierte Erklärung Dignitas infinita über die menschliche Würde heute (8. April 2024) veröffentlicht.

Gerade angesichts der Tatsache, dass wir in einer Welt leben, in der die Menschenwürde tagtäglich auf vielfache Weise missachtet, untergraben, ausgehöhlt und relativiert wird, ist es höchst begrüßenswert, dass das Dikasterium für die Glaubenslehre unter Leitung seines Präfekten, Kardinal Víctor Manuel Fernández, in seiner Erklärung die unverzichtbare, unverletzliche und nicht zu reduzierende ("infinita") Würde des Menschen unterstreicht und einschärft: "Die Kirche verkündet, fördert und macht sich zum Garanten der Menschenwürde" (Überschrift zu Kapitel 2). Vor diesem Hintergrund bietet die Erklärung in sachlicher und angemessener Sprache und Argumentation eine Bestärkung für alle, die sich für die Achtung der Menschenwürde und die sich daraus ergebenden fundamentalen Menschenrechte einsetzen. 

In seinem Grundlagenteil bietet der Text zunächst eine Anerkennung und Fundierung der Menschenwürde aus der Perspektive des christlichen Glaubens: "Die Kirche bekräftigt und bestätigt im Licht der Offenbarung in absoluter Art und Weise diese ontologische Würde der menschlichen Person, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen und in Christus Jesus erlöst wurde" (Nr. 1). Als sehr hilfreich und klärend für den Sprachgebrauch des Würdebegriffs stellt sich die vierfache Differenzierung von ontologischer Würde, sittlicher Würde, sozialer und existenzieller Würde dar. In sittlichen, sozialen und existenziellen Fragestellungen wird auf ganz unterschiedliche Weise von Würde gesprochen. Entscheidend ist dabei die Feststellung, dass der Aspekt, der hier ontologische Würde genannt wird, sich auf jenen auch philosophisch-anthropologisch zentralen Begriff von Würde bezieht, der dem Menschen als Mensch zuzusprechen ist: der schlechthin fundamentale Anspruch auf Achtung, der der menschlichen Person von niemandem und unter keinen Umständen genommen werden kann und der deshalb unverlierbar und unantastbar ist. Von diesem Begriff von Würde, der im "Fortschritt der menschlichen Reflexion über das Thema Würde" (Nr. 13) herausgearbeitet wurde, geht die Erklärung in ihrer Befassung mit verschiedenen Fragestellungen aus. Es ist sicher nicht nur aus deutscher Perspektive erfreulich, dass der Text einen positiven Bezug nicht nur zu René Descartes, sondern auch zu Immanuel Kant herstellt (vgl. Nr. 13). Gerade im Hinblick auf die Menschenwürde wird hier eine Offenheit über den katholischen Binnenraum hinaus signalisiert, die im Dialog in einer postsäkularen Gesellschaft weiterhilft.

Insgesamt zeichnet sich die Erklärung zudem durch einen sehr konsequenten Argumentationsstrang aus, der ethische Überlegungen und Handlungsorientierungen aus dem Grundkonzept der Menschenwürde ableitet, ohne sich dabei, etwa im Stil älterer Erklärungen, immer wieder auf eine auch in ihren detaillierten Normierungen nicht zu hinterfragende natürliche Sittenordnung zu beziehen. Dieser konsequente Rückbezug auf die Menschenwürde wird nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die Lehraussagen der Kirche allseits und in allen Gesellschaften dieser Welt ungeteilte Zustimmung erfahren. Aber er stärkt ganz sicher die Anschluss- und Diskursfähigkeit der vorgebrachten Argumente.

Unter Rückbezug auf die Konzilskonstitution Gaudium et spes weist die Erklärung auf eine Reihe von schweren Verletzungen der Menschenwürde hin, die von bleibend dramatischer Aktualität sind: Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie, freiwilliger Suizid, auch Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter, psychischer Zwang und schließlich unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, unwürdige Arbeitsbedingungen, unwürdige Haftbedingungen und auch die Todesstrafe.

Als Themen von besonderer Aktualität werden hervorgehoben: Armut und ungerechte Güterverteilung, Krieg, die Leiden der Migranten und der Menschenhandel. Auch der sexuelle Missbrauch wird, nicht zuletzt als Problematik der Kirche selbst, angesprochen. Unter der Überschrift Gewalt gegen Frauen werden neben physischer und sexueller Gewalt gegen Frauen die mangelnde Rechtsgleichheit für Frauen, ungleiche Entlohnung und Berufsaussichten, sexuelle Ausbeutung und Zwang zur Abtreibung angeprangert. Es wird auf die Gerechtigkeitsproblematik der Polygamie und auf das Verbrechen der Frauenmorde hingewiesen. Eigene Abschnitte gehen auf Abtreibung, Leihmutterschaft, Euthanasie und assistierten Suizid, den Ausschluss von Menschen mit Behinderung, die Gender-Theorie, das Thema Geschlechtsumwandlung und nicht zuletzt Gewalt in der digitalen Welt ein. Ausdrücklich wird als Verstoß gegen die Menschenwürde angeprangert, dass Menschen allein aufgrund ihrer sexuellen Orientierung inhaftiert, gefoltert oder sogar ermordet werden.

Diese recht heterogene Themenliste, die weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf systematische Geschlossenheit erhebt, wird jeweils durch knappe Hinweise im Sinne der bereits erwähnten Argumentation erläutert. Natürlich gäbe es zu den einzelnen Themen noch weitaus mehr und weiter Differenzierendes zu sagen. Aber der Charakter der Erklärung als überblickartiger Hinweis auf den relevanten Argumentationsfaden lässt es angeraten sein, keine bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Einzelnormen aufzustellen. Gerade dadurch kann mit diesem Dokument in den jeweiligen Einzelthemen weitergearbeitet werden.

Wichtig scheint dies insbesondere etwa im Hinblick auf die Problematik der sexualisierten Gewalt und ihrer Vertuschung in der Kirche. Dass in dieser Hinsicht auch nach missbrauchsbegünstigenden strukturellen und systemischen Aspekten gefragt werden muss, ist eine Perspektive, die in der Kirche noch stärkere Berücksichtigung finden muss. Dieser Problematik, die mit einer massiven Verletzung der Würde aller Betroffenen einhergeht, wird man anders nicht nachhaltig entgegentreten können.

Gerade angesichts dessen muss der Einsatz der Kirche für die Würde des Menschen, für den sich Dignitas infinita so vehement und überzeugend ausspricht, immer auch von einem Aspekt der Selbstkritik begleitet sein. Die Erkenntnis, dass die Kirche hinter dem Anspruch, Garantin der Menschenwürde zu sein, in der Vergangenheit immer wieder auch zurückgeblieben ist, kann heute zur besonderen Achtsamkeit in dieser Perspektive beitragen. Zu Recht zitiert die Erklärung ein Wort von Papst Franziskus, mit dem er die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als Königsweg bezeichnet, "auf dem viele Fortschritte gemacht wurden, wo aber noch sehr viele weitere Schritte fehlen, und manchmal machen wir leider auch Rückschritte. Der Einsatz für die Menschenrechte ist nie zu Ende!" (Franziskus, Angelus vom 10. Dezember 2023: L’Osservatore Romano, 11. Dezember 2023, S. 12, zit. in: Nr. 63)

Dass Dignitas infinita die Würde der menschlichen Person so dezidiert ins Zentrum der Moralverkündigung der Kirche stellt, ist deshalb in mehrfacher Hinsicht verdienstvoll und zugleich perspektivreich. Wie im Brennpunkt einer Linse kommen hier die anthropologischen Prinzipien der Kirche, die Fundamente jeder menschlichen Sozialgestalt und die Zukunftsfragen der gesamten Menschheit zusammen. Von daher kann man gar nicht anders als dieser Erklärung eine lebhafte Aufnahme und Diskussion und eine segensreiche Wirkungsgeschichte zu wünschen.                                                                                           

Quelle:
DBK