DOMRADIO.DE: Rund 1.000 Menschen haben an diesem Freitag beim Katholikentag in Stuttgart bei einer Friedenskundgebung Solidarität mit der Ukraine gezeigt. Sie sagen, dass diese Demonstration Ihnen besonders wichtig war. Sind Sie zufrieden mit der Resonanz?
Dr. Gebhard Fürst (Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart): Wir wollten eine Botschaft aussenden, die unsere Kirchen und die Christen erreichen sollte und die auch bedeutet, dass wir für den Frieden beten müssen. Dieses Gebet muss in unsere Herzen und in unsere Hände gehen, damit wir aus dem Gebet, also aus der Gottesbeziehung heraus, auch den Menschen beistehen.
Denn wir leben in einer Situation in Europa, in der es seit vielen Jahrzehnten wieder einen Krieg gibt, der der Ukraine durch den Einmarsch der russischen Armee aufgezwungen wurde. Daran können wir bei einem Katholikentag nicht vorbeigehen. Es muss eine Solidarität mit den Menschen dort geben. Die gibt es auch schon in weiten Teilen, denn wir können die Menschen nicht im Stich lassen, wenn sie von einem brutalen Aggressor angegriffen und getötet werden.
Und neben der Solidarität und der humanitären Hilfe in Form von Nahrungsmitteln und medizinischer Versorgung müssen wir die Ukrainer auch in die Lage versetzen, dass sie sich verteidigen können. Die Botschaft des Friedens muss auch heißen: Der Frieden ist uns so viel wert, dass jemand, der in Frieden leben will, sich auch verteidigen kann.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie befürworten Waffenlieferungen an die Ukrainer.
Fürst: Ich bin der Meinung, dass die Ukraine sich verteidigen können muss und dazu gehören angemessene Werkzeuge, also Waffen.
DOMRADIO.DE: Die christliche Friedensethik hat jahrzehntelang Pazifismus und Abrüstung gefordert. Jetzt werden diese Forderungen von der Realität überrollt. Muss dann nicht auch diese christliche Friedensethik neu gedacht werden?
Fürst: Dass wir in Frieden leben wollen und nicht nur in Aufrüstung investieren und für einen Frieden arbeiten müssen, ist unbestritten. Aber tatsächlich müssen wir unsere Friedensethik nachjustieren. Wir müssen helfen, dass Notwehr möglich ist. Sonst machen wir uns der unterlassenen Hilfeleistung schuldig.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.