DOMRADIO.DE: Pax Christi setzt sich für Frieden und Versöhnung auf der Welt ein. In Europa ist das angesichts des russischen Angriffskrieges wichtiger denn je. Aber stößt eine gewaltfreie Friedensethik aktuell an ihre Grenzen?
Bischof Peter Kohlgraf (Bischof von Mainz und Präsident der deutschen Sektion der katholischen Friedensbewegung Pax Christi): Auch in der Pax Christi-Bewegung wird sehr kontrovers diskutiert, etwa über die Rolle der Bergpredigt, das Verständnis der Bergpredigt, Gewaltfreiheit, Feindesliebe, die andere Wange hinhalten - das sind natürlich biblische Texte, die in dieser Zeit sehr stark provozieren und wo auch eine radikale Friedensethik, wirklich heftig kritisiert wird und es Debatten gibt.
DOMRADIO.DE: Pax Christi selbst ringt um eine Haltung zum Thema Waffenlieferungen an die Ukraine. Wie ist Ihre Sicht dazu?
Kohlgraf: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich ein Recht auf Selbstverteidigung anerkenne. Die Frage ist immer, und da sind wir im Grunde bei der klassischen traditionellen Lehre vom gerechten Krieg: Wie maßvoll muss eine Verteidigung sein? Was sind die Ziele? Und das ist ja auch nicht so ganz klar erkennbar, das muss man auch sagen. Auch da sind Grenzen, wo gefordert wird, international geächtete Waffen etwa ins Spiel zu bringen. Also: Selbstverteidigung ja, aber wie weit ist das einzugrenzen? Das sind die Debatten, die in Pax Christi laufen.
DOMRADIO.DE: Es ist deutlich geworden, dass Russlands Präsident Putin den Krieg nicht am Verhandlungstisch beenden möchte. Dazu hat der ukrainische Präsident Selenskyj nach der Audienz mit Papst Franziskus klar gesagt, dass er den Vatikan nicht als Vermittler braucht. Welche Rolle kann die katholische Kirche dann noch ausfüllen? Ist sie in diesem Konflikt relevant?
Kohlgraf: Präsident Selenskyj hat nach der Audienz bei Papst Franziskus ein wichtiges Stichwort genannt, nämlich das Stichwort der Gerechtigkeit. Versöhnung oder Frieden heißt nicht Kapitulation oder dass die Angreifer den Opfern auf Augenhöhe begegnen, sondern es geht um ein Herstellen der Gerechtigkeit.
Ich glaube, dass wir da mit der ukrainischen Bevölkerung und auch unserer katholischen Friedensethik sehr gut auf einer Spur sind.
Auch wenn die Ideen, wie man das erreichen kann, sehr unterschiedlich sind. Ich glaube, dass die katholische Kirche derzeit sehr mäßigend eingreift. Das ist ja auch die Kritik an Papst Franziskus von verschiedenen Seiten.
Aber es kann sein, dass die Kirche im Nachklang des Krieges eine wichtige Rolle spielen wird, nämlich dann die Debatten zu führen und als Verhandlungspartner anerkannt zu sein.
DOMRADIO.DE: Pax Christi veranstaltet an diesem Wochenende einen Friedenskongress in Leipzig. Sie als Präsident der Friedensbewegung halten einen Festvortrag. Worauf werden Sie inhaltlich eingehen?
Kohlgraf: Im Vordergrund steht zunächst einmal Dankbarkeit für 75 Jahre aktive Versöhnungsarbeit. Das ging ja los mit der Versöhnung zwischen Frankreich und Deutschland, dann zwischen Polen und Deutschland.
Pax Christi hat sich in den vielen Jahren sehr aktiv für eine gewaltfreie Kommunikation eingesetzt, ebenso für Versöhnung, auch sehr aktiv in Osteuropa, für Aufarbeitung, Einsatz für Flüchtlinge, gegen Atomwaffen und für eine friedliche Weltordnung sowie gegen Waffenhandel. Ich glaube, das sind alles Themen, auf die wir noch mal Rückblick halten und schauen müssen, in welcher Situation wir heute diese Botschaft hinein sprechen.
DOMRADIO.DE: Geben Sie uns noch einen kurzen Überblick: Was passiert alles an diesem Wochenende? Wo werden Akzente gesetzt und wie wird 75 Jahre Pax Christi gefeiert?
Kohlgraf: Heute geht es mit internationalen Gästen und mit dem Festakt am Abend los. Morgen wird es Workshops zu verschiedenen Themen geben; natürlich zur Ukraine, zu Fragen der Menschenrechte, Gewaltfreiheit, Rüstungsexporte - das ist für Pax Christi immer ein wichtiges Thema - ebenso der Konflikt Israel und Palästina.
Und wir sprechen über ökologische und soziale Arbeit, die natürlich auch mit der Friedensarbeit zusammenhängt. Am Sonntag ist dann ein Gottesdienst in Leipzig mit mir und Bischof Heinrich Timmerevers aus Dresden-Meißen.
Das Interview führte Katharina Geiger.