DOMRADIO.DE: Das Motto der diesjährigen Weihnachtsaktion lautet: "Flucht trennt. Hilfe verbindet”: Warum legen Sie den Schwerpunkt auf die Themen Flucht und Migration?
Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck (Bischof von Essen und Vorsitzender der Bischöflichen Kommission Adveniat): Adveniat ist eine Bitte aus dem Vaterunser und heißt übersetzt: "Das Reich komme”. Und das Reich Gottes kommt überall da, wo Menschen ihrer Würde gemäß leben können und wissen, wo sie hingehören.
Über 108 Millionen Menschen sind heutzutage weltweit auf der Flucht, ein Fünftel davon allein in Lateinamerika. Wir wollen darauf aufmerksam machen, was wir als Christinnen und Christen tun können, damit das weniger wird, am besten aufhört. Flucht trennt und Hilfe verbindet. Diese Not können wir mit den Spenden, die wir durch die Adveniat-Aktion erhalten, lindern.
DOMRADIO.DE: Adveniat und auch die Kirche in Deutschland fordern ein Recht auf Migration. Zeitgleich versucht Europa, die Außengrenzen zu schließen. Die deutschen Kommunen sagen, sie könnten keine Einwanderer und Geflüchtete mehr aufnehmen und die Rechtspopulisten machen mit dem Thema Politik. Warum sollten sich die Menschen in Deutschland für Migranten in Lateinamerika interessieren?
Overbeck: Es ist wichtig zu wissen, dass in einer globalisierten Welt alles mit allem verbunden ist. Auf Dauer bedeutet es auch, dass das Einfluss auf uns hat, wenn in Lateinamerika unendlich viele Menschen auf der Flucht sind, so wie wir das auch in Europa, Afrika oder dem Nahen Osten erleben.
Um der Würde aller Menschen willen, für die wir auch eine Verantwortung tragen, ist es gut, wenn wir uns dafür einsetzen, dass Menschen, wenn sie in unwürdigen Umständen leben, woanders eine Heimat finden oder aber alles dafür getan wird, dass sie in ihrer Heimat ein menschenwürdiges Leben führen können. Wenn wir dazu beitragen können, dann haben wir ein kleines, aber wichtiges Zeichen für die Größe der Welt gesetzt.
DOMRADIO.DE: Was sagen Sie den Menschen in Deutschland, die sich überfordert fühlen und der Meinung sind, man könne nicht mehr Geflüchtete aufnehmen? Das sind nicht wenige und die Rechtspopulisten gewinnen damit in ganz Europa Wahlen, wenn sie sagen: "Das Boot ist voll!”
Overbeck: Wir setzen darauf, dass Menschen fähig sind, das Gute zu tun. Davon bin ich überzeugt, auch in Deutschland tun das ganz viele. Dass wir mit Grenzen leben müssen, gehört zu uns. Nicht nur politisch, sondern in jeder Hinsicht.
Wir müssen drauf achten, dass unser Gewissen immer auf diejenigen ausgerichtet ist, die in Not sind und denen es schlechter geht als uns. Das gehört zu unserem Glauben.
DOMRADIO.DE: Die Kollekte an den Weihnachtstagen in den katholischen Gottesdiensten ist traditionell für das Lateinamerika Hilfswerk Adveniat. Was sagen Sie den Menschen, die Sie um Spenden bitten?
Overbeck: Ich sage zum Ersten immer: Vielen Dank für all das, was Sie geben, denn damit tun Sie Gutes für andere. In diesem Jahr danke ich dafür, dass auf diese Weise die Menschen, die aus verschiedenen Gründen vor allen Dingen in Lateinamerika und der Karibik auf der Flucht sind, eine Ahnung davon bekommen, was es heißt, dass wir alle miteinander verbunden sind und es auch bleiben.
Wir müssen Verantwortung für alle Menschen auf der Welt wahrnehmen, nicht nur für uns zu Hause.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.