DOMRADIO.DE: Wir sind als Christen ja aufgerufen, die Botschaft des Friedens stark zu machen. Wir leben aber in einer Welt, die als sehr unfriedlich empfunden wird.
Sie sind Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax, bemühen sich also um Gerechtigkeit und Frieden. Warum gehört das so untrennbar zusammen?
Dr. Heiner Wilmer (Bischof von Hildesheim und Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz und Vorsitzender der Deutschen Kommission Justitia et Pax): Gerechtigkeit und Frieden gehören zusammen, weil Gott uns das verheißt. Gott traut uns zu, dass wir Menschen die Kraft und die Fähigkeit haben, doch miteinander in Frieden zu leben.
Er traut uns das dennoch zu. Er traut uns zu, was der Prophet Micha gesagt hat, ich will, dass ihr auf die wesentlichen Dinge des Lebens achtet. Und die wesentlichen Dinge sind recht einfach.
Achte, so sagt der Prophet Micha im Namen Gottes, du Mensch darauf, Recht zu tun, Gerechtigkeit zu üben, und dann in Ehrfurcht deinen Weg zu gehen, mit Gott also den Blick zu haben für den Menschen, für eine gute Welt, für eine Welt, in der alle Menschen leben, in der wir – auf neudeutsch gesagt – inklusiv unterwegs sind, in der es einen Platz für alle gibt.
DOMRADIO.DE: Einen Platz für alle – Sie sind gleichzeitig auch Vorsitzender der Bischöflichen Kommission für soziale und gesellschaftliche Fragen. Wie fordert Sie das heraus im Alltag. Wir leben ja in einer Gesellschaft, die offenbar immer mehr auseinanderdriftet.
Wilmer: Ja, das sehe ich auch so. Leider ist natürlich die Tendenz die, dass wir zentrifugal unterwegs sind, die Kräfte nach außen gehen.
Wir machen eher die Erfahrung, dass wir uns zersplittern, zerklüften, dass wir uns beharken, dass wir einander mit Misstrauen begegnen und uns voneinander entfernen.
Es kommt natürlich darauf an, dass wir zusammenkommen, dass wir die Mitte finden, dass es einen Zusammenhalt gibt und dass wir uns in die Augen schauen, beim Sprechen wie jetzt oder bei Tisch mit einer Tasse Tee.
Es kommt aber auch darauf an, dass wir uns, wenn wir miteinander streiten, aber anschließend doch gegenseitig schätzen.
Es kommt darauf an, dass wir uns nicht diffamieren, dass wir in den Meinungen, ob politischen, gesellschaftlichen oder kirchlichen, durchaus divers und verschieden unterwegs sind, aber dennoch zusammenfinden.
Das sollten wir auch im Namen Jesu tun, der das Problem schon damals hatte, als er im Johannes-Evangelium sagte, ich will, dass ihr eins seid.
DOMRADIO.DE: Der Wille ist ganz klar da. Trotzdem erleben wir doch oft eine sehr unversöhnliche Situation, immer mehr verhärtete Fronten.
Ob das in der internationalen Welt ist, ob es in der Politik selbst bis in die Bischofskonferenz hinein spürt man diese zunehmenden Verhärtungen.
Sie waren als Religionslehrer, als Ordensoberer und als Bischof gefordert. Sie waren dabei bestimmt auch immer wieder als Streitschlichter gefragt gewesen.
Welche Methoden gibt es, um unversöhnliche Gruppen wieder zusammenzukriegen?
Wilmer: Vielleicht es ein Tunwort, ein Verb, das in der Bibel schon hochgehalten wurde, ein Wort, das in der großen Ordenstradition hochgehalten wird.
Das Schlüsselwort, lautet Shma, wie in Shma Jisrael!, "Höre Israel", also hinhören. Benedikt von Nursia beginnt seine Ordensregel mit dem Wort Obsculta, o fili, "Höre, mein Sohn", und ich glaube, dass das Hören, die Kunst des guten Hörens, eben das Zuhören, eine hohe Kunst ist.
Diese Kunst verlangt eine lange Weile, Ausdauer, verlangt, dass ich den anderen ausreden lasse, dass ich dem anderen grundsätzlich glaube, dass er es gut meint, verlangt, dass ich dem anderen mit Respekt und Würde begegne.
Sie verlangt auch, dass ich es in mir einsinken lasse, es wiederkäue, wie Ignatius von Loyola sagen würde. Also verlangt die Kunst des guten Hörens schon, dass ich innerlich, auch geistig und intellektuell, mental beim anderen bin.
DOMRADIO.DE: Frieden ist also nicht nur ein Geschenk oder eine Gnadengabe ist, sondern muss auch erarbeitet werden?
Wilmer: Friede ist ein ständiger Kampf, nicht das Produkt. Friede entsteht nicht, wenn ich nichts tue, sondern Friede will errungen werden. Friede ist am Ende eine abgerungene Solidarität.
DOMRADIO.DE: Was macht Heiner Wilmer ganz privat für den Frieden?
Wilmer: Ich versuche, eine gute Atmosphäre zu schaffen. Mir ist Humor ganz wichtig, weil ich finde, dass Humor mich in Distanz zu mir selbst bringt.
Humor sagt einem, nimm dich nicht so wichtig, nicht deine Meinung muss durchkommen, nicht dein Kampf muss gewonnen werden. Lache über dich selbst.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.
Information der Redaktion: Alle Informationen zur Rad-Pilger-Tour für den Frieden finden Sie hier.