DOMRADIO.DE: Jüngst hat ein Bürgerrat der Regierung Ideen und Entscheidungshilfen vorgelegt. Unter anderem geht es darum, dass ein kostenfreies Mittagessen für Kinder empfohlen wird. Was genau ist die Idee?
Dr. Christian Weingarten (Umweltbeauftragter in der Abteilung Schöpfungsverantwortung des Erzbistums Köln): Es wurde überlegt, wie man es schafft, eine Gesellschaft hin zu gesünderen und ökologischeren Lebensmitteln zu transformieren. Da ist immer wieder der Aspekt Bildung gefallen. Und wo passt Bildung am meisten, wenn nicht in Kindergärten oder in Schulen?
Da stellen wir uns die Frage, wie das Mittagessen oder der Snack zwischendurch in der Schule oder im Kindergarten ein Aspekt der Bildung sein kann? Wie kann ich den Kindern etwas anbieten, was wirklich schmeckt und gleichzeitig gesund und ökologisch produziert ist?
So wächst vielleicht ein anderes Bewusstsein bei Kindern heran, wie man sich ökologisch ernähren kann.
DOMRADIO.DE: Das heißt also, dass es nicht nur darum geht, den Kindern etwas zu essen zu geben, sondern gleichzeitig auch darum, dass man durch die Ernährung den Aspekt der Bildung in den Blick nimmt?
Weingarten: Das passiert vor allen Dingen, wenn das Essen kostenlos ist und die Kita-Küche Spielraum hat, regionale und saisonale Lebensmittel einzukaufen. Die sind dann vielleicht auch mal etwas teurer, aber so kann die Kita auch wirklich etwas anbieten. Dann kommt das Essen nicht von weit weg und muss nicht aufgewärmt werden.
Manche erwachsene Person würde das Essen gar nicht essen wollen, was Kindern in der Schule oder in der Kita häufig angeboten wird. So hat man auch die Möglichkeit, aus einem sozialen Aspekt heraus, den Kindern wirklich gesunde Lebensmittel anzubieten.
DOMRADIO.DE: Spielt der Kostenfaktor beim Mittagessen die größte Rolle?
Weingarten: Das ist immer das erste Argument, das gebracht wird, wenn man solche Gedanken vorbringt. Wir haben in einem Projekt mit dem Ernährungsrat der Stadt Köln zusammengearbeitet. Dort hat sich gezeigt, dass regionales und saisonales Kochen nicht immer gleich teurer ist. Man muss das Essen ein bisschen umstellen. Das ist aber nicht so ganz leicht. Gerade wenn man eine Küche hat, in der schon viele Jahre gleich gekocht worden ist.
Wenn man sagt, man macht das Essen kostenlos und gibt einen größeren finanziellen Spielraum, dann ist die Motivation etwas zu ändern deutlich größer.
DOMRADIO.DE: Aber man muss die Entscheider, die Menschen, die in der Küche stehen, auch ein bisschen erziehen. Für die Kinder ist das noch am einfachsten.
Weingarten: Für die Entscheider und Träger spielt es eine große Rolle, wie stark die Ernährung staatlich gefördert wird. Andere Länder in Europa machen das bereits vor. Die bieten das Essen in Kindergärten allein aus sozialen Aspekten kostenlos an.
DOMRADIO.DE: Diese Debatte wurde von dem Bürgerrat der Regierung angestoßen. Finden Sie es mutig, Menschen aus allen Schichten an solchen Entscheidungsprozessen zu beteiligen?
Weingarten: Wir sehen bei anderen politischen Fragen derzeit eine Spaltung. Die Meinungen gehen auseinander. Wenn man einen Querschnitt aus verschiedenen Bereichen, sozialen Schichten und Altersklassen nimmt und gemeinsam über eine Sache nachdenkt und debattiert, kommen viele gemeinwohlorientierte Lösungen und Entscheidungen dabei raus.
So werden nicht nur Lösungen für Lobbyvertreter und -vertreterinnen gefunden, sondern Lösungen, die der gesamten Gesellschaft etwas Gutes tun.
DOMRADIO.DE: Außerdem ist es ja auch die Grundlage der Demokratie, alle zu beteiligen und nicht nur ausgesuchte Gruppen.
Weingarten: Ich finde, es sollte auch eine Grundlage der Demokratie sein, auch die zu hören, die sonst eher leise Menschen sind, weil sie sich nicht so laut in Diskussionen einbringen.
DOMRADIO.DE: Diese Debatte kommt aus der Bundespolitik. Gibt es in der Kirche ein Pendant zu dieser Mitbestimmung?
Weingarten: So direkt noch nicht. Wir beschäftigen uns in unserem Fachbereich aber gerade mit der Frage, wie sich das ganze Erzbistum Köln transformieren kann. Mich hat das selbst nochmal zum Nachdenken angeregt, zu überlegen, wie man viel mehr Menschen aus dem Querschnitt, aus Kirchengemeinden, Kitas, Verbänden etc. einbinden kann, um diese soziale und ökologische Transformation zu schaffen. Ein Pendant gibt es noch nicht, aber wir denken darüber nach.
DOMRADIO.DE: Ist das auch eine Frage der Entscheider, die sagen müssten, dass sie alle beteiligen und dadurch auch Macht abgeben?
Weingarten: Definitiv. Das ist ja auch die Frage beim Bürgerrat. Wie viel von den Forderungen wird letztendlich umgesetzt?
Das ist erst mal ein schönes Papier, aber es ist nicht an Bedingungen geknüpft. Es wird sich damit im Bundestag befasst, aber es kann theoretisch auch wieder in der Schublade landen. Das hoffe ich natürlich nicht. Aber wenn wir so was im Erzbistum anstoßen würden, müssten die Entscheiderinnen und Entscheider auch mutig sein und hinnehmen, wenn die eigene Meinung nicht der des Bürgerrats entspricht.
Sie müssten das dann annehmen, weil der Bürgerrat den Querschnitt der Gesellschaft darstellen würde.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Hoffnung, dass das auch so kommt?
Weingarten: Ich bin ein sehr hoffnungsvoller Mensch. Der Optimismus ist da. Viele Forderungen sind ja auch nicht neu. Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat vor drei, vier Jahren schon mal etwas ähnliches gefordert.
Es gibt viele, die solche Forderungen stellen. Am Ende, gerade wenn es um die Verpflegung geht, wird es ein Geldthema sein. Und was das Geld im Bundestag angeht, haben wir gerade ganz andere Schwierigkeiten. Von daher bin ich optimistisch, dass zumindest erste Änderungen angestoßen werden.
DOMRADIO.DE: Zu einem ähnlichen Thema veranstalten Sie diesen Herbst noch eine Veranstaltung.
Weingarten: Wir hatten letztes Jahr das erste Klimaforum für Kirche und Wohlfahrt und veranstalten dieses Jahr das zweite. Diesmal unter dem Thema Ernährung. Da werden wir einige Ziele der Bürgerräte aufgreifen. Unter anderen war gute Verpflegung in Alterswohnheimen oder Krankenhäusern ein Ziel, wo wir gerade im karitativen Bereich viele Anknüpfungspunkte haben. Das Forum findet am 5. September in Köln statt.
Das Interview führte Bernd Hamer.