Die Ankunft der Koka-Bauern hatte sich schon seit Tagen angekündigt. Nun wollten die Morales-Anhänger ihren Marsch Richtung La Paz durch die westbolivianische Stadt Cochabamba fortsetzen, stießen dabei aber auf Polizeikräfte. Am Ende eines blutigen Freitags gibt es mindestens fünf Tote, über zwei Dutzend Verletzte und mehr als einhundert Festnahmen. Die überwiegend indigenen Demonstranten trugen die Särge der Opfer anschließend in einem bewegenden Trauermarsch durch die Stadt Sacaba. Dabei bezeichneten sie in Sprechchören die Übergangspräsidentin Jeanine Anez als Mörderin. Wie es zu dem Gewaltausbruch kam, darüber gibt es unterschiedliche Angaben. Die Polizei veröffentlichte auf Twitter Bilder von sichergestellten Gewehren und selbstgebastelten Granatwerfern. Zudem zeigten die Sicherheitskräfte Fotos von Einschusslöchern in Polizeiautos.
"Wir haben verschiedene subversive bewaffnete Gruppen identifiziert, die von Ausländern und Landsleuten aus Konfliktregionen zusammengestellt wurden", sagte Anez am Abend. Zugleich warf sie den Demonstranten vor, die Grundversorgung der Menschen zu blockieren, "um die Städte zu ersticken." Tatsächlich gab es in den letzten Tagen Versuche von Anschlägen auf Pipelines und die Basis-Infrastruktur. Die Demonstranten wiesen die Vorwürfe allerdings zurück. Sie erklärten, der Protestmarsch sei friedlich verlaufen, bis die Polizei eingegriffen habe.
"Massaker stoppen"
Ex-Präsident Evo Morales machte der neuen Regierung schwere Vorwürfe und forderte aus seinem Exil in Mexiko die Armee und die Polizei auf, "das Massaker zu stoppen". Die Uniform der Institutionen des Vaterlandes dürfte nicht vom "Blut unseres Volkes" befleckt werden, schrieb Morales auf Twitter.
Scharfe Kritik gab es auch von der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), die den Sicherheitskräften die Anwendung unverhältnismäßiger Gewalt vorwarf. Schusswaffen dürften bei der der Kontrolle von sozialen Protesten nicht zum Einsatz kommen. Der Staat habe die Verpflichtung, das Leben und die körperliche Unversehrtheit derjenigen zu schützen, die friedlich demonstrieren.
Erste Gespräche?
Zuvor hatte das Portal Infobae berichtet, Regierung und Opposition hätten sich zu ersten Gesprächen über die Lage zusammengefunden. Das Portal veröffentlichte ein exklusives Foto, das prominente Vertreter der sozialistischen Regierungspartei MAS, der Übergangsregierung und der bisherigen Opposition zeigte. Die katholische Kirche sowie Vertreter der Europäischen Union sollen dabei als Vermittler gedient haben. Die UN will einen Sondervermittler entsenden. Nach Informationen der Tageszeitung "La Razon" bat OAS-Generalsekretär Luis Almargo die Bolivianische Bischofskonferenz, die Konfliktparteien zu den Gesprächen einzuladen.
Derweil muss sich die Übergangspräsidentin auch für Tweets aus der Vergangenheit rechtfertigen, in denen sie sich despektierlich über die indigene Kultur äußerte. Anez warf dagegen ihrem Amtsvorgänger Morales vor, teilweise gefälschte Botschaften von ihr zu verbreiten und einen digitalen Krieg anzuzetteln.
Im mexikanischen Exil
Bolivien wird seit der Präsidentschaftswahl am 20. Oktober von heftigen Unruhen erschüttert. Die Opposition wirft Morales Wahlbetrug vor, Morales bestand auf einem Sieg im ersten Durchgang. Vertreter der Zivilgesellschaft, von Menschenrechtsorganisationen und der Kirche hatten von Hinweisen auf Wahlbetrug gesprochen, denen es nachzugehen gelte. Eine OAS-Kommission bestätigte diese Einschätzung. Darauf trat Morales zurück. Inzwischen spricht er von einem Putsch der Bürger gegen seine Präsidentschaft und befindet sich im Exil in Mexiko.