Noch einen Tag vor seinem Rücktritt hoffte Boliviens Ex-Präsident Evo Morales auf Beistand aus dem Vatikan. Als die Lage nach den Wahlbetrugsvorwürfen eskalierte, rief er alle politischen Parteien an einen Tisch. Und appellierte: "Ich rufe den Papst, die verschiedenen Kirchen und die internationalen Organisationen auf, uns zu begleiten."
Doch der Papst rief am Sonntag in Rom die Bolivianer auf, ohne Vorbedingungen die Ergebnisse der Wahlüberprüfung abzuwarten - womit er sich faktisch von Wahlfälscher Morales distanzierte.
Morales nutzte Papstbesuche gegen kritisch eingestellte Ortskirche
Das Verhältnis der ersten frei gewählten indigenen Präsidenten Boliviens und des ersten Papstes aus Lateinamerika war stets ein Besonderes. Morales nannte den Papst seinen "Bruder". Und Franziskus lud den Bolivianer mehrere Male in den Vatikan ein, wo er als Wortführer linker "Volksbewegungen" auftrat. Morales wertete das als Zustimmung zu seiner Politik und seiner Person. Und er nutzte die vermeintliche Zuneigung des Papstes innenpolitisch. Vor allem gegen die ihm gegenüber kritisch eingestellte Ortskirche.
Die bolivianische Bischofskonferenz warnte seit Monaten vor dem drohenden Unheil. Sie kritisierte das Wahlgericht, das Morales trotz des verlorenen Referendums und der in der Verfassung festgeschriebenen Amtszeitbegrenzung als Kandidaten zur dritten Wiederwahl durchsetzte. "Mit dieser Entscheidung hat das Gericht nicht als unabhängige Gewalt agiert", hieß es im Dezember in einer Stellungnahme der Bischofskonferenz. Die Demokratie im Land sei in Gefahr.
Stress zwischen Bischofskonferenz und Kardinal Ticona Porco
Morales sah es auch als Zeichen der Unterstützung des Vatikan, dass Franziskus im Sommer 2018 den ehemaligen Weihbischof von Potosi, Toribio Ticona Porco, zum Kardinal ernannte. Ticona Porco nannte Morales einen "guten Freund". Doch als sich der neue Kardinal öffentlich anders äußerte als die Bischofskonferenz, sah diese sich gezwungen, eine Erklärung zu verbreiten: "Die Bolivianische Bischofskonferenz und ihre gewählten Autoritäten wie der Vorsitzende, der Vizevorsitzende, der Generalsekretär und der Ständige Rat sind die offizielle Stimme der katholischen Kirche in Bolivien", hieß es in dem Schreiben. Der Kardinal sei als emeritierter Bischof Mitglied der Bischofskonferenz und habe dort einen entsprechenden Status.
Morales, der Kritik an seiner Person gerne mit einem Rassismusvorwurf kontert, nutzte den sichtbaren Riss innerhalb der Bischofskonferenz, um sich auf die Seite des indigenen Kardinals zu stellen: "Respekt, Zuneigung und Bewunderung für meinen Bruder Toribio Ticona, Kardinal von Bolivien. Kraft! Die Bischöfe und Katholiken der Basis, die die Armen verteidigen und mit ihnen arbeiten, sind mit Dir."
Seit Präsidentschaftswahl Unruhen im Land
Für Morales stellte sich die Sache so dar: Der Papst und der Kardinal, der sogar Wahlkampf mit Morales machte, standen auf seiner Seite, die Bischöfe waren die Gegner. Noch am Sonntag hatte der Bischof von Potosi, Ricardo Centellas Guzman, in einem offenen Brief an Morales den Rücktritt des sozialistischen Staatschefs gefordert.
Auch hier fuhren Bischofskonferenz und Kardinal eine unterschiedliche Linie: Noch eine Woche zuvor hatte Ticona Porco dem konservativen Herausforderer Carlos Mesa vorgeworfen, für die Gewalt im Land verantwortlich zu sein, weil er unhaltbare Vorwürfe gegen Morales erhebe. Da waren die Ergebnisse der Untersuchung der OAS-Kommission noch nicht bekannt, die gravierende Mängel bei der Auszählung feststellte und eine Neuwahl empfahl. Seitdem schweigt der Kardinal.
Bolivien wird seit der Präsidentschaftswahl am 20. Oktober von heftigen Unruhen erschüttert. Die Opposition wirft Morales Wahlbetrug vor. Auch Vertreter der Zivilgesellschaft, von Menschenrechtsorganisationen und der Kirche sprachen von Hinweisen auf Wahlbetrug. Eine OAS-Kommission bestätigte diese Einschätzung. Darauf trat Morales zurück und kündigte Neuwahlen an. Er sprach von einem "bürgerlichen Putschversuch" und floh nach Mexiko ins Asyl.
Von Tobias Käufer