DOMRADIO.DE: Warum sind denn die Heiligen Cassius und Florentius für Bonn so wichtig?
Wolfgang Picken (Stadtdechant von Bonn): Das sind die Stadtpatrone. So wie wir in dieser Woche den heiligen Gereon in Köln gefeiert haben, gehörten die beiden zu den thebäischen Legionären und haben hier ganz offensichtlich, weil sie den Befehl des Kaisers als Soldaten nicht ausgeführt haben, im Bewusstsein ihres christlichen Glaubens den Märtyrertod sterben müssen. Seit dem vierten Jahrhundert werden sie hier in Bonn verehrt.
Die Münsterbasilika ist eigentlich ihre Grabeskirche und erhebt sich über den Gebeinen der Beiden. Sie fanden auch über das Mittelalter und die Neuzeit so große Verehrung, dass sie dann zu Stadtpatronen erhoben wurden. Deshalb besitzen sie für die Stadt eine ganz besondere Bedeutung.
DOMRADIO.DE: Nun ist auch das Bonner Münster fertig renoviert und Sie werden die Festwoche der Stadtpatrone mit dem Motto "Zeichen setzen" beginnen. Was steckt hinter diesem Motto?
Picken: Als wir uns das Motto ausgedacht haben – vor dem "Zeichen setzen" steht noch der Satz "Ich will Frieden" –, wollten wir eigentlich auf die Krise in der Ukraine und den dort schon lange anhaltenden Krieg Bezug nehmen; was ja irgendwie naheliegt. Die beiden Stadtpatrone sind Soldaten und sie entziehen sich dieser Logik von Macht und Gegenmacht, Gewalt und Gegengewalt.
Von daher schien es uns sinnvoll, in diese fast schon spürbare Resignation, dass dieser Krieg in der Ukraine zum Alltag gehört, ein Zeichen zu setzen und die Menschen aufzufordern, dass sie sich ganz bewusst in dieser Hoffnung festmachen, dass Frieden möglich ist, wenn wir uns an Christus orientieren.
Dass das jetzt so eine tragische zusätzliche Aktualität erhält durch den Krieg, den es in Israel und im Gazastreifen gibt, und die brutalen Szenen, die wir dort haben verfolgen müssen, das wussten wir nicht. Dieses "Zeichen setzen", nämlich einen Stein in die Vierung der Münsterkirche zu legen, wird damit nicht nur ein Zeichen für den Friedenswillen gegen alle Resignation sein, sondern auch ein Ausdruck der Solidarität mit dem jüdischen Volk, das ja nicht nur in Israel, sondern an vielen anderen Stellen der Welt angegriffen und seine Vernichtung versucht wird.
Deshalb ist das ganz besonders dringend geboten, dass wir Zeichen setzen gegen eine solche Form von Antisemitismus. Wobei mir das schon zu harmlos klingt. Das ist eigentlich fast der Versuch eines zweiten Holocaust.
DOMRADIO.DE: Sie haben es gerade schon angesprochen: Alle Besucher sind dazu aufgerufen, einen Stein mitzubringen und den im vorderen Teil der Basilika abzulegen. Was genau soll daraus entstehen?
Picken: Die ganze Festwoche über ist das das beherrschende Symbol. Es ist die Einladung an alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt und an alle, die das Münster besuchen, diesen Stein niederzulegen. Zum einen soll es Ausdruck dafür sein, dass uns ein schwerer Stein auf der Seele, auf dem Herzen, auf dem Magen liegt, weil wir mit diesen politischen Dingen, die wir beobachten, nur schlecht umgehen können. Wir fühlen uns weitgehend machtlos.
Auf der anderen Seite sind die Steine ja im Judentum auch Ausdruck des Gedächtnisses an Tote. Man legt Steine auf Grabsteine. Von daher wollen wir auch für das Gedächtnis an die vielen, die in den Kriegen ihr Leben verlieren, sowohl unter Soldaten als auch unter Zivilisten, ein Zeichen setzen. Und dann gucken wir einfach mal, ob das ein großer Steinberg wird. Das wäre natürlich schön, wenn viele sich dieser Möglichkeit anschließen.
Eigentlich sollte dann dieses Symbol aufgetürmter Steine in der Vierung des Bonner Münsters mit Blick auf den Sarkophag und das Hochgrab der Stadtpatrone aus sich heraus sprechen.
DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich von der Festwoche sonst noch?
Picken: Wir haben mit der Festwoche ja eine gute Tradition und auch Erfahrung. Wir laden die Gläubigen ein, nicht nur die drei Werktagsgottesdienste aufzusuchen und mit uns zu feiern, sondern wir haben hier wie jedes Jahr einen geistlichen Weg gestaltet. Das heißt, man kann sich in regelmäßigen Abständen – alle halbe Stunde – von einem Seelsorger durch die Basilika führen lassen und ein Stück auch dieser Sehnsucht nach Frieden nachgehen.
Es wird eine Verknüpfung von geistlichen Impulsen und von Einbindungen in diesen wunderbaren Kirchenraum und den Kreuzgang sein, sodass man eben nicht nur ein Zeichen des Friedens setzt, sondern in einer halben Stunde eines geistlichen Weges vielleicht auch noch mal seine Sehnsucht nach Frieden und seine Verbindung zu Gott intensiviert. Damit Frieden nicht nur Worte werden, sondern auch erfahrbare Realitäten.
Ich glaube, je näher wir Menschen uns Gott annähern, umso mehr werden wir Frieden finden. Das gilt für den Einzelnen. Aber das gilt natürlich auch als Botschaft für die Welt, die unter Krieg und Hass leidet.
Das Interview führte Tim Helssen.