DOMRADIO.DE: Die Mission der Weisen aus dem Morgenland war nicht ohne Gefahr. Inwiefern mussten sie mutig sein?
Prof. Manfred Becker-Huberti (Theologe und Brauchtumsforscher): Zunächst einmal sind diese Weisen keine Juden, sondern sie gehören einer anderen Religion an, bei der der Sternenglaube eine Rolle spielt. Das ist eine Sichtweise der Welt zur religiösen Erkenntnis, die die Juden und die Christen abgelehnt haben, aber für die Heiden als passabel ansahen. "Magoi" wurden sie genannt, Magier. Das kann Zauberer sein, das kann Strenggläubiger sein – zur Zeit Jesu eher Sternengläubige. Und das Fantastische an ihnen ist, dass sie einen Stern sehen oder das, was sie für einen Stern halten, und ihn als ein Zeichen dafür deuten, dass in Israel ein neuer König geboren wird. Und diesem Stern folgen Sie. Das ist ein für mich sehr interessantes Bild. Es erlaubt die Rückfrage: Welchem Stern folgen wir? Ich, Sie, wir alle, wir haben auch Ideen, wir haben auch Vorstellungen – machen wir uns dafür auf den Weg, so wie die drei das getan haben?
Sie ziehen nach Jerusalem und versuchen dort den König am Königssitz zu finden. Der Herrscher fühlt sich natürlich in Gefahr und versucht die drei zu überzeugen, dass sie ihm Bescheid geben, wenn sie diesen neugeborenen König finden. Doch die drei ahnen natürlich, dass Herodes seinen möglichen Nachfolger um die Ecke zu bringen möchte, und deshalb verschwinden sie nach Bethlehem. Der Stern, der bisher nur fest am Himmel gestanden hat, zieht nun vor ihnen her und bleibt über dem Stall in Bethlehem stehen. Diese drei übergeben dann Geschenke, die symbolischer Natur sind. Gold gehört dem Herrn der Welt. Weihrauch gehört Gott, der über der Welt steht. Und die Myrrhe gehört einem, der dem Tod geweiht ist, der sterben wird. Diese drei symbolischen Geschenke übergeben sie ihm.
Es gibt aber interessanterweise einen vierten der Könige – zumindest in der Legende. In einer alten russischen Legende wird erzählt, dass die drei Könige auch durch das Land eines kleinen Königs gezogen sind. Der war nicht so reich und mächtig wie die drei, aber er wäre gerne mit Ihnen gezogen. Als die drei Könige dann bei ihm vorbeikamen, bat er sie doch etwas langsamer weiterzuziehen, damit er rasch seine Sachen zusammenpacken kann, um mitzukommen. Als er dann seine Sachen gepackt hatte, waren die drei aber schon über alle Berge, und er versuchte sie dann einzuholen. Das gelang ihm nicht, stattdessen stieß er auf ein Problem nach dem anderen – Menschen, die der Hilfe bedurften.
Und er hat Ihnen geholfen. Er hat seine Diamanten, die er dem neugeborenen König der Juden schenken wollte, eingesetzt, um den Leuten Gesundheit und Freiheit zu verschaffen und sie aus der Knechtschaft zu erlösen. Bis zum Schluss, wo er nichts mehr hatte und auf einen traf, der gerade aus seiner Familie gerissen wurde, um als Galeerensklave verwendet zu werden, weil er Schulden gemacht hatte, die er nicht zurückzahlen konnte. Weil der König ihn nicht mit Geld und Diamanten auslösen konnte, ist er für diesen Menschen auf die Galeere gegangen und hat jahrzehntelang als Galeerensklave gedient. Er hat gerudert, bis er nicht mehr konnte, und man ihn an Land setzte und zum Verhungern dort sitzen ließ.
Er hat sein Schicksal angepackt und sah, dass es eine Bewegung von Menschen zu einer bestimmten Stadt hin gab. Er wusste nicht welche Stadt das war, er wusste nicht, wohin die Leute gingen. Er zog einfach mit und landete an einer Stelle, an der drei Kreuze standen, und er setzte sich unter das mittlere Kreuz. Und oben an dem Kreuz hing einer, der ihm merkwürdig bekannt vorkam, bis ihm auffiel, das war der, den er als Kind hatte aufsuchen wollen, der hing jetzt dort oben am Kreuz. Und der König öffnete seine Hände, um ihm zu zeigen: Schau, Ich hab nichts mehr, ich habe alles unterwegs verbraucht. Ich hab dich überall gesucht und ich habe dich nirgendwo gefunden. Da tropfte ihm von oben das Blut in die Hände und der oben am Kreuz sagte ihm: "Du hast mich ununterbrochen gefunden. Ich bin immer bei dir in der Nähe gewesen und du bist immer derjenige gewesen, der mir geholfen hat." In dem Augenblick trat bei beiden gleichzeitig der Tod ein.
Diese kleine russische Legende ist eine Legende die deshalb interessant ist, weil sie die Perspektive von uns selbst aufnimmt. Die Frage: Was hätten wir denn getan? Wären wir auch ein vierter König geworden? Wären wir ihm auch nachgegangen? Hätten wir in denen, die im Elend waren, auch Christus gesehen und geholfen? Wie ist das mit dem Mut, den man dem Fremden gegenüber aufbringt, das uns eigentlich Angst macht? Und genau das ist das, was die drei Könige und den vierten König auszeichnet: Sie gehen ein Risiko ein und sind bereit, für die Sache, die übernatürlich ist, mehr als das Normale zu tun und sich zu engagieren.
DOMRADIO.DE: Diese ganzen Erzählungen um die Heiligen Drei Könige und auch um den vierten König, sind alle sehr bildstark. Aus welcher Bilderwelt kommt diese gleichnishafte Erzählung?
Becker-Huberti: Aus einer Welt, die mit Allegorien und Symbolen lebte, die nicht unsere Welt ist. Das ist keine digitale Welt, sondern eine, die das Geheimnis noch kennt und die das Geheimnis zu umschreiben versucht. Und das tut sie eben in Bildern und in bildhaften Handlungen. Das ist etwas, was man erst wieder verstehen muss, weil wir es uns abgewöhnt haben, so zu denken. Aber wenn wir wieder so denken lernen, entdecken wir unter den Oberflächen, über die wir sonst einfach nur hinweggehen, Sinnhaftes und Wesentliches. Diese Geschichten können das in Bilder packen, was man nicht mit Eins und Null ausdrücken kann.
Das Interview führte Christoph Hartmann.