Breite Papstkritik mit Blick auf das nächste Konklave

Anforderungen an den Nachfolger

Papst Franziskus ist angeschlagen. Seit Monaten laboriert der 87-jährige an einer Infektion der Atemwege. Und nun wird abermals massive Kritik aus dem Kardinalskollegium laut. Der Autor bleibt anonym und nennt sich selbst "Demos II".

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Papst Franziskus sitzt in einem Stuhl bei seiner wöchentlichen Generalaudienz / © Andrew Medichini/AP (dpa)
Papst Franziskus sitzt in einem Stuhl bei seiner wöchentlichen Generalaudienz / © Andrew Medichini/AP ( dpa )

Unter dem Pseudonym "Demos II" hat ein namentlich nicht bekannter Kardinal einen Text verfasst, der es in sich hat. Ähnlich wie der vor zwei Jahren vom inzwischen verstorbenen Kardinal George Pell unter dem einfachen Namen "Demos" (Volk) verbreitete Text bietet das neue Elaborat eine Rundumkritik des zu Ende gehenden Pontifikats und skizziert die Anforderungen an den künftigen Papst.

Verbreitet wurde es von der konservativen Website "Nuova bussola quotidiana" (deutsch: Neuer Tages-Kompass). Im Vorspann wird dort erklärt, der Text sei "hauptsächlich von einem Kardinal verfasst, nachdem er die Vorschläge anderer Kardinäle und Bischöfezusammengetragen hatte." Die Ideengeber hätten es aber wegen der wenig toleranten Debattenkultur, die derzeit im Vatikan herrsche, vorgezogen, anonym zu bleiben.

Katholische Kirche erlaubt Segnung für homosexuelle Paare

Homosexuelle Paare können ab sofort auch in der katholischen Kirche gesegnet werden. Die vatikanische Glaubensbehörde veröffentlichte am Montag eine Grundsatzerklärung, wonach katholische Geistliche unverheiratete und homosexuelle Paare segnen dürfen. In dem Text mit dem Titel "Fiducia supplicans" (deutsch: Das flehende Vertrauen) wird betont, dass dabei eine Verwechslung mit einer Eheschließung ausgeschlossen werden muss. Auch darf ein Geistlicher den Segen nicht im Rahmen eines Gottesdienstes erteilen.

Ein Regenbogen leuchtet über dem Petersdom vor dem Beginn der wöchentlichen Generalaudienz von Papst Franziskus im Vatikan / © Gregorio Borgia (dpa)
Ein Regenbogen leuchtet über dem Petersdom vor dem Beginn der wöchentlichen Generalaudienz von Papst Franziskus im Vatikan / © Gregorio Borgia ( dpa )

Ein angeschlagener Franziskus

Das Timing für die Veröffentlichung von Demos II ist bemerkenswert. Es trifft auf einen seit fast vier Monaten gesundheitlich und auch kirchenpolitisch angeschlagenen Papst, der oft nicht mehr in der Lage ist, längere Reden oder Predigten vorzutragen. Politisch geschwächt ist er aus dem Segnungsstreit hervorgegangen, den sein engster theologischer Vertrauter, der Glaubenspräfekt Kardinal Victor Fernandez, kurz vor Weihnachten mit der Erklärung "Fiducia supplicans" losgetreten hat.

Franziskus sah sich gezwungen, dem fast einmütigen Aufstand der afrikanischen Bischofskonferenzen gegen die kirchliche Segnung für Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen nachzugeben und für Afrika eine "kulturelle Ausnahme" von der römischen Segnungs-Empfehlung einzuräumen. Hinzu kamen Verwerfungen in der päpstlichen Diplomatie, die nach unglücklichen Stellungnahmen zur Ukraine nun auch im Gaza-Krieg wenig überzeugend agierte.

Fordernder Gestus 

Der Tag der Wahl des Papstes, der angetreten war, die Kirche zu öffnen und ihr neuen Elan in der Verkündigung der christlichenBotschaft zu verschaffen, jährt sich am 13. März zum elften Mal. Für Kritiker des Pontifikats ein idealer Zeitpunkt, kritisch zurück- und mit forderndem Gestus vorauszublicken.

Inhaltlich unterscheidet sich der Text von "Demos II" in vielen Punkten von Kardinal Pells Text. Während der konservative Australier und Finanzfachmann von seiner rund sieben Druckseiten langen Analyse der kirchlichen Lage mehr als ein Viertel den finanziellen Problemen und den internen rechtlichen Unstimmigkeiten im Vatikan widmete, ist der neue Text in seiner Kritik wesentlich breiter, theologisch fundierter und grundsätzlicher.

Verwirrung der Gläubigen

Das offenbar zu Ende gehende Pontifikat beurteilt er mit den Worten: "Ein autokratischer, zuweilen nachtragend wirkender Regierungsstil; eine Nachlässigkeit in Fragen des Rechtes; eine Intoleranz selbst gegenüber respektvoll geäußerten Differenzen, und – was am schwersten wiegt – ein Muster der Mehrdeutigkeit in Fragen des Glaubens und der Moral, was zu Verwirrung unter den Gläubigen führt. Verwirrung wiederum befördert Spaltung und Konflikte. (...) Das Ergebnis ist eine Kirche, die heute stärker gespalten ist, als sie es in ihrer jüngsten Geschichte jemals war." 

Die Aufgabe des kommenden Pontifikats bestehe darin, "jene Wahrheiten zurückzugewinnen und wiederherzustellen, die unter vielen Christen langsam verdunkelt wurden oder verloren gegangen sind."

Es folgen sieben Punkte, die mit ihrer scharfen Kritik des gegenwärtigen Pontifikats gewissermaßen "ex negativo" das Anforderungsprofil für den künftigen Papst zeichnen. Falls die Angabe stimmt, dass mehrere Kardinäle dazu beigetragen haben, lassen sich einzelne Autoren einigen Punkten mit einer gewissen Plausibilität zuordnen.

Klingt nach Kardinal Müller 

Der erste lautet im Kern: "Der Papst ist ein Nachfolger Petri und der Garant der Einheit der Kirche. Er ist jedoch kein Alleinherrscher. Er kann die Lehre der Kirche nicht verändern, und er darf die Ordnung der Kirche nicht beliebig neu erfinden oder verändern. Er leitet die Kirche in Kollegialität mit seinen bischöflichen Brüdern in den örtlichen Diözesen und das immer in treuer Kontinuität mit dem Wort Gottes und der Lehre der Kirche." 

Kardinal Gerhard Ludwig Müller während des Gottesdienstes im Petersdom am Patronatsfest Peter und Paul am 29. Juni 2022 im Vatikan / © Stefano Carofei/Romano Siciliani/KNA (KNA)
Kardinal Gerhard Ludwig Müller während des Gottesdienstes im Petersdom am Patronatsfest Peter und Paul am 29. Juni 2022 im Vatikan / © Stefano Carofei/Romano Siciliani/KNA ( KNA )

Das liest sich fast wortgleich wie einige Äußerungen des ehemaligen Glaubenspräfekten, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik am "Neo-Papismus" unter progressiven Vorzeichen geübt hatte. Allerdings zeigt die deutsche Version des Textes Schwächen in der Übersetzung, die erkennen lassen, dass der Deutsche wohl kaum der unmittelbare Autor ist.

"Die Kirche gehört Jesus Christus"

Das gilt auch für den zweiten Abschnitt, der sich gegen ein Missverständnis der Kirche als Demokratie wendet: "Ebenso wenig wiedie Kirche eine Autokratie ist, ist sie auch keine Demokratie. Die Kirche gehört Jesus Christus. Es ist Seine Kirche. Sie ist der mystische Leib Christi bestehend aus zahlreichen Gliedern. Wir haben nicht die Autorität, ihre Lehren so umzugestalten, dass sieangenehmer in diese Welt passen. Darüber hinaus ist der katholische Sensus Fidelium keine Sache von Meinungsumfragen und auch nicht die Ansicht einer getauften Mehrheit." Auch hier gibt es fast wörtliche Übereinstimmungen mit ähnlichen Äußerungen von Müller.

Stapel aus Euro-Münzen stehen vor einem Holzkreuz und spiegeln sich im dunklen Untergrund  / © Julia Steinbrecht (KNA)
Stapel aus Euro-Münzen stehen vor einem Holzkreuz und spiegeln sich im dunklen Untergrund / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Klare Bekenntnisse und keine Mehrdeutigkeit

Der dritte Abschnitt argumentiert messerscharf und mit einem Schuss Polemik: "Mehrdeutigkeit entspricht weder dem Evangelium noch ist sie einladend. Sie nährt vielmehr Zweifel und schismatische Impulse. Die Kirche ist nicht nur eine Gemeinschaft des Wortes und der Sakramente, sondern auch des klaren Bekenntnisses. Das, woran wir glauben, hilft, uns zu bestimmen und zu erhalten. Lehrfragen sind somit keine Bürden, die von gefühllosen "Gesetzeshütern" auferlegt werden."

Möglich, dass sich hier Anregungen des früheren Liturgie-Präfekten Robert Sarah wiederfinden. Vernichtend darin das Urteil: "Das derzeitige Pontifikat hat sich von Beginn an der evangelisierenden Kraft und der intellektuellen Klarheit seiner unmittelbaren Vorgänger widersetzt."

Missachtung des kanonischen Rechts

Es folgt ein Teil, der offenbar von einem Kirchenrechtler inspiriert wurde. Dem Text fehlt an dieser Stelle aber die feine Ironie des US-amerikanischen Kardinals Raymond Leo Burke, so dass eher jemand wie der italienische Kardinal Mauro Piacenza in Frage kommt, den Papst Franziskus gleich zu Beginn seines Pontifikats vom Präfekten der Kleruskongregation zum Groß-Pönitentiar "wegbefördert" hatte. In dem Textabschnitt heißt es kurz und bündig: "Ebenso wie die Mehrdeutigkeit der Lehre unterminiert die Missachtung des kanonischen Rechts und des ordnungsgemäßen kanonischen Verfahrens das Vertrauen in die Klarheit der kirchlichen Mission."

Homosexuelles Paar in einer Kirche / © Harald Oppitz (KNA)
Homosexuelles Paar in einer Kirche / © Harald Oppitz ( KNA )

Abkehr von einer überzeugenden 'Theologie des Leibes'

Der fünfte Teil handelt vom Wesen der Kirche und von anthropologisch-sexualethischen Grundfragen. Manches in der Diktion erinnert hier an Kardinal Marc Ouellet, etwa wenn es heißt: "Die Kirche ist die Braut Christi: Ihre Natur ist personal, übernatürlich und vertraut, sie ist nicht bloß eine Institution. Sie lässt sich niemals auf ein System der flexiblen Ethik oder der soziologischen Analyse reduzieren und so umgestalten, dass sie den Instinkten und Begierden (und sexuellen Verwirrungen) eines bestimmten Zeitalters entspricht. Einer der wesentlichen Mängel des gegenwärtigen Pontifikats ist die Abkehr von einer überzeugenden ,Theologie des Leibes" und das Fehlen einer überzeugenden christlichen Anthropologie."

Im sechsten Abschnitt spricht der Autor überraschend von einer Krise der Kirche "in Italien und ganz Europa", das lässt möglicherweise auf einen Italiener schließen – obwohl der gesamte Duktus des Textes und einige sprachliche Feinheiten eher auf einen Autor englischer Muttersprache verweisen.

Stühle mit Pileolus / © Wolfgang Radtke (KNA)
Stühle mit Pileolus / © Wolfgang Radtke ( KNA )

Innervatikanischer Reformbedarf

Deutlich weniger Raum als noch im Pell-Papier von 2022 nimmt der innervatikanische Reformbedarf ein. Dazu heißt es eher knapp: "Der Vatikan selbst benötigt dringend eine Erneuerung seiner Moral, eine Reinigung seiner Institutionen, Verfahrensweisen und seines Personals sowie eine gründliche Reform seiner Finanzen, um sich auf eine herausfordernde Zukunft vorzubereiten."

Der letzte Abschnitt des Textes widmet sich dem Kardinalskollegium. Da Franziskus es seit Jahren nicht mehr zu Beratungen zusammenrief, sollte es sich "eigeninitiativ darum bemühen, sich gegenseitig kennenzulernen, um seine jeweils besondere Sichtweise auf die Kirche, die Situationen der einzelnen Ortskirchen und ihre Persönlichkeiten besser zu verstehen – was ihre Überlegungen hinsichtlich des nächsten Papstes prägen wird."

Treffen der Kardinäle? 

Ob das anonyme Papier Wirkung zeigt, wird sich am ehesten daran ablesen lassen, ob es in nächster Zeit vermehrt Treffen von Kardinälen in unterschiedlichen Konstellationen gibt. Allerdings dürften diese in der Regel diskret und fern der Medien veranstaltet werden; wenig wahrscheinlich ist es, dass der dem Papst loyal verbundene Kardinaldekan Giovanni Battista Re aus eigenem Antrieb solche Treffen einberufen wird, solange Franziskus lebt und regiert.

Wichtige Stationen aus zehn Jahren Papst Franziskus

Franziskus ist der erste Papst der Kirchengeschichte aus Lateinamerika. Seine Wahl löste vor zehn Jahren weltweit einen regelrechten Papst-Hype aus. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet die zentralen Stationen seiner bisherigen Amtszeit nach:

2013

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA