DOMRADIO.DE: Sie widmen sich im Brucker-Jubiläumsjahr 2024 zusammen mit Ihrem Kollegen Ulrich Flad beim Konzert in Sankt Aposteln vor allem der geistlichen Musik Anton Bruckners und auch Werken von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Franz Biebl, Enrique Crespo und Gustav Mahler für Posaunen und/oder Chor. "Bruckners Ewigkeit" ist die Überschrift. Warum denn diese Kombination aus Chor und Posaunen und vor allem dieser Komponist?
Prof. Christopher Brauckmann (Hochschule für Musik und Tanz): Ich glaube, wer sich ein bisschen mit der Musik und der damaligen Welt Bruckners insgesamt auskennt, dem erscheinen diese Begriffe "Bruckner" und "Ewigkeit" gar nicht so fern voneinander.
Wir müssen uns in diese Lebenswelten hineinversetzen, in denen Bruckner gewirkt hat. Wir denken an den Dom zu Linz, wir denken an diese große Basilika Sankt Florian. Und dann diese großflächige Musik, sicherlich auch die große Orchestermusik, über die ja schon oft gesagt wird, sie hätte etwas Transzendentes, wenn man sich dem öffnen kann.
Da prallen einfach zwei Begriffe aufeinander, die wirklich etwas in Entfaltung bringen, was den Hörer so ganz umfassen kann. Und dem spürt unser Konzert nach; mit ganz prominenten Werken wie der Chormotette "Ave Maria". Die ist, glaube ich, sicherlich das bekannteste Werk von Bruckner. Vielleicht konkurriert es mit dem "Locus iste" aber die beiden Werke sind auf jeden Fall dabei.
DOMRADIO.DE: Der Kammerchor der Hochschule für Musik und Tanz singt bei dem Konzert die Chorwerke. Sind in dem Chor das alles Sängerinnen und Sänger mit dem Hauptfach Gesang oder wie muss man sich diesen Chor vorstellen?
Brauckmann: Hochschulchöre sind immer sehr dynamische Gruppen und von Semester zu Semester gibt es natürlich immer wieder studienbedingt viel Fluktuation.
Aber grundsätzlich kann man sagen, dass der Kammerchor der Hochschule ein Ensemble mit ungefähr bis zu 30 Sängern ist, also im Gegensatz zum Hochschulchor, der größer angelegt ist, sich auf jeden Fall der "filigranen" Musik, der Alten Musik vor Bach, vor allen Dingen auch der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts widmet. Und der Chor besteht personell aus einer Mischung von Leuten.
Er wird in diesem Semester sicherlich von einigen Gesangsstudierenden getragen, also Leuten, die Hauptfach Gesang studieren und sich mit ihrer Stimme hauptsächlich im Studium beschäftigen, aber auch aus Lehramtsstudierenden, die teilweise ganz andere Hauptfächer haben. Und darüber hinaus sind auch noch Musikpädagogikstudierende, Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen dabei. Also der Chor ist bunt durchmischt, wie es die Ensembles der Hochschule in der Regel insgesamt sind.
DOMRADIO.DE: Und da sind ja naturgemäß eher jüngere Sängerinnen und Sänger mit dabei. Und die singen jetzt Werke mit einem rein geistlichen Text. Spielt das dann bei der Einstudierung vielleicht eine besondere Rolle, dass die Texte eben nicht weltlich sind, sondern geistlich?
Brauckmann: Ich stelle schon fest, dass viele junge Menschen, die an die Hochschule kommen und Gesangserfahrung haben und das sind natürlich die, die auch für den Kammerchor prädestiniert sind, ihre Erfahrung oft schon noch im kirchlichen Kontext gemacht haben.
Also sei es im kirchlichen Kinderchor, im Jugendchor, in einer Jugendkantorei, im Domchor und so weiter. Da sind längst Erfahrungswerte auch mit geistlicher Literatur gewesen, und das ist für die jungen Leute dann nichts Neues. Das betrifft den Großteil. Die kennen dann auch so "Evergreens" wie das "Ave Maria" oder "Locus iste" von Anton Bruckner.
Es gibt dann aber doch einen gehörigen Teil der Leute im Chor, die diese Stücke noch nie gesungen haben. Und das ist schon was Spannendes, mit Studierenden zu arbeiten, die die Stücke sehr gut oder gar nicht kennen. Das macht natürlich viel Freude, weil ich selber dadurch die Stücke auch noch einmal neu entdecken kann.
DOMRADIO.DE: Wir feiern ja den 200. Geburtstag von Anton Bruckner in diesem Jahr. Sie haben es eben schon auch angedeutet: Er war tiefreligiös und man kann ohne Weiteres sagen, dass seine geistlichen Chorwerke im Schnitt nicht leicht zu singen sind, sehr expressiv sind. Wie studiert man denn dann solche Werke mit so einem Chor ein, wie bringt man diese doch sehr expressive Tonsprache den Menschen von heute näher?
Brauckmann: Der Einstudierungsprozess läuft grundsätzlich erst einmal so wie bei vielen anderen Stilistiken auch. Man nähert sich den Tönen an, das ist dann hoffentlich schnell nach einer gewissen Zeit erreicht und dann geht man in die gemeinsame Interpretation.
Ich nehme natürlich das auf, was der Chor mir anbietet und versuche aus dem Klang-Material, das da ist, etwas zu formen, was dem Stilempfinden, das wir heutzutage für Bruckner haben, entsprechend nahe kommt. Ich kann von jungen Stimmen, die teilweise noch nicht zu Ende ausgebildet sind, wenn jemand mit 19 oder 20 in den Kammerchor kommt, nicht einen profunden, ich nenne es jetzt mal "Erwachsenenklang" erwarten, wie er in einem Rundfunkchor selbstverständlich ist.
Sondern das Klangbild ist etwas schlanker, es ist etwas frischer, es ist etwas heller und damit grundsätzlich kann ich umgehen und versuchen es einzufärben – natürlich in einen Stil, damit Bruckner nicht nach Haydn klingt. Aber diese Arbeit ist immer sehr flexibel und man stellt sich Woche für Woche auf eine neue Gegebenheit ein.
DOMRADIO.DE: Sie singen auch ein Werk von Gustav Mahler. Seine Lebenszeit überschneidet sich mit Anton Bruckner etwas, er hat auch eine sehr moderne Tonsprache. Was für Musik gibt es in der Motette "Ich bin der Welt abhanden gekommen"? Das ist ja eine Bearbeitung für 16 Stimmen. Was für Musik ist das?
Brauckmann: Das ist sehr spannende Musik! Im Original ist es ein Solo-Lied für eine Singstimme und Instrumente. Clytus Gottwald, der diese sechzehnstimmige Bearbeitung erstellt hat, ist es in einer großen Auffächerung der immer textierten Vokalstimmen gut gelungen, eine ganz eigene Klanglichkeit zu erreichen, die trotzdem verwandt ist mit dem instrumentalen Original. Da singt keine Stimme auf U oder A, sondern es ist immer auf dem vorhandenen Textmaterial des Solo-Liedes im Original.
Das ist vielleicht schon ein bisschen der Vorgriff auf die Stücke, die der Chor im Konzert mit den Posaunen musiziert. Die Stimmen erklingen als vokale Instrumente genauso wie die Posaune ja auch als instrumentales Vokalinstrument in diesem Konzert erklingen soll. Wir vermischen da die Welten und ich hoffe, dass es gelingt, dass man am Ende gar nicht mehr so richtig unterscheiden kann: Was klingt denn da jetzt, ein Instrument oder eine Stimme?
Denn das gehört zu diesem vielleicht etwas übermenschlichen Erleben dazu, dass man sich komplett entrücken lässt von der Musik und von den Tönen.
DOMRADIO.DE: Und am Schluss wird ja auch ein besonderes Stück aufgeführt, nämlich Sie gehen musikalisch in die Renaissance zurück, zu Palestrina, der als das Urbild des katholischen Komponisten gilt. Eine "Nunc dimittis"-Vertonung wird gesungen und da singt der Chor nicht a cappella, was bei Palestrina eigentlich meistens üblich ist, sondern beide Ensembles, Chor und die Posaunen, musizieren zusammen. Was für ein Klangerlebnis wird da auf die Zuhörerinnen und Zuhörer zukommen?
Brauckmann: Palestrina bringt diese beiden Welten des Vokalen und des Instrumentalen schön zusammen. Wir haben ein dreichöriges "Nunc dimittis" ausgewählt, also zwölf verschiedene Stimmen, von denen aber zwei dieser drei Chöre so angelegt sind, dass sie gar keine Diskant- oder Sopranstimme in sich tragen. Schon beim Notenlesen fällt auf, dass wir zwei Chöre haben, die eben mit einer Altstimme, dann zwei Tenorstimmen und einer Bassstimme besetzt sind.
Das ist natürlich die traditionelle Disposition der Posaunen und der Posaunenchöre. Da war es sehr naheliegend, sich vielleicht ein bisschen eher dem venezianischen Prinzip der Renaissance anzunähern, also der Mehrchörigkeit in Venedig, bei der auch traditionellerweise Chor- und Orchesterstimmen, beziehungsweise Instrumental- und Vokalstimmen gleichwertig waren und gemischt erklungen sind.
DOMRADIO.DE: Die Zuhörerinnen und Zuhörer hören dann Werke von Bruckner, von Franz Biebl, von Gustav Mahler, von Enrique Crespo und am Schluss der besagte Palestrina. Was sollen die denn von diesem besonderen Konzert mitnehmen?
Brauckmann: Ach, man soll jetzt nicht mit einem festen Vorsatz in dieses Konzert gehen, sondern vielleicht mit einer Offenheit, sich wirklich berühren und entrücken zu lassen.
Der Raum von Sankt Aposteln als große romanische Kirche bietet sich ja auch akustisch geradezu dafür an, dass man sich einfach hinsetzt, vielleicht ab und zu die Augen schließt und sich von den Klängen einnehmen und gefangennehmen lässt. Das wäre mein Wunsch oder meine Einladung an alle, die kommen.
Das Interview führte Mathias Peter.
Info: Das Konzert "Bruckners Ewigkeit – a capella e per tromboni" ist am Mittwoch ab 20:15 Uhr in der Kölner Innenstadtkirche St Aposteln am Neumarkt im Rahmen des Festivals "Romanischer Sommer".