DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie als Geistlicher die Rolle von künstlicher Intelligenz? Gibt es ethische Bedenken oder Herausforderungen?
Bruder Paulus Terwitte (Guardian des Münchener Kapuzinerklosters und im Vorstand der Franziskustreff-Stiftung): Es gibt bei der künstlichen Intelligenz Herausforderungen, wie bei allen Werkzeugen, die die Menschheit erfunden hat. Als das Messer erfunden wurde, hat es tolle Sachen hervorgebracht und war hilfreich. Es hat aber auch Menschen ermordet und zu Tode gebracht.
Alle Werkzeuge, die wir nutzen, haben immer zwei Seiten. Es kommt auf den Menschen an, wie er sie bedient, sie einsetzt und natürlich auch eingrenzt. Die großen Diskussionen um Google und Amazon und andere zeigen, dass immer noch ordnungspolitische und rechtliche Maßnahmen gesucht werden, damit das Geld nicht die Oberhand gewinnt.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass KI-Systeme in der Lage sein könnten, menschliche Intelligenz und Entscheidungsfindungen zu imitieren?
Bruder Paulus: Zu imitieren, das weiß ich nicht. Aber zumindest vorzudenken und viele Aspekte mit einzubeziehen, die man im normalen Nachdenken vielleicht nicht findet, zum Beispiel große Datenmassen zu verarbeiten, die man sonst vielleicht nicht verwerten könnte.
Es gibt Fernoperationen oder Planungen von medizinischen Maßnahmen. Es gibt auch Leute, die eine Smartwatch am Armgelenk haben, die so eingestellt ist, dass sie durch die Analyse von Schrittzahlen Schlaganfälle voraussagen kann.
DOMRADIO.DE: Jetzt suchen Sie Mitstreiter, die sich an einem Kompetenzzentrum KI beteiligen. Was planen Sie da?
Bruder Paulus: Ich glaube, es gibt schon seit dem Jahr 2020 eine KI-Strategie der Bundesregierung. Auch die UNESCO hat sich eingeschaltet und glaubt, dass man die Nachhaltigkeitsziele mit künstlicher Intelligenz besser erreichen kann. Ich möchte nicht, dass obdachlose und arme Menschen, darunter Kinder, hinten runterfallen.
Eine Vision könnte sein, dass sich Menschen zusammentun, denen soziales Engagement wichtig ist. Leute, die sich fragen, wie man Obdachlosigkeit und soziale Not mit künstlicher Intelligenz besser bekämpfen könnte, wenn wir es mit menschlicher Intelligenz schon nicht können?
DOMRADIO.DE: Haben Sie ein griffiges Beispiel, wie das funktionieren könnte?
Bruder Paulus: Man könnte zum Beispiel das Risiko von Obdachlosigkeit bei gefährdeten Personen besser voraussagen, wenn man Daten von Alter, Geschlecht, Einkommen und Wohnsituation zusammenbringt, wenn Gesundheitsdaten zusammenkommen und Menschen einfach besser gesehen werden können. Es könnten für Kinder angepasste Bildungspläne entwickelt werden, so habe ich gelesen.
Da niemand genau weiß, was künstliche Intelligenz genau vollbringen kann, muss ausprobiert werden. Das wird sicher ein Experimentallabor werden, wie es die großen Forscher der Vergangenheit auch gehabt haben. Man muss sich die Situation anschauen, um sagen zu können, was man wirklich tun kann.
Auch an die Arbeitsplatzvermittlung denke ich bei der künstlichen Intelligenz. Sie wird bei Einstellungsgesprächen heute auch schon genutzt. Warum sollen nicht Gespräche mit obdachlosen Menschen über ChatGPT noch mal neu betrachtet werden. Da ist mehr rauszuholen, so zeigen die ersten Beispiele, als Menschen oft sehen.
DOMRADIO.DE: Wie kann der Einsatz von KI-Technologien in der Armutsbekämpfung auch den Arbeitsmarkt beeinflussen? Haben Sie da eine Idee?
Bruder Paulus: Ich glaube, dass für obdachlose Menschen Arbeitsplätze gefunden werden können, wenn man dafür kreativer vorgeht. Wenn man die Analyse von Fähigkeiten, Erfahrungen und Interessen der Einzelnen und ihre Biografie zusammenbringt, kann man noch mal auf neue Ideen kommen.
Zum Beispiel wie Arbeitsplätze gestaltet werden können und wie man Menschen wieder neu motivieren kann, indem man die Motivationspunkte findet, die sie in ihrem Leben bisher vorangebracht haben.
Das muss bislang durch eine sehr aufwendige Biographiearbeit betrieben werden. Da könnte die KI helfen. Da gibt es natürlich Grenzen, weil der menschliche Kontakt - und das ist ganz wichtig - nicht darunter leiden darf.
Am Ende darf auch der Einzelne nicht Opfer von irgendwelchen technischen Analysen werden, sondern es bleibt wie in der Justiz und in der Theologie. Wir haben die heiligen Schriften, wir kennen das Wissen, aber es muss mit einem Herzen gefüllt werden, das die Werte mit im Blick hat und auch sagt, hier ist Stopp, hier muss noch mal neu nachgedacht werden. Ein Herz, das auch Richtungen vorgibt.
Das Interview führte Tobias Fricke.