Es ist Sonntagmorgen in der bulgarischen Kleinstadt Rakowski: Die Straßen sind leer - die beiden Kirchen am Ort sind voll. Sonnenstrahlen fallen durch die Glasfenster und scheinen einzelnen Gottesdienstbesuchern einen direkten Gruß des Himmels zu schicken. In den Bänken der Kirche "Erzengel Sankt Michael" knien ein paar Mädchen kichernd eng beieinander. Jetzt, kurz vor Ende des Gottesdienstes, kommt eine Ordensschwester zu ihrer Bankreihe. Sichtlich aufgeregt verlassen die Mädchen das Kirchenschiff.
Vorfreude auf Papstbesuch
Während die Erwachsenen oben den Gottesdienst mit einer Anbetung des Allerheiligsten beschließen, lernen die Kinder im Saal unter der Kirche für ihre Erstkommunion. Dass sie aufgeregt sind, erstaunt kaum. Denn kein Geringerer als Papst Franziskus wird ihnen am 6. Mai die erste heilige Kommunion spenden - vorausgesetzt, sie finden in der Kirche überhaupt Platz.
Denn die Organisatoren um die Pfarrer Rumen Stanev und Mladen Plachkov plagen große Sorgen. Ihre Kirche "The Most Holy Heart Of Jesus" (Heiligstes Herz Jesu Kirche) könnte zu klein sein für dieses einmalige Ereignis: Rund 250 Kommunionkinder aus ganz Bulgarien werden hier am ersten Montag im Mai zusammenkommen, um die Kommunion zu empfangen. Selbst wenn jedes Kind nur von seinen Eltern begleitet wird, sind schon 750 Plätze im Kirchenraum besetzt.
Weniger Plätze wegen Sicherheitsmaßnahmen
"Eigentlich ist das kein Problem", erklärt Pfarrer Mladen: "Normalerweise können gut 800 Gläubige am Gottesdienst teilnehmen." Doch das gilt nicht, wenn der Papst kommt. Bulgarische Sicherheitsbehörden wollen höchstens 650 Menschen den Zutritt zur Messe erlauben; sogar ein Umbau der Eingangstüren wird aus Sicherheitsgründen in Erwägung gezogen. Die größte Kirche Bulgariens ist zu klein für eine Erstkommunionfeier mit dem Papst.
Dass Franziskus die Katholiken in Bulgarien besuchen wird, ist für Pfarrer Mladen trotz allen Kopfzerbrechens ein wichtiges Zeichen: "Es zeigt uns, dass wir nicht verlassen sind." Denn dieser Eindruck könnte in Bulgarien durchaus entstehen. Weniger als ein Prozent der Bevölkerung ist katholisch, wobei sich die wenigen Gläubigen auch noch auf die römisch-katholische und die bulgarisch-katholische Kirche verteilen. Die Visite wird so zum Signal: "Schaut, Ihr seid nicht alleine: Ihr seid Teil von etwas Größerem."
"Mann des Friedens"
Das gibt auch den Jugendlichen beim Pfarreitreff mit den Franziskanerschwestern am Abend Hoffnung. Der 15-jährige Jivelin spürt, dass Kumpel von ihm wieder mehr Zugang zum Glauben finden: "Mich sprechen jetzt orthodoxe Freunde in der Schule an, die eigentlich nicht viel mit Kirche zu tun haben wollen. Auch sie sind interessiert an diesem weisen alten Mann." Viele sähen das katholische Oberhaupt als einen Mann des Friedens. "Ich hoffe, dass die Menschen durch sein Beispiel sich wieder mehr für das Gute einsetzen und sich um die sozial Schwachen kümmern", ergänzt Marianna.
Jugend verlässt Bulgarien
Gerade junge Menschen in Bulgarien hätten die Hoffnung in den Staat aufgegeben und wanderten aus. In anderen EU-Staaten seien die Chancen auf Arbeit viel größer. Rund Tausend Bulgaren verlassen jede Woche ihre Heimat. Doch die meisten Jugendlichen hier um Marianna und Jivelin wollen bleiben - und etwas verändern in ihrem Land. Auch dank des EU-Beitritts kommen zunehmend ausländische Studenten nach Bulgarien, "es geht alles vielleicht sehr langsam, aber positive Veränderungen sind doch erkennbar". Jivelin will später Lehrer oder Anwalt werden, um durch Ausbildung oder Gesetze zu den nötigen Veränderungen beizutragen. Rakowski wirkt in den Aussagen der Jugendlichen wie ein gallisches Dorf inmitten der bulgarischen Niedergeschlagenheit.
Rund 14.000 Katholiken leben in Rakowski, deutlich mehr als in vielen anderen Städten des Landes. In Zeiten des Kommunismus hat die Regierung hier westlich der zweitgrößten Stadt Plovdiv drei kleine Dörfer zu einer Gemeinde zusammen gezogen - und ihr den Namen des Atheisten und sozialistischen Revolutionärs Georgi Stojkow Rakowski gegeben. Noch heute ziert ein Gemälde des Politikers ein Hochhaus am Stadtrand. Aber auch das: Zwei Häuser weiter lächelt Papst Johannes Paul II. von der Fassade.
Wenige soziale Projekte
Maria Chepisheva, Leiterin der örtlichen Caritas-Station, fährt zwei junge Freiwillige über die holprigen Nebenstraßen der Stadt. Der Projektpartner des deutschen Osteuropahilfswerks Renovabis baut im Ort einen ambulanten Pflegedienst auf. Doch Tabletten bringen und Puls messen reichten nicht aus, betont die Caritas-Leiterin: "Dank unserer Freiwilligen können wir Zeit mit den alten Menschen verbringen, denn viele leben völlig alleine." Gerade die sozial Schwachen wie Behinderte und Gebrechliche erhalten vom Staat wenig Hilfen. Soziale Projekte gehören noch immer zur Ausnahme in dem Land. Früher habe laut Chepisheva die Familie vieles aufgefangen, "doch heute leben die Kinder oft im Ausland oder sind in die großen Städte gezogen".
Vorbereitungen für die Papstmesse
In der Provinzhauptstadt Plovdiv probt Chepisheva nach Dienstschluss mit einem etwas ungewöhnlichen Kirchenchor. Gemeinsam mit rund 50 Sängerinnen und Sängern drängt sie sich drei Stunden lang in einen kleinen Gruppenraum, um für die große Papstmesse in Sofia zu üben.
Nicht alle Anwesenden können dann am 5. Mai tatsächlich teilnehmen, da der Chor für die Messe auf dem "Prinz-Alexander-Platz" aus drei landesweiten Gruppen zusammengestellt wird - im Probenraum ist ein Hauch von "Bulgarien sucht den Super-Chor" zu spüren.
Stojan wirkt mit seinen langen dunklen Haaren, einem Lippen-Piercing und den vielen Ohrringen wie ein bunter Vogel unter all den fröhlichen Chormitgliedern. In Deutschland könnte man ihn sich gut beim "Wacken-Open-Air" vorstellen. Und doch kennt er nahezu jede Zeile der Lieder auswendig, die heute auf dem Probenplan stehen. "Für mich ist es eine sehr große Ehre, Teil dieses Chorprojekts zu sein, und ich bin stolz, mit meiner Stimme einen Beitrag leisten zu können."
"Kirche ist nicht altmodisch"
Für ihn sind modernes Leben und Kirche keine Gegensätze: "Kirche ist nicht altmodisch, und Papst Franziskus hat einen guten Weg gefunden, uns junge Menschen zu erreichen." Dass das Oberhaupt seiner Kirche ausgerechnet seinen Heimatort besuchen wird, hat ihn schon sehr überrascht, und er sieht darin eine große Chance: "Wenn ich jetzt sehe, wie wir alle diesem Ereignis entgegenfiebern, wenn ich sehe, wie sich alle in unserer kleinen Stadt an den Vorbereitungen beteiligen, dann merke ich, welche Kraft auch von diesem Besuch ausgeht. Wir wachsen alle noch mehr zusammen."
Zusammenhalt, glaubt Stojan, ist in diesen Tagen wichtiger denn je für Bulgarien: "Die jungen Leute haben das Recht, ihr Glück in einem anderen Land zu suchen." Er selbst hat ein abgeschlossenes Studium als Logopäde - und arbeitet doch in einer Textilfabrik für Damenmode.
Trotzdem sieht er seine Zukunft hier: "Klar läuft einiges schief hier im Land, aber: Bulgarien, das sind wir alle. Auch wir Bürger müssen an uns arbeiten." Papst Franziskus wird bei seinem Balkan-Besuch auf viele engagierte Menschen treffen.